- Kommentare
- Werbung
Kapitalismus wegdimmen
Digitale Leuchtwerbung schnell abzuschalten, wäre nicht nur energiepolitisch gehaltvoll
Anfang 2021 gab es zum ersten Mal beleuchtete Werbetafeln, über die ich ehrlich froh war, über deren Wirksamkeit aber sicher keine Erkenntnisse vorliegen. Mit verschiedenen Kampagnen wurde damals, zumindest auf einigen Wegen, die ich häufig benutze, dafür geworben, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Es wurde mir nicht langweilig, die Tafeln anzuschauen, ich musste nichts kaufen, nicht irgendwie aussehen, nichts brauchen, was ich nicht brauche. Es gab sogar einen kurzen Moment der Hoffnung, dass sich andere Menschen, für die es nicht als ausgemacht galt, dass sie die Impfmöglichkeit so schnell wie möglich nutzen würden, sich von der einen oder anderen angesprochen fühlten.
Sichtbarkeit ist ein Politikum und wenn eine schwarze Sportlerin Werbung für Sneakers macht, die unter verachtenswürdigen Bedingungen hergestellt wurden, bin ich gnädiger damit, weil ich in Sachen Haupt- und Nebenwiderspruch noch nie besonders trittsicher war. Ich gebe zu, ich mag auch Tafeln, auf denen gegen Rassismus, für sicheren Geschlechtsverkehr, Blut- oder Organspenden und Brandenburger Seen geworben wird. Aber dabei handelt es sich natürlich nicht um die klassischen Werbeformate, in denen linke Kulturkritiker*innen allein den Zweck sehen, am laufenden Band neue Bedürfnisse zu schaffen.
Versuchen Sie, sich einmal vorzustellen, wie es wäre: keine – aus sinnbildlichen Gründen weit über Ihrem Kopf angebrachte – leuchtende Wand mit Luxuskarossen, die durch Landschaften fahren, die es in einigen Jahren klimawandelbedingt sowieso nicht mehr gibt. Keine Leuchttafel, auf denen Männer, die – davon will ich einfach überzeugt sein – in zehn Jahren wirklich nichts mehr zu sagen haben werden, irgendwelche blutigen Diamanten auf ihren goldenen Uhren so tragen, als handelte es sich um ein olles Nietenarmband. Keine Supermodels, die ihre nachbearbeiteten Barbie-Körper im Display des neuesten iPhone spiegeln. Die Welt wäre zumindest ein wenig dreist-aggressiven Kapitalismus los, der ihr ziemlich viel aktuellen Mist eingebrockt hat.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!