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Ein Kind der DDR
Der Lichtenberger Ortsteil Fennpfuhl feiert 50. Geburtstag. In den kommenden Jahren steht dem Vorreiter Ostberliner Großsiedlungen ein Umbruch bevor
Bis zum Schluss genießen können diejenigen, die ganz oben wohnen. Während der Anton-Saefkow-Platz schon in Schatten gehüllt ist, scheint auf den zwanzigsten Stock der umliegenden Plattenbauten noch immer die Sonne. Zu Füßen der Häuser spielen Kinder in Wasserfontänen, die auf dem Platz angelegt worden sind. Eine junge Mutter, die ihren Namen nicht nennen möchte, erzählt, dass sie seit einem halben Jahr in Fennpfuhl wohnt. »Eigentlich komme ich aus Zehlendorf, doch mein Mann arbeitet schon länger hier in der Nähe. Also sind wir umgezogen«, sagt sie. Im Lichtenberger Ortsteil gehe es lauter zu als in Zehlendorf und auch die vielen Hochhäuser gefielen ihr nicht sonderlich gut. Doch: »Man ist hier gut angebunden und die Mieten sind immerhin bezahlbar.«
Rund 33 000 Menschen wohnen im zweitgrößten Kiez Berlins, der seit Januar großes Jubiläum feiert. Was hier am 1. Dezember vor 50 Jahren seinen Anfang nahm, war für die DDR nichts Geringeres als ein Pionierprojekt. »Es sollte sozusagen der erste große Aufschlag zum Wohnungsbauprogramm sein, das auf dem Parteitag von 1971 beschlossen wurde«, sagt Rainer Bosse, der Vorsitzende des Bürgervereins Fennpfuhl. Bosse war fast drei Jahrzehnte Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg, erst für die PDS, dann für Die Linke. Im vergangenen Jahr zog sich der dienstälteste Vorsteher Berlins aus der aktiven Lokalpolitik zurück, nicht aber aus dem Bürgerverein Fennpfuhl.
Bosse lebt seit 1978 im Ortsteil, er kennt ihn so gut wie kein Zweiter. Gerade zu Beginn habe die Siedlung besondere Aufmerksamkeit erfahren, sagt er: »Wenn man wissen wollte, wie es vorangeht, hat man nach Fennpfuhl geschaut.« So war es der Anton-Saefkow-Platz, um den herum die erste zusammenhängende Plattenbau-Großsiedlung der DDR entstand.
Das Ziel war klar definiert. Auf dem heutigen Fennpfuhler Gebiet, das bis 2001 noch als Lichtenberg (Nord) bezeichnet wurde, sollte eine autarke Siedlung für rund 50 000 Menschen zum Leben erweckt werden. Es entstanden Schulen, Kitas, Versorgungseinrichtungen, ein Schwimmbad, eine Sporthalle und sogar ein See, der aus zwei kleineren Tümpeln zusammengelegt worden ist: der Fennpfuhl. »Man wollte eigentlich eine Kleinstadt bauen und genauso ging man auch vor«, sagt Bosse. Entsprechend sei eher die Rede von einem »Komplex« als von einem Ortsteil gewesen. »Im Fennpfuhl lebten irgendwann so viele Leute wie in mancher DDR-Kreisstadt. So eine dichte Bebauung in dem Tempo hat man nur unter Einsatz größter Mittel hinbekommen.«
Der ostdeutsche Staat stieß in der Folge an seine Grenzen. Nicht alle der Pläne konnten laut des Vorsitzenden des Bürgervereins bis zum Ende durchgezogen werden. »Irgendwann war es eine Frage der finanziellen Möglichkeiten und fehlender Baukapazitäten.« Nie realisiert worden seien etwa Fußgängerbrücken über die heutige Landsberger Allee sowie ein Kulturzentrum. »Zur Wahrheit gehört auch, dass Anfang der 80er Jahre der Fokus auf einem anderen Großprojekt lag, nämlich auf Marzahn«, fügt Bosse hinzu. Bis spätestens 1985, so der ursprüngliche Zeitplan, hätte das Projekt Fennpfuhl abgeschlossen werden sollen, an der Parkanlage etwa wurde aber noch bis 1989 gearbeitet.
Doch es hätte auch ganz anders kommen können. Schon in den 50er Jahren wurden Pläne für die Bebauung des Gebiets geschmiedet. Es war der letzte deutsch-deutsche Architekturwettbewerb, der eigentlich über seine Zukunft entscheiden sollte. Mit Ernst May erhielt damals ein bis heute renommierter westdeutscher Architekt den Zuschlag. Doch seine Pläne verliefen mit zunehmenden Spannungen zwischen beiden Ländern und wegen finanzieller Probleme im Sande.
