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Auf dem Weg zum Gottesstaat

Schon vor dem chaotischen Abzug der US-Armee und ihrer Verbündeten aus Afghanistan schien klar: Die Herrschaft der islamistischen Taliban, deren Machtergreifung unmittelbar bevorstand, würde autoritär und patriarchal ausfallen. So ist es nun auch gekommen – und das Verhalten des Westens scheint die ­Situation wieder einmal zu verschlimmern. Eine Bilanz nach einem Jahr Taliban-Regime

  • Thomas Ruttig
  • Lesedauer: 12 Min.

Fast ein Jahr nach der Machtübernahme in Afghanistan am 15. August 2021 sitzt das Regime der Taliban fest im Sattel. Allerdings herrschen sie eher, als dass sie regieren. Damit haben sie Hoffnungen – manche sagen: Illusionen – enttäuscht, dass sie nach ihrer Machtübernahme der Bevölkerung mit mehr Toleranz begegnen und zumindest bestimmte Freiheiten akzeptieren würden, die sich in den letzten 20 Jahren in Afghanistan entwickelt hatten, nicht zuletzt dank besserer Bildungschancen zumindest für einige Sektoren der Gesellschaft.

Schon unmittelbar nach ihrer Machtübernahme begannen die Taliban mit der erheblichen Einschränkung beziehungsweise Abschaffung der bürgerlichen Freiheitsrechte, Menschenrechte und insbesondere Frauenrechte. Die Taliban-Führung löste staatliche und halbstaatliche Institutionen auf, die nach der US-geführten Intervention 2001 entstanden und von ihnen mit westlichem Einfluss identifiziert werden, wie etwa die Menschenrechtskommission. Übergriffe wie serienmäßige willkürliche oder gezielte Festnahmen, Verschwindenlassen, Misshandlungen und Morde, Durchsuchungen von Häusern nach Waffen und realen oder eingebildeten Widerständlern und von Mobiltelefonen nach kompromittierenden Kontakten oder »unmoralischen« Inhalten konterkarierten Versprechen einer Amnestie und Weiterbeschäftigung für die Angehörigen des alten Staatsapparats und der Regierungstruppen und sorgen für verbreitete Angst. Taliban-Offizielle behaupteten, dies sei nicht ihre Politik und sie hätten Verantwortliche für Übergriffe bestraft. Aber wenn das der Fall war, dann ohne irgendeine Form von Öffentlichkeit.

Zum Autor

Thomas Ruttig, Jahrgang 1957, ist Mitbegründer des Afghanistan Analysts Networks (www.afghanistan-analysts.org), eines unabhängigen Thinktanks mit Sitz in Kabul und Berlin. Er beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit Afghanistan. Er arbeitete auch als Redakteur, unter anderem für das »nd«.

Taktische Zusagen vor dem US-Abzug

Es entsteht der Eindruck, dass die ursprünglichen Zusagen taktischer Natur waren. Sie wurden abgegeben, während die Taliban noch mit den USA über ein Abzugs- und Friedensabkommen verhandelten – das erste kam zustande, das zweite nicht – und die Möglichkeit einer Machtteilung mit anderen politischen Kräften eine Option war. Dazu hätten die Taliban sich kompromissbereit zeigen müssen. Nachdem die USA unter Trump beschlossen hatten, ihre Truppen auch ohne Friedensabkommen abzuziehen, und sein Nachfolger Biden das nicht widerrufen hatte, änderten sich die Prämissen. Das Tor zu einer alleinigen Machtübernahme stand offen und Kompromisse waren nicht mehr nötig. Zudem standen alle Zusicherungen immer unter Scharia-Vorbehalt. Die Afghanistan-Analystin Martine van Bijlert beschrieb die politischen Prioritäten der Taliban als »interne Kohäsion (und) externe Dominanz«. Sie unterdrücken jede Gegenwehr, gehen aber nicht gegen Abweichungen von ihrer verkündeten Politik vor, um organisationsinterne Spannungen zu vermeiden. Das beantwortet auch die Frage, ob die Taliban-Führung solche Abweichungen nicht unterbinden will oder kann.

