Mehr als Wolfs Eva

Eine nicht korrumpierbare Künstlerin: Zum Tod von Eva-Maria Hagen

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Das wilde Kind der Nachkriegszeit, das sie war, sollte gezähmt werden. Brave Mädels braucht das Land? Nicht mit ihr. Aber die Rollen, die man ihr zuwies, ließen ihr zunächst keine Chance. Die Bardot der DDR? Nicht sehr hell im Kopf, aber großbusig und blond, die ideale Begleiterin für den reiferen Funktionär in gehobener Position? Dabei war sie nicht einmal blond, die Haare wurden gefärbt.

Wäre der Defa-Filmstar im Sommer 1965 Wolf Biermann nicht begegnet (und bis 1972 mit ihm liiert geblieben), sie wäre wahrscheinlich heute vergessen. Eine Fußnote der Filmgeschichte. Kennt man sie also bloß als Biermanns Muse? Nein, aber durch Biermann und die Auseinandersetzung um ihn, wurde sie kritischer und stärker.

Bis dahin hatte man sie kleingehalten, um sie groß rauszubringen. Das 1934 geborene Landarbeiterkind wurde in Wittenberge Maschinenschlosserin, studierte in Berlin ab 1952 Schauspiel und durfte 1953 am Berliner Ensemble in Erwin Strittmatters »Katzgraben« unter Brechts Regie spielen.

Der Durchbruch beim Film traf 1957 die 22-Jährige unvorbereitet. Der Film hieß »Vergesst mir meine Traudel nicht« – Regie: Kurt Maetzig, der gerade sein unseliges Thälmann-Sohn-und-Führer-seiner-Klasse-Opus hinter sich gelassen hatte. Bis zu seinem ehrenrettenden Verbotsfilm »Das Kaninchen bin ich« von 1965 brauchte er noch fast ein Jahrzehnt. Die ebenso unselige Traudel-Geschichte: Ein sich jeder Unterordnung verweigerndes Mädchen flüchtet aus einem Erziehungsheim, hat Amouren und wird schließlich von einem ältlichen Volkspolizisten, in dem sie die große Liebe findet, auf den rechten sozialistischen Weg geführt.

Das Publikum liebte Eva, weil sie wild war und dabei gut aussah; die ältlichen Funktionäre liebten die Art der Lösung des Konflikts: Einer von ihnen unterwarf das wilde Mädchen in höherem Auftrag. Es kamen wichtige Filme wie 1961 Hans-Joachim Kasprziks und Günter Reischs »Gewissen in Aufruhr« fürs Fernsehen, über Oberst Rudolf Petershagen, der Greifswald am Ende des Kriegs vor der Vernichtung bewahrte, indem er die Stadt der Roten Armee übergab, und Konrad Petzolds »Das Kleid«, der umgehend verboten wurde.

Biermann gesteht in seinen »Erinnerungen«, dass er die »vielleicht populärste DDR-Venus« bis 1965 gar nicht wahrgenommen habe: »Nur gut, dass ich kitschresistenter Brechtianer diese realsozialistische Heimatschnulze nicht genossen hatte, denn dann hätte mich vielleicht mein Vorurteil womöglich blind gemacht für Evas Reize.« Auch er bemerkt bei ihrer ersten Begegnung in Halle an der Saale, bei einem sogenannten Estradenprogramm, in dem beide auftreten, erst einmal nur ihre weiblichen Reize. Aber das Auftrittsverbot, das Biermann kurz darauf trifft, der Absturz des eben noch auf Höhenflug programmierten Liedermachers, verändert die Konstellation völlig. Eva-Maria Hagen, der Liebling diverser Spitzenfunktionäre, die mitsamt Tochter Nina in Wandlitz ein und aus geht, muss sich entscheiden. Und sie entscheidet sich: für Biermann.

In ihren 1998 erschienenen Erinnerungen »Eva und der Wolf« kann man ihre Briefe aus dieser Zeit nachlesen. Wie klug sie die Lage analysiert, wie fantasievoll sie auf die Misere reagiert! Plötzlich ist auch sie zum Observationsfall der Staatssicherheit geworden. Ein IM berichtet 1966: »Sie kommt von ganz unten … Sie ist eine Königin der Gosse.« Das zum Menschenbild der denunzierenden Genossen.

Das Ziel der Maßnahme heißt Zersetzung. Vor allem soll unterbunden werden, dass Hagen Biermann nach seinem Auftrittsverbot finanziell unterstützt. Also verliert sie längst vereinbarte Aufträge. Bereits im Dezember 1965 – da beginnt das berüchtigte »Kahlschlagplenum« der SED – ahnt sie, was kommt, und schreibt an Biermann: »Im Neuen Deutschland heute wurde eine Hetzkampagne angekündigt, der Startschuss abgefeuert; die Hunde sind los und machen Jagd auf den bösen Wolf. Ich bin keine Pessimistin, kann mir aber lebhaft vorstellen, welche Kettenreaktion das auslöst. Mit Dir hab ich mir was eingefangen!« Der bis eben so verwöhnte Defa-Star zeigt einen starken Charakter. Im selben Brief heißt es: »Möcht nicht wissen, wie es um unsere Planwirtschaft bestellt ist, wie tief die Karre im Dreck steckt und wer zieht sie wieder raus? Dabei wollten wir überholen, ohne einzuholen.«

Biermanns Ausbürgerung 1976 ist der Anfang vom Ende der DDR. Sie stemmt sich dagegen, sammelt mit Tochter Nina Unterschriften – vergeblich. 1977, nach dem endgültigen Berufsverbot, verlassen beide die DDR. Die große Karriere kam im Westen für sie nicht. Aber wichtige Dinge schon, auch wieder Auftritte mit Wolf Biermann. Lieder und Texte, die den Bogen von der Liebe über den Verrat hin zum Krieg schlugen – das Jahrhundertschicksal des Kommunismus, das sie beide prägte.

Die Aufzeichnung eines Hamburger Konzerts aus den 80er Jahren, das unter dem Titel »Liebe und Verrat« stand, hatte ich als Jugendlicher auf dem Kassettenrecorder aufgenommen und so oft gehört, bis das Band zerschlissen war. Eines dieser Lieder, das sie später noch öfter zusammen sangen, war Bulat Okudschawas »Die erste Liebe«, aus dem Russischen übersetzt von Biermann. Darin heißt es: »Ach, der erste Verrat – / kann aus Schwäche geschehn, / Und der zweite Verrat – / will schon Orden sehn, / Doch beim dritten Verrat – / musst du morden gehn, / selber morden gehn / – und das ist geschehn!« Ihre Stimme kreiste über der Biermanns wie die eines Vogels hoch oben am Himmel. So war sie: Auf erfahrungskluge Weise vom Leben und der Liebe verführbar, aber nicht korrumpierbar. Am 16. August ist Eva-Maria Hagen im Alter von 87 Jahren in Hamburg gestorben.

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