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- Rot-Rot-Grün in Thüringen
Mehr direkte Demokratie wagen
Linke will Thüringer über Änderungen an der Landesverfassung abstimmen lassen
In der seit Jahren andauernden Debatte um die Einführung weiterer Elemente direkter Demokratie in Thüringen will Die Linke die Menschen künftig auch bei grundsätzlichen Fragen einbeziehen. Nach einem Gesetzentwurf der Linksfraktion im Thüringer Landtag sollen die Bewohner des Freistaates bald auch über Änderungen an der Landesverfassung abstimmen können. Es sei »kein Hexenwerk«, die Menschen an möglichen Verfassungsänderungen zu beteiligen, sagte die Sprecherin für Demokratie und Verfassung der Fraktion, Anja Müller, kürzlich in Erfurt.
Die Fraktion will ihre Pläne zunächst mit ihren Koalitionspartnern von SPD und Grünen besprechen, anschließend mit der CDU. Für die Umsetzung des Vorschlags ist eine Verfassungsänderung notwendig. Diese kann nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag beschlossen werden. Rot-Rot-Grün wäre also auf die Stimmen der Union angewiesen. In der Vergangenheit war es schwierig, eine solche Mehrheit auf die Beine zu stellen.
Müller erklärte, wenn es um Bürgerbeteiligung bei Verfassungsänderungen gehe, schlage ihre Fraktion ein in mehrerer Hinsicht abgestuftes Verfahren vor. Grundsätzlich sollten Bürger über sogenannte Verfassungsreferenden bei geplanten Änderungen beteiligt werden. Ein solches Referendum solle dann als angenommen gelten, wenn die Mehrheit derer, die sich daran beteiligen, für dessen Annahme stimmen. Das Quorum, also die notwendige Gesamtbeteiligung, würde bei 20 Prozent der wahlberechtigten Thüringer liegen.
Die andere Abstufung: Wenn es um Änderungen an Grundrechten geht, müssten die Menschen nach den Vorstellungen der Linken verpflichtend beteiligt werden, sagte Müller. Das sei zum Beispiel dann der Fall, wenn Kinderrechte in die Verfassung geschrieben werden sollten. Bei Änderungen an Verfassungsartikeln, die nichts mit Grundrechten zu tun haben – wie etwa Regelungen zum Wahlalter –, könnten sie nach den Plänen der Fraktion einbezogen werden. Das sei aber nicht verpflichtend.
Manche denkbaren Änderungen sollten dagegen auch durch ein Referendum nicht in die Landesverfassung kommen können, so Müller. Dies betreffe Dinge, die gegen die Menschenwürde verstoßen, wie etwa Forderungen, die auf eine Wiedereinführung der Todesstrafe abzielten.
In Thüringen wird seit Langem über etwaige Änderungen an der Landesverfassung diskutiert. Der Landtag hat dazu einen eigenen Verfassungsausschuss gebildet. Dort gibt es bislang keine Einigung zwischen Rot-Rot-Grün und der CDU. Müller bestritt, dass der Vorschlag der Linken auf Frust darüber zurückzuführen sei, dass es in diesem Ausschuss trotz monatelanger Debatten bislang nicht zu konkreten Ergebnissen gekommen ist. Vielmehr sei der Vorschlag als »verbindendes Element« gedacht, mit dem die verschiedenen Vorschläge zu Verfassungsänderungen der verschiedenen Fraktionen den Bürgern vorgelegt werden könnten.
Gleichzeitig sei der Vorschlag so gestaltet, dass er auch die Sicht von Kritikern der Ausweitung von direkt demokratischen Elementen berücksichtige. Indem menschenrechtsfeindliche Haltungen auch über eine Bürgerbeteiligung nicht in die Verfassung geschrieben werden können sollten, habe man einen Schutzschild vor allem gegen rechtspopulistisches oder rechtsextremes Gedankengut in den Gesetzentwurf eingebaut, betonte Müller. Wichtig sei, die Ausweitung der direkten Demokratie nicht deshalb zu stoppen, weil manche Menschen extrem aggressiv oder rechtsextrem seien. Wenn man sich deshalb mehr direkte Demokratie verbiete, »dann verlieren wir auch noch den Rest der Bevölkerung«, erklärte die Landtagsabgeordnete der Linken.
Der Verein »Mehr Demokratie« begrüßte die Vorschläge der Linken grundsätzlich. »Verfassungsänderungen vom Volk bestätigen zu lassen, ist ein demokratisch richtiger Ansatz. Schließlich geht es um das Fundament unseres politischen Systems«, sagte der Sprecher von »Mehr Demokratie« in Thüringen, Ralf-Uwe Beck. Allerdings gebe es noch einige Detailfragen zum Vorschlag der Linken zu klären.
Die Grünen äußerten sich dagegen skeptisch. Ein Blick auf den aktuellen Landtag zeige, dass eine parlamentarische Mehrheit aus Linkspartei, SPD, Grünen und CDU bereits ein sehr breites gesellschaftliches und politisches Spektrum abbilde, sagte die Sprecherin der Grünen-Fraktion für den Verfassungsausschuss, Laura Wahl. Und diese vier Fraktionen hätten eben zusammen eine Mehrheit im Landtag, um die Landesverfassung zu ändern. Zudem habe »das Volk« bereits jetzt die Möglichkeit, Gesetze und die Verfassung durch Volksbegehren zu ändern. Volksbegehren funktionieren nach anderen Regeln als die von der Linken vorgeschlagenen Referenden.
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