Seit dem chaotischen Abzug der letzten westlichen Truppen, darunter der Bundeswehr, Ende August 2021 ist zur Erleichterung vieler Menschen im Land aber auch der 40-jährige Krieg vorüber; die US-geführte Intervention ab 2002 war nur dessen letzte Phase. Terroranschläge des lokalen Ablegers des Islamischen Staates (IS) fordern zwar weiterhin viele Opfer, aber die Gruppe gefährdet mangels einer sozialen Basis im Land nicht das Machtmonopol der Taliban. Ähnliches gilt für kleinere Widerstandsgruppen, die versuchen, einen Guerillakrieg gegen die neuen Herrscher zu entfachen.

Institutionelle Legitimierung des Emirats

Mit der Ende Juni kurzfristig einberufenen, handverlesenen Loja Ghunda (Große Versammlung) von fast 5000 höheren Geistlichen (Ulema), Regimeoffiziellen, einigen Stammesältesten und Geschäftsleuten aus dem ganzen Land – alles Männer – stellten die Taliban Anfang Juli die Weichen zur Errichtung eines islamischen Gottesstaates. Die Formel dafür lautet: Scharia plus Geschlossenheit der eigenen Reihen und Autarkie. Taliban-Chef Hebatullah Achundsada erklärte, Afghanistan sei nun »unabhängig«. Es werde sich nicht den »Forderungen des Auslands« beugen und »seinen eigenen Weg« gehen. Den gebe die Scharia vor und dabei werde er »keine Kompromisse« akzeptieren. In Worten, die an Huntingtons These vom Zusammenstoß der Kulturen erinnern, warnte Achunsada, dass der Westen seine Truppen zwar abgezogen habe, den Krieg aber weiterführe und etwa versuche, Zwietracht zu säen und Anti-Taliban-Propaganda zu betreiben: »Unsere Vorstellungen und unser Glaube sollen zum Schweigen gebracht werden.« Dieser Krieg werde »bis zum Tag des Jüngsten Gerichts« weitergehen. Aufforderungen, die Einheit der Taliban-Bewegung nicht durch öffentliche Diskussionen zu gefährden, zogen sich deshalb als roter Faden durch seine Rede; das Überleben des Emirats hänge »davon ab, dass wir alle vereint bleiben«. Zudem solle Afghanistan sich »nicht auf die Hilfe der Welt« verlassen, davon werde die Wirtschaft des Landes »nicht wieder in Ordnung kommen. Das müssen wir selbst machen.«

Eine Absage erteilte Hebatullah auch den Politikern des vormaligen, vom Westen gestützten afghanischen Regimes und Forderungen nach ihrer Einbeziehung in eine Regierung. Die Schlussresolution der Ulema-Versammlung bezeichnet nicht nur jegliche »bewaffnete Opposition«, sondern sogar »jede Art von Opposition gegen das herrschende islamische System, die im Gegensatz zur islamischen Scharia und nationalen Interessen steht« als »Rebellion und Korruption auf Erden«, deren Bekämpfung »obligatorisch für das Emirat und die ganze Nation« sei. Darunter fallen wohl auch Frauenproteste.

Die Taliban setzen auf Machtmonopol und Führerprinzip, ungedämpft durch minimale Formen demokratischer Beteiligung, wie sie im benachbarten Iran existieren. »Ihr habt Baj’a geleistet. Wenn ihr mich Euren Scharia-gemäßen Amir nennt, werdet ihr mir folgen«, erklärte Hebatullah. Schon vor der Versammlung hatte Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahed bei einer Pressekonferenz klargemacht, dass Hebatullah in der hoch kontroversen Frage der Mädchenbildung das letzte Wort haben wird.

