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Russland baut seinen ökonomischen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten aus

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt Orte, an denen 15 Minuten Sport unter freiem Himmel so gesundheitsschädlich sind wie eine ganze Packung Zigaretten. Und viele dieser Orte liegen im Nahen und Mittleren Osten. Die Bevölkerungszahlen in den arabischen Ländern und im Iran sind in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen, die Städte immens gewachsen – und damit auch die Probleme. Statt einen funktionierenden öffentlichen Nah- und Fernverkehr zu entwickeln, setzte man allerorts aufs Auto und bei der Energieversorgung auf konventionelle Energien wie Kohle, Öl oder Gas. Das Ergebnis: eine enorme Luftverschmutzung.

»Die Umwelt hat heute für unsere Bevölkerung einen ähnlich hohen Stellenwert wie die Versorgung mit bezahlbaren Grundnahrungsmitteln, und das ist eine enorme Herausforderung«, sagt Ahmed Saleh, der ägyptische Minister für Handel und Industrie; ähnliche Aussagen sind von Regierungsmitgliedern aus fast allen arabischen Staaten und auch aus dem Iran zu hören. Und so gut wie überall sieht man seit einigen Jahren die Lösung in einer verstärkten Kooperation mit russischen Unternehmen.

Rosatom, die für Atomenergie zuständige russische Behörde, baut in Ägypten und der Türkei Atomkraftwerke, die nahezu vollständig über langfristige Darlehen von russischen Banken bezahlt werden. Und in Ägypten, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait baut man bei der Stromerzeugung auf günstiges Öl aus Russland, während man versucht, auf erneuerbare Energien umzustellen. »Sonne haben wir ja wirklich genug«, sagt Saleh, »aber es braucht eben auch Zeit.«

Von Solidarität mit der Ukraine mag in der Region so gut wie niemand sprechen. Man habe eigene Probleme, die man lösen müsse, heißt es überall, sehr zum Leidwesen vor allem der US-Regierung, deren Botschafter immer wieder bei den Regierungen der Region vorsprechen, um die Umsetzung der Russland-Sanktionen einzufordern. Doch bereit dazu ist niemand, im Gegenteil: Im Juni war Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al Sisi in Sankt Petersburg und bekam dort die Zusagen von russischen Milliarden-Investitionen in einen Industriepark am Suezkanal. Im Juli traf Präsident Wladimir Putin mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raeissi und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyib Erdoğan zusammen und versprach Investitionen in die iranische Öl- und Gasförderinfrastruktur. Und im Irak sagte die russische Lukoil einen schnellen Ausbau der Förderanlagen im West Qurna 2-Ölfeld zu. Das Unternehmen besitzt einen Anteil von 75 Prozent an dem riesigen Feld, mit geschätzten Reserven von 14 Milliarden Barrel. Der Rest gehört der irakischen Regierung. In den kommenden Monaten sollen die Fördermengen von 400 000 Barrel am Tag auf mindestens 600 000 Barrel gesteigert werden.

Westliche Experten vermuten, dass die russische Regierung so ihren Einfluss in der Region ausbauen will. Doch für viele der örtlichen Regierungen geht es vor allem ums Überleben: Auch wenn so gut wie alle Länder im Nahen und Mittleren Osten autokratisch regiert werden, kann niemand an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeiregieren. Hohe Nahrungsmittel- oder Energiepreise führen regelmäßig zu Massenprotesten; in den vergangenen 100 Jahren sind darüber immer wieder Regierungen oder sogar ganze Systeme gestürzt.

Und der Ukraine-Krieg hat zu erheblichen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln geführt, die von den Regierungen durch Subventionen aufgefangen werden. Dies ist auch ein Grund, warum Länder trotz ihrer Reserven Öl aus Russland importieren. Dank der Sanktionen ist das Öl aus Russland günstig, während es, wie Gas, auf dem Weltmarkt teuer ist. Man nutzt also die billigen Lieferungen aus Russland für die eigene Energieversorgung und verkauft die eigene Produktion zu Weltmarktpreisen weiter – auch in Ägypten, wo im Mittelmeer Gasfelder entwickelt wurden. »Unser Ziel ist es, mittelfristig zum Energielieferanten für die Region zu werden«, sagt Saleh. In Assuan entsteht ein gigantischer Solarpark, zusammen mit der Atomenergie wolle man in Zukunft den eigenen Energiebedarf decