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"Da flogen mir die Ohren weg"

Zehnkämpfer Niklas Kaul nimmt nach EM-Gold vor den Heimfans nun den Olympiasieg ins Visier

Niklas Kaul konnte kaum fassen, dass er sich beim abschließenden 1500-Meter-Lauf noch EM-Gold geschnappt hatte.
Niklas Kaul konnte kaum fassen, dass er sich beim abschließenden 1500-Meter-Lauf noch EM-Gold geschnappt hatte.

Herzlichen Glückwunsch zu EM-Gold und dieser irren Aufholjagd! Wie haben Sie speziell diesen zweiten Zehnkampftag erlebt?

Interview

Niklas Kaul ist mit gerade mal 24 Jahren schon Welt- und nun auch Europameister im Zehnkampf. Bei Olympia in Tokio wurde er im Vorjahr allerdings von einer Verletzung ausgebremst. Dieses Ziel setzt sich der Mainzer Leichtathlet nun neu für Paris 2024. Ganz nebenbei ist er nun auch Fan des Konzepts von European Championships geworden, weshalb er den Europäischen Verband gerade so gar nicht verstehen kann.

Als ich nach dem Stabhochsprung in die Mittagspause ging, dachte ich, die Chance auf Gold ist weg. Nach dem Mittagsschlaf aber hatte ich im Kopf, dass ich wenigstens den Zuschauern in den letzten beiden Disziplinen noch eine gute Show bieten wollte. Die hatten sich das so verdient bei der Stimmung, die sie für uns zwei Tage lang gemacht haben. Und ich würde sagen, ich habe hintenraus noch mal ganz gut die Kurve gekriegt.

In der Tat: Schon der letzte Speerwurf auf mehr als 76 Meter löste einen Riesenjubel aus.

Man hat sicher auch gemerkt, dass mir da ein Stein vom Herzen gefallen ist. Dabei war es egal, ob ich dann wieder eine Chance auf Gold hatte. Ich wusste endlich, dass ich das mit dem Speer doch noch kann. So weit habe ich ja seit knapp drei Jahren in keinem Wettbewerb mehr geworfen.

Und dann kam dieser 1500-Meter-Lauf, bei dem Sie gut 28 Sekunden auf den führenden Schweizer Simon Ehammer aufholen mussten, um noch zu gewinnen. Es wurden sogar 38. Haben Sie sich das vorher genau so ausgemalt?

Ich hatte schon ein Konzept, aber das hat nicht funktioniert. Ich wollte den ersten Kilometer in 2:52 Minuten laufen. Das wurden dann aber 2:47 Minuten. Da ahnte ich bereits, dass das eine ganz harte letzte Runde wird. Aber da hat mich das Publikum gut durchgetragen. Das war eine Topstimmung, bei der mir fast die Ohren weggeflogen sind.

Sie hatten vorher angekündigt, dass Sie zwar bei der WM in den USA an den Start gehen würden, die EM in München danach aber Ihr Höhepunkt werden würde – eben weil diese European Championships daheim stattfinden. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Nein, das war noch viel, viel besser. Danach musste ich mich aber erst mal für ein paar Minuten hinlegen. Ich konnte nach diesem Lauf nicht mehr auf den Beinen stehen.

Sind der WM-Titel von 2019 und dieses EM-Gold vergleichbar?

Das sind sie nicht, denn die Ausgangssituationen waren ganz unterschiedlich. In Doha war ich die Riesenüberraschung. Diesmal ging ich nach einer langen, schweren Zeit an den Start. Der EM-Titel bestätigt mich darin, dass mein Weg doch der richtige war. Daher ist er für mich der emotionalere. Die Ehrenrunde danach war auch ganz besonders. Obwohl noch andere Wettbewerbe liefen, wurden wir alle minutenlang bejubelt. So etwas habe ich vorher noch nicht erlebt.

Wo hatten Sie denn Ihren Tiefpunkt in der Zeit dazwischen?

Ganz klar letztes Jahr im Olympiastadion von Tokio. Als mich da beim Hochsprung die Fußverletzung erwischte und ich dann über 400 Meter aufgeben musste, war die Enttäuschung groß. Aber schon kurz danach hat mich die Aussicht auf diese Heim-EM in München wieder aus dem Loch geholt. Ich habe mir gesagt, das ist doch ein tolles neues Ziel.

Gehört für Sie die Leichtathletik auf Dauer zu diesen European Championships dazu? Der Europäische Verband will Ihre Sportart ja wieder aus dem Programm nehmen, um der EM mehr Eigenständigkeit zu geben.

Ich fand es so toll, als ich hier in den Olympiapark kam und sah, wie viele Leute hier unterwegs waren, auch aufgrund anderer Sportarten. Viele Leute begeistern sich für Sport, unabhängig von den einzelnen Disziplinen. Deswegen ist das ein Konzept, das Zukunft hat.

Wäre es auch schön für die Sportler, wenn sie nicht in verschiedenen Hotels, sondern wie bei Olympia in einem gemeinsamen Dorf untergebracht wären?

Das würde sich nur schwer bewerkstelligen lassen und nicht mal da funktionieren, wo schon Olympische Spiele stattgefunden haben, weil die dafür gebauten Wohnungen längst verkauft oder vermietet sind. So, wie es jetzt ist, passt das Konzept also schon sehr gut.

Nun sind Sie Weltmeister und Europameister. Was soll da jetzt noch kommen?

Na, was gibt es denn da noch (lacht). Nein im Ernst: Natürlich ist Olympia ein Ziel. Bis dahin sind es noch zwei Jahre. Ich werde mein Bestes dafür geben, in einer noch besseren Form dorthin zu fahren als nach Doha und München.

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