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Kaltes Netz für warme Räume
Das Haus der Statistik bekommt ein Abwasserwärmenetz. Zukünftig wird ohne fossile Energie geheizt
Das Haus der Statistik am Alexanderplatz steht unter anderem für gemeinwohlorientierten Wohnungsbau und für Pionierprojekte, die sich sozialen, Kultur- und Nachhaltigkeitsthemen widmen. Da passt es nur zu gut, dass der majestätische Plattenbau in Mitte zukünftig auch klimafreundlich mit Wärme und Kälte versorgt wird. Die Berliner Stadtwerke entwickeln dort ein sogenanntes kaltes Nahwärmenetz. »Wir entziehen dem Abwasserkanal Wärme und geben sie zur Gebäudeheizung an eine Wärmepumpe ab«, sagt Katharina Mende, Projektleiterin der Stadtwerke für das Haus der Statistik, zu »nd«.
Konkret heißt das, dass Wasser in zwei nahe gelegenen Mischwasserkanälen unter der Otto-Braun-Straße über einen Wärmetauscher mittels des darüberfließenden Abwassers um neun bis 25 Grad, je nach Jahreszeit und Wassertemperatur, erwärmt und über ein Netz als Quelle für Wärmepumpen weitergeleitet wird. Diese Übertragungstemperatur ist sehr niedrig im Vergleich zu Systemen wie die des Energiekonzerns Vattenfall, die fossil auf um die 100 Grad erhitzt werden – deshalb handelt es sich um ein »kaltes Netz«. »Wir machen das ohne Verbrenner und halten den Ball somit klimatisch flach«, erklärt Stephan Natz, Sprecher der Berliner Stadtwerke.
Zur Gebäudeheizung wird das bereits erwärmte Wasser in einer Wärmepumpe weiter erhitzt, auf etwa 40 Grad. Die Wärmepumpe läuft über Solaranlagen, die auf den Dächern des Hauses der Statistik installiert werden, sodass auch dieser Vorgang ohne fossile Energie auskommt. Im Sommer geht es genau andersherum: Die Wärmepumpen entziehen dem Gebäude Wärme und die Abwärme wird je nach Bedarf zur Warmwassererzeugung genutzt oder in den Mischwasserkanal ausgespeist.
Auf dem Weg, den das Abwasser bis ins Klärwerk zurücklegt, werde die eingespeiste Wärme nach und nach wieder abgegeben, sodass die Abwasserqualität nicht gefährdet wird, sagt Natz. »Wir stimmen uns mit den Wasserbetrieben darüber ab, wie viel Wärme wir entziehen und einspeisen können, damit es den Bakterien nicht zu warm oder zu kalt wird.« Im Winter müsse die Abwassertemperatur bei mindestens 12 Grad liegen, da die Bakterien sonst nicht mehr arbeiten.
Vorteil der Nutzung von Abwasser im Vergleich zu der von Außenluft ist, dass letztere wesentlich höheren saisonalen Temperaturschwankungen unterliegt, während die Wassertemperatur in der Regel nur zwischen 12 und 20 Grad schwankt. »Da im Winter mehr Strom benötigt wird, um die kalte Außenluft zu erhitzen, sind Abwasserwärmepumpen effizienter«, erklärt Katharina Mende. Allerdings nur dann, wenn Entzug und Nutzung, also Kanäle und Gebäude, möglichst nah beieinander liegen, sodass unterwegs keine Wärme verloren geht. Eine weitere Voraussetzung sind große Mischwasserkanäle mit ausreichend Wasserdurchfluss und -druck, sodass es sich rentiert, dort Wärme abzuschöpfen. Eine Machbarkeitsstudie, die die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) als Verwalterin des Gebäudekomplexes in Auftrag gegeben hatte, kam zu dem Ergebnis, dass beides in Berlin Mitte der Fall ist und die Nutzung von Abwasserwärme im Haus der Statistik eine effiziente und nachhaltige Lösung darstellt.
Optimal ist der Betrieb von Wärmepumpen, wenn 40 Grad ausreichen, um die Räume auf 20 Grad zu heizen, wenn das Gebäude also mit einem modernen, in Fußböden oder Wänden installierten Flächenheizsystem ausgestattet wurde. Da das kalte Nahwärmenetz, für das Ende August die ersten Rohre verlegt werden, mit umfangreichen Sanierungen des Hauses der Statistik einhergehen, wird auch diese Bedingung erfüllt. Zunächst soll das Abwassersystem, wenn es voraussichtlich Ende 2023 in Betrieb geht, das Frontgebäude an der Ecke Karl-Marx-Allee/Otto-Braun-Straße mit Wärme und Kälte versorgen, das als erstes fertiggestellt wird. Dort werden Büros und Gewerberäume untergebracht, weshalb erst einmal kein warmes Wasser nötig ist. Wenn in den Folgejahren auch die angrenzenden Wohngebäude fertig und ans Netz angeschlossen sind, wird die Abwärme im Sommer auch zur Warmwasseraufbereitung genutzt. Zusätzlich ist ein klimafreundliches Blockheizkraftwerk geplant, erläutert Katharina Mende.
Mit einer Entzugsleistung von 750 Kilowatt zum Heizen und einer Einspeiseleistung von 704 Kilowatt zum Kühlen wird der Kanalwärmetauscher am Haus der Statistik die größte Anlage seiner Art in Berlin darstellen. Für das Bestandsgebäude können so rund 446 Tonnen CO2 im Jahr eingespart werden. Bislang gibt es in Berlin 15 Wärmeübertragungsanlagen, zum Beispiel für die Ikea-Filiale in Lichtenberg oder die Buckower Felder in Neukölln. Neben der Anlage für das Haus der Statistik sind zwölf weitere in Planung, unter anderem am Tempelhofer Damm, am ehemaligen Flughafen Tegel oder bei dem zukünftigen Kreuzberger Quartier Dragoner-Areal.
Laut einer Studie der Berliner Wasserbetriebe, die »nd« vorliegt, ist »das Potenzial für Abwasserwärme beträchtlich und noch lange nicht ausgeschöpft«. Demnach sind in Berlin bislang erst rund fünf Megawatt Heizwärmeentzugsleistung installiert, was dem Wärmebedarf von etwa 1000 Haushalten entspricht. Langfristig seien in der Hauptstadt bis zu 300 Megawatt realistisch, so viel wie 60 000 Haushalte benötigen. Katharina Mende betont, dass Fördermittel wichtig sind, um den Ausbau voranzutreiben. So wird etwa das kalte Nahwärmesystem am Haus der Statistik vom Bundeswirtschaftsministerium und der Nationalen Klimaschutzinitiative gefördert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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