Humanitäre Situation

Die Menschenrechtssituation in Afghanistan wird kompliziert durch eine humanitäre Krise und eine Wirtschaftskrise. Das International Rescue Committee sprach im März von der sich »weltweit am schnellsten verschlechternden humanitären Situation«, und das obwohl eine im vergangenen Winter drohende Hungerkatastrophe durch die Mobilisierung von Soforthilfe noch abgewendet werden konnte. Dieser Unterstützung stand allerdings entgegen, dass die USA Auslandsguthaben des afghanischen Staates eingefroren haben, um sie nicht den Taliban zugutekommen zu lassen. Hinzu kommt der Stopp von Geldern für längerfristige Entwicklungszusammenarbeit durch die westlichen Regierungen: externe Finanzhilfen, die bis zur Machtübernahme der Taliban 40 Prozent des Volumens der afghanischen Wirtschaft und 75 Prozent der Staatsausgaben ausgemacht hatten. Auf Druck der US-Regierung wurde auch der Bankverkehr mit und in Afghanistan lahmgelegt, sodass zuletzt die Hälfte der in Afghanistan tätigen ausländischen Nichtregierungsorganisationen angab, sie habe Probleme, Geld nach Afghanistan zu überweisen.

Das Ausbleiben der Finanzhilfen sowie der Ausschluss vieler Frauen aus dem Berufsleben durch die Taliban trugen dazu bei, dass acht von zehn Haushalten laut UN »drastische« Einkommensrückgänge verzeichneten und viele Menschen unter die Armutsgrenze rutschten. Hier einige düstere Zahlen zur Lage vor Ort: Uno und Weltbank schätzen, dass bis Mitte des Jahres 97 Prozent aller Afghan*innen in Armut leben könnten; vor der erneuten Taliban-Machtübernahme im vorigen August waren es bereits über 70 Prozent. 92 Prozent der Haushalte sind verschuldet; 88 Prozent gaben an, die Schulden entstanden, um Nahrungsmittel kaufen zu können. Nach jüngsten UN-Zahlen haben 95 Prozent der Afghan*innen nicht genug zu essen; 19,7 Millionen Menschen seien akut von Hunger bedroht, das ist etwa die Hälfte der Bevölkerung; 9,6 Millionen Kinder bekommen laut der NGO Save the Children nicht jeden Tag etwas zu essen. Die Unicef gibt an, die Zahl der Frühgeburten und Geburten von Kindern mit armutsbedingtem Untergewicht sei auf 30 Fälle am Tag angestiegen.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass die Zahl der arbeitenden Frauen bis Mitte 2022 um 21 Prozent zurückgegangen ist. Insgesamt seien seit August 2021 etwa 500 000 Menschen arbeitslos geworden. Der Stopp der Entwicklungsleistungen ließ über Nacht auch Kliniken in den ohnehin unterversorgten ländlichen Gebieten und Schulen zusammenbrechen. Im September waren nur noch 17 Prozent der Gesundheitseinrichtungen offen. Ashley Jackson vom Londoner Overseas Development Institute nannte das »wirtschaftliche Kriegführung«. Anders Fänge vom Schwedischen Afghanistan-Komitee schrieb, es sei »nicht schwer, die Gefühle vieler Afghan*innen zu verstehen, wenn sie sagen, dass die USA den Krieg verloren hätten und sich jetzt dafür an ihnen rächten«.

Keine Opposition, nirgends

Eine wirkliche Opposition zu den Taliban ist gegenwärtig nicht sichtbar. Die alten Führer, die im Mai im Exil in Ankara einen »Obersten Rat zur Nationalen Rettung« gründeten, sind für ihre Korruption, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen bekannt. Die talibankritische Internetzeitung Hascht-e Sobh fragte, wie man sicher sein könne, dass diese »gescheiterten Politiker ihr Verhalten der Vergangenheit ablegen könnten«. Die jüngere Generation, wie Ahmad Massud, der Führer der Nationalen Befreiungsfront, und sein Rivale, Ex-Geheimdienstchef Amrullah Saleh, wurde vom Westen aufgepäppelt. Ihre und andere ähnliche Gruppen setzen in ihren Guerillaaktionen auf ähnliche Mittel wie einst die Taliban: Sprengfallen und Anschläge, auch in Städten, wo sie zivile Opfer in Kauf nehmen, wie beim versuchten Raketenanschlag auf die Ulema-Versammlung der Taliban in Kabul. Die Strukturen der seit 2001 entstandenen modernen Zivilgesellschaft, aus deren Reihen eine zivile Opposition erwachsen könnte, brachen im August 2021 weitgehend zusammen.

