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- Filz-Vorwürfe
Rathauschef von Berlin-Mitte unter Beschuss
Senat will förmliches Disziplinarverfahren gegen Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) eröffnen
Der Linken in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte reicht es: »Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel muss zurücktreten. Er ist politisch nicht mehr tragbar«, sagt Linksfraktionschef Sven Diedrich zu »nd«. Es ist von einem »irreparablen Schaden« die Rede, den der Grünen-Politiker von Dassel im Zusammenhang mit einem zweifelhaften Stellenbesetzungsverfahren im Bezirksamt Mitte Ende 2021 angerichtet habe.
Nun könnte es dem Bürgermeister reichlich egal sein, was Die Linke – wie zuvor auch bereits die CDU – in der von Grünen und SPD dominierten Bezirksverordnetenversammlung fordert. Allerdings wächst der Druck offenkundig auch in den eigenen Reihen massiv. Einem Bericht des »Tagesspiegels« zufolge habe sich am Montag auch die Grünen-Fraktion im Bezirk dafür ausgesprochen, von Dassel zum Rücktritt aufzufordern. Das Votum soll knapp ausgefallen sein. Eine offizielle Bestätigung blieb zunächst aus.
Konkret geht es bei den im Raum stehenden Vorwürfen um von Dassels Agieren bei der Besetzung des Chefpostens für den Steuerungsdienst im Bezirk. Hierbei handelt es sich, so Linke-Politiker Diedrich, nicht nur »um die wichtigste Stelle, die es im Bezirksamt gibt«, sondern auch und vor allem um einen »der höchstdotierten« Posten im Rathaus, sieht man von den Stadträten ab. »Es ging hier nicht um irgendeine Stelle im Postraum. Da bedarf es einer gewissen Erfahrung«, sagt Diedrich. Eine Erfahrung, die einer der beiden Bewerber mitgebracht habe, der andere aber nicht, wie Diedrich betont. Den Job sollte trotzdem letzterer bekommen.
Inzwischen ist das Besetzungsverfahren nach Auskunft von Dassels zwar vom Bezirksamt zurückgesetzt worden, ein Wiederholungsverfahren dauere aktuell noch an. Dennoch erkennt nicht nur Die Linke bei der ersten Runde definitiv Vetternwirtschaft, denn von Dassels »Wunschkandidat ist Mitglied des Parteivorstands der Grünen in Mitte« und stehe ihm »auch parteiintern nahe«.
Damit nicht genug, sagt Sven Diedrich, »zieht Herr von Dassel dann auch noch eine Karte, die ich in unserem Rechtssystem nicht für möglich gehalten hätte«. Nachdem der unterlegene Bewerber gegen das Besetzungsverfahren geklagt hat, soll von Dassel ihm angeboten haben, die Sache mit mehreren Tausend Euro aus seinem Privatvermögen zu bereinigen. »Das schlägt dem Fass den Boden aus«, sagt der Linksfraktionschef.
Tatsächlich hatte von Dassel in einer auch »nd« vorliegenden SMS vom 6. April dem unterlegenen Bewerber mitgeteilt, dass es eine »vom Bezirksamt initiierte außergerichtliche Einigung (…) aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht geben« könne. »Ich könnte mir aber eine privatrechtliche Einigung zwischen uns vorstellen, denn ich will das Verfahren endlich abschließen«, heißt es weiter. Von Dassel begründet das damit, dass er seine »mentalen und intellektuellen Kapazitäten für andere Prozesse« brauche als für »dieses vertrackte Besetzungsverfahren«. Schließlich folgt die Frage: »Wären Sie auch zu einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen uns als Privatpersonen (…) bereit?«
Von Dassel selbst, seit 2016 im Amt und im Bezirk aufgrund seiner Politik ohnehin keineswegs unumstritten, weist die Vorwürfe von sich. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur erklärt er, dass er nie »irgendjemandem konkret Geld angeboten« habe. Die Geldforderung habe vielmehr der Kläger gestellt. Sein »Fehler« sei gewesen, dass er die Gegenseite »danach trotzdem noch mal kontaktiert habe und gesagt habe, okay, mit der Verwaltung funktioniert es nicht. Können wir vielleicht irgendwie privat zusammenkommen?«.
Wie die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag erklärte, habe von Dassel sie nun kontaktiert, um ihr mitzuteilen, dass er ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst beantragt. Giffey sagt, das werde jetzt auch geschehen: »Wir werden ein förmliches Disziplinarverfahren eröffnen, weil basierend auf den Unterlagen nicht ausgeschlossen werden kann, dass er als Beamter gegen Vorschriften verstoßen hat.«
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