Wir tun es noch heute

Nikolas Lelle zeigt in seinem Buch »Arbeit, Dienst und Führung« die Kontinuität einer verheerenden Ideologie vom NS bis in die Gegenwart

  • Sebastian Klauke
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenn es nach erfolgreich erbrachter Lebensleistung Schnittchen und Cola gibt, wird etwas von der Tristesse und Kälte einer Gesellschaft spürbar, in der Lohnarbeit sozialer Zwang ist.
Wenn es nach erfolgreich erbrachter Lebensleistung Schnittchen und Cola gibt, wird etwas von der Tristesse und Kälte einer Gesellschaft spürbar, in der Lohnarbeit sozialer Zwang ist.

Arbeit – exakter: Lohnarbeit – ist der widersprüchliche Dreh- und Angelpunkt der kapitalistischen Gesellschaft: Einerseits gilt sie als Quelle der Selbstverwirklichung, Autonomie sowie Anerkennung als mündige Bürger*innen und als politische Subjekte. Andererseits aber ist sie faktisch das größte soziale Zwangssystem. Es besteht – strukturell bedingt – der Zwang zur Lohnarbeit, denn andernfalls drohen Armut, Hartz IV beziehungsweise dessen zynische Neuerfindung als Bürgergeld, sozialer Ausschluss und politische Verachtung. An der Arbeit hängt das Leistungsprinzip, jene Ideologie individueller Verantwortung für das gesellschaftliche Elend, unter der man nicht nur für die Gesellschaft einstehen soll, sondern die darüber hinaus auch die Nützlichkeit des Einzelnen vermisst.

All das ist so tief verankert, dass es kaum mehr in Frage gestellt werden kann. Die linke Hoffnung auf eine von den Zwängen der Lohnarbeit befreite Gesellschaft ist im Klassenkampf von oben längst untergegangen. Die Forderungen sind dazu geschrumpft, einen Job mit Sinn haben zu wollen, sich treu bleiben zu können, eine work-life-balance zu halten und mit Achtsamkeit und Yoga dem Burnout zu entkommen. Arbeit und Leistung sind ein Fetisch: ein Herrschaftsverhältnis, das natürlich erscheint. Und das hat eine lange und verheerende Tradition.

Diese macht Nikolas Lelle in seinem Buch »Arbeit, Dienst und Führung. Der Nationalsozialismus und sein Erbe« sichtbar. Lelle stellt die zentrale Rolle der Arbeit für die nationalsozialistische Ideologie sowie die Verbindung zum Antisemitismus heraus und zeigt ihre historische Transformation vom 19. Jahrhundert bis heute. An die grundlegenden »Praktiken und Denkfiguren«, die im Nationalsozialismus mit Hinblick auf die Arbeitsorganisation zum Tragen kamen, sei nach 1945 angeknüpft worden. Bereits in den frühen Reden Adolf Hitlers ließe sich der Fokus auf die Arbeit finden, der zum ideologischen Kitt der nationalsozialistischen Gesellschaft wurde. In den drei großen Teilen »Diene!«, »Folge!« und »Führe!« entfaltet der Autor seine plausible Analyse zu den Wurzeln, der Organisation und den tödlichen Konsequenzen der Arbeit.

Denn das nationalsozialistische Arbeitsregime hielte durch Führung und Gefolgschaft die nach innen homogenisierte Volksgemeinschaft zusammen. Die Dämonisierung der Juden habe etwa auch darüber funktioniert, dass ihnen von vornherein abgesprochen wurde, »wirklich« zu arbeiten. Daher sei in den Konzentrationslagern gnadenlos ihr Tod organisiert worden, während »arbeitsscheue Arier« sich durch harte Arbeit rehabilitieren sollten. Auch das Konzept der Aktivierung sei in diesem Zusammenhang zu finden und habe bereits Anwendung in »Vorformen« moderner »Aktivierungstechniken«. So sei selbst die Idee eigenverantwortlicher Arbeit in einem NS-Musterbetrieb entworfen worden, natürlich nur im Dienste der Volksgemeinschaft.

Die deutlichste Kontinuität zur BRD besteht Lelle zufolge in der Person Ernst Höhns (1904-2000), dem es gelang, das Managerprogramm seines Harzburger Modells der Arbeit zu etablieren – beseitigt wurden die antisemitischen und rassistischen Dimensionen, die Herkunft der Ideen und deren Anwendung wurden verschwiegen und konnten erst spät skandalisiert werden. Zwar sei Arbeit nach 1945 nicht mehr als Dienst verstanden worden, der Führer als zentrale Figur sei verschwunden, es habe auch keine völkisch gedachte Gemeinschaft mehr gegeben, so Lelle. Aber das Führen und das Folgen blieben, angepasst, wichtige Elemente. Ziel Höhns sei daher das »führende Selbst« gewesen. Lelle spricht von einem »transformierten Fortleben«, das nicht »bruchlos« gewesen sei. Weiter transformiert und später neoliberal durchbrochen treibt die »Ideologie der Arbeit« noch immer ihr Unwesen, eng verbunden mit dem Ruf nach Leistung. Die imaginierte »Überlegenheit der ›deutschen Arbeit‹ und des deutschen Fleißes« spielt bei rechten Figuren wie Björn Höcke wieder explizit eine Rolle.

Die Frage, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel überhaupt gearbeitet wird, wurde nach 1945 bis heute verdrängt, gar bekämpft. Das gute Leben für alle soll nicht einmal mehr vorstellbar sein. Stattdessen wird derzeit wieder das lebenslange Arbeiten für Deutschland gefordert. Die Lektüre des Buches ist so erschreckend wie erhellend. Sie drängt zur Konsequenz, über den Fetisch der Arbeit auch in unserer Gegenwart nachzudenken. Der Autor macht klar, welche Schrecken Arbeit bedeuten konnte – und vielleicht wieder bedeuten wird.

Nikolas Lelle: Arbeit, Dienst und Führung. Der Nationalsozialismus und sein Erbe. Verbrecher-Verlag, 368 S., br., 30 €.

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