Vor allem aber verhindert die weit verbreitete Kriegsmüdigkeit eine breitere Mobilisierung für irgendeine Form von Opposition oder Widerstand. Für viele Afghan*innen bleiben in dieser Situation nur drei Optionen: selbstmörderische Opposition, Flucht außer Landes oder sich mit der Taliban-Herrschaft arrangieren. Hier bleibt nur, was einige Analysten als »traditionelle« Zivilgesellschaft bezeichnen, nämlich lokale Selbstorganisationsformen wie Dschirgas oder Schuras – unpolitisch erscheinende Gruppen, die sich um eine soziale Grundversorgung kümmern. Aber auch sie können schnell zwischen Hammer und Amboss geraten, unter anderem wenn sich westliche Geber – staatliche oder nichtstaatliche – zu sehr auf sie stürzen und damit für die Aufmerksamkeit der Taliban sorgen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Taliban solche Gruppen oder Räte zu Transmissionsriemen ihrer eigenen Politik machen. Dem könnten sie sich ohne Selbstgefährdung kaum entziehen.

Gegentendenzen

Es darf aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Taliban punktuell durchaus konstruktives Regierungshandeln an den Tag legen. Beispielsweise bei der Bekämpfung von Covid-19, Immunisierungskampagnen gegen Polio und der Überwindung der Folgen der Erdbebenkatastrophe im Juni in Südost-Afghanistan kooperierten sie mit nichtstaatlichen Gruppen und der Uno. Es gibt Beispiele neuer Community-Schulen, die ausländische Nichtregierungsorganisationen aufgebaut haben. Hier schlägt die faktische Autonomie örtlicher Taliban-Verwaltungen positiv zu Buche, genauso wie in den neun Provinzen, in denen höhere Mädchenschulen weiterarbeiten können. Mit den USA und der Weltbank verhandeln sie über eine Freigabe der eingefrorenen afghanischen Staatsguthaben im Ausland. Das geht nicht immer glatt, denn sie vertreten dabei auch ihre Eigeninteressen. Es gibt auch Anschuldigungen, dass sie ihre eigene Klientel bei der Hilfsverteilung bevorzugten und sich in die Arbeit von UN-Hilfswerken und Nichtregierungsorganisationen einzumischen versuchten.

Zudem behaupten die Taliban, dass die Mehrheit der weiblichen öffentlich Bediensteten, das sind 120 000 Frauen, wieder arbeiteten, darunter 94 000 im Bildungs- und 14 000 im Gesundheitssektor – Lehrerinnen an Mädchenschulen und medizinisches Personal für Patientinnen – und im Innenministerium, bei der Polizei sowie »im gesamten Privatsektor«. Das wird auch von westlichen Quellen bestätigt. Eine Frage ist, ob die Taliban auch jene Frauen als »arbeitend« zählen, die sie formal weiterbezahlen, obwohl sie nur einmal pro Woche an ihrem Arbeitsplatz zum Einschreiben erscheinen.

Auch ist der Schnitt zwischen Vorgängerregierung und Taliban nicht so radikal, wie es oft scheint. Auch unter der Vorgängerregierung wurden Medien und Zivilgesellschaft gegängelt. Frauenrechte standen oft nur auf dem Papier, eine konservative Parlamentsmehrheit versuchte immer wieder, die Rechte der Frauen abzuschaffen. Sogenannte regierungstreue Milizen, oft von der CIA gemanagt, entführten, mordeten und schoben die Morde oft den Taliban in die Schuhe. In ihren und den Gefängnissen von Polizei und Geheimdienst wurde systematisch gefoltert. Frauen scheuten aus Furcht vor sexuellen Übergriffen den Gang zur Polizei oder zum Gericht. Auch Polizistinnen, die so etwas eigentlich verhindern sollten, wurden selbst zu Opfern.