Der Nordteil Lichtenbergs, wie er dann schließlich doch entstehen sollte, hat heute einige Umbrüche hinter sich. »Vor der Wende wurden hier viele Flüchtlinge aus Chile aufgenommen«, sagt Bosse. Viele Menschen seien außerdem infolge der Balkankriege gekommen. Neben vielen Zugezogenen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken sei es auch die vietnamesische Community, die den Ortsteil mitprägt. Bosse hält fest: »Es ist, wenn man es unter dem Strich sieht, eigentlich eine ganz gute Mischung.«
Nun aber steht Fennpfuhl vor einem erneuten Wandel, einem Generationswechsel. Die inzwischen oft hochbetagten Menschen, die hier seit DDR-Zeiten in teils relativ großen Wohnungen leben, sterben nach und nach. Es sind vor allem junge Familien, die nun laut Bosse nachkommen. »Es gibt einen Mangel an Schulplätzen, der sich in Zukunft weiter zuspitzen dürfte.« Als Reaktion auf einen schnellen Bevölkerungsrückgang nach der Wende habe das Land Plätze an den Fennpfuhler Kitas und Schulen abgebaut. Weitere Schwierigkeiten sieht Bosse im Umgang mit den vielen Grünflächen, die der Ortsteil zu bieten hat, nicht zuletzt den Fennpfuhlpark. Hier stehen mehr als 1000 Bäume, die ältesten von ihnen wurden um 1924 gepflanzt. Der Vorsitzende des Bürgervereins beobachtet mit Sorge, dass sein Kiez zunehmend verschmutzt: »Der Umgang mit dem, was vorhanden ist, ist oft nicht so, wie man es sich wünschen würde.« Der Bezirk könne in diesem Fall jedoch nicht alles alleine lösen.
Und doch liebt Bosse seinen Kiez. »Man trifft immer wieder Leute, die einem noch etwas erzählen können. Davor ist man hier nie sicher«, sagt er. Zusammen mit seinem Bürgerverein hat Bosse noch einiges vor, um das Jubiläum zu feiern. Einer der Höhepunkte ist, neben Kiezspaziergängen, Lesecafés, gemeinsamen Reinigungsaktionen und einem Ortsquiz, das große Fennpfuhl-Fest am 16. September.
Mit von der Partie sein – und sogar zum Speeddating zur Verfügung stehen – soll dabei auch Lichtenbergs Bezirksbürgermeister. Michael Grunst (Linke) sieht den Ortsteil in mehrerlei Hinsicht als Vorbild. »Wenn ich mir heutige Vorhaben ansehe, dann läuft bei denen die ganze Infrastruktur dem Wohnungsbau nur hinterher«, sagt er zu »nd«. »In Fennpfuhl war das anders.« Als erstes sei die Straßenbahn gebaut worden, um Bauarbeiter*innen und dann später auch Bewohner*innen in den Ortsteil zu transportieren. Aus den hier gemachten Erfahrungen ließen sich Ansprüche für Großsiedlungen in ganz Lichtenberg ableiten.
Geht es um das Problem der wenigen Schulplätze, verweist der Bürgermeister auf frühere Verantwortliche. »Unsere Vorgänger haben echt geschnarcht, muss man so sagen«, sagt er und versichert, dass der Bezirk seit 2017 alles dafür tue, der Entwicklung entgegenzuwirken. Zwei neue Schulbauten sollen innerhalb der nächsten Monate in Fennpfuhl eröffnen. Das Land mache es Lichtenberg jedoch alles andere als leicht, kritisiert Grunst. Der Senat habe massiv Gelder für die Schulbauoffensive gekürzt und damit ein einstiges Versprechen gebrochen.
Stolz zeigt sich Grunst mit Blick auf den Fennpfuhlpark. »Der Park sucht fast in ganz Berlin seinesgleichen«, sagt der Bürgermeister. »Weil er sehr stark angenommen wird, ist das aber auch eine Herausforderung.« Bis zuletzt sei es im Park – als einer der wenigen Orte in der Hauptstadt – erlaubt gewesen, zu grillen. Infolgedessen habe »die halbe Stadt« den Ort für sich entdeckt, so Grunst. »Ich bin ein Anhänger davon, dass öffentliche Plätze zur Verfügung stehen. Aber wenn sich andere Bezirke einen schlanken Fuß machen, haben wir natürlich ein Problem.« Erfahrungen sammelt man derzeit mit sogenannten Parkläufer*innen, die bei möglichen Konflikten in der Grünanlage vermitteln sollen.
Ganz generell gibt das Jubiläum laut Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Anlass, über den Umgang mit Berliner Großsiedlungen nachzudenken. Er sieht zwar nicht den relativ durchschnittlich situierten Ortsteil Fennpfuhl, aber doch andere Wohngebiete am Scheideweg: »Wir müssen uns überlegen, wie die Entwicklung in den nächsten 20, 30 Jahren aussehen soll. Wollen wir Banlieues wie in Paris oder durchmischte Viertel, in denen sich die Leute wohlfühlen und man viele Angebote findet?« Ziel müsse sein, einen sozialen Ausgleich zu schaffen, so Grunst. Dabei gehe es nicht darum, dass sich keine armen Menschen mehr in entsprechenden Gebieten ansiedeln dürften, sondern um Strategien der Selbstermächtigung. »Wir müssen uns als öffentliche Hand endlich zu unseren Großsiedlungen bekennen«, sagt der Bürgermeister.
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