Der Drohnenkrieg des US-Militärs forderte zahlreiche Opfer. Es nahm bei Operationen in Taliban-Gebieten immer wieder zunächst alle Männer im kampffähigen Alter fest. Angehörige erfuhren nichts über deren Verbleib. Wer besonderes Pech hatte, landete in Bagram, dem »afghanischen Guantanamo«, oder gleich im US-Militärgefängnis auf Kuba. Für diese schiefe Perspektive sorgte auch, dass Medienberichterstattung aus Sicherheitsgründen, aber auch aus politischen Interessen eingeschränkt wurde. Embedding beim Nato-Militär oder bei choreografierten Besuchsreisen von Politiker*innen und Parlamentarier*innen war die Regel, nicht freie Berichterstattung. Schöngefärbte Lageberichte wie die der Bundesregierung taten ein Übriges. Westliche Journalist*innen, die viele Gebiete Afghanistans erst nach der Machtübernahme der Taliban wieder besuchen konnten, berichteten von einem ihnen unbekannten Ausmaß von Zerstörungen, die das westliche Militär angerichtet hatte. Für viele Menschen in Afghanistan war nicht mehr sichtbar, oder es machte keinen Unterschied, welche Seite verantwortlich für diese Zerstörungen war oder dafür, wenn sie bei Gefechten ins Kreuzfeuer oder unter Artilleriebeschuss gerieten.

Ausblick

Trotz der Homogenisierungsversuche der Taliban bleibt Afghanistan eine von vielen Konflikten politischer, ethnischer, zunehmend auch ökonomischer Natur geprägte Gesellschaft. Während fast die gesamte Bevölkerung in Armut versinkt, haben manche Geschäftsleute und Politiker der ehemaligen Regierung Reichtümer angehäuft. Es gibt auch Taliban-Führer, die an der Drogenwirtschaft partizipieren; von anderen sagt man, dass sie das Luxusleben in den Hotels von Doha genössen. Dazu kommt die Doppelmoral, dass einige ihre Töchter in die Schule schicken, das aber der Bevölkerungsmehrheit verwehren.

Allerdings ist die afghanische Gesellschaft nach 40 Jahren auch extrem fragmentiert und von tiefem Misstrauen geprägt. Das verhindert kollektives Handeln. Auch unter der Vorgängerregierung schaffte es keine Oppositionsbewegung, über kurzfristige, zum Teil eindrucksvolle Mobilisierungen hinaus langfristig wirksam zu bleiben. Sie scheiterten an der Kooptierung durch die Herrschenden beziehungsweise die Opposition oder an ethnischen Differenzen. Ähnlich ist es innerhalb der Taliban: Auch wenn einige ihrer prominenten Führer bei dem Ulema-Treffen latente interne Meinungsunterschiede andeuteten, wagte es niemand, generellen Dissens zu Hebatullahs Kurs zu äußern.

Unklar bleibt, welche Debatten bei den Taliban hinter den Kulissen tatsächlich weiterlaufen, und in welcher Schärfe. Gleichzeitig zeigten das Ulema-Treffen und Hebatullahs Machtwort zu den Mädchenschulen, dass der Taliban-Amir jederzeit eingreifen kann, wenn er rote Linien überschritten sieht. Offenbar wollen auch die Gemäßigteren keine Spaltung riskieren. Die ideologische Entfernung zwischen ihnen und dem Kreis um Hebatullah ist geringer als der zu allen anderen potenziellen Rivalen. Für alle anderen ist es hochgefährlich, sich öffentlich gegen die sich religiös selbstlegitimierenden Herrschenden zu stellen. Die Frage ist, wie lange die Taliban all diese Konflikte noch mit Gewalt werden deckeln können.

Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe des außenpolitischen Journals »WeltTrends« vom August 2022. Diese enthält unter anderem auch einen Themenschwerpunkt »Populismus im Süden« mit Beiträgen zu Brasilien, den Philippinen, Afrika und der Türkei. Zum Weiterlesen: www.welttrends.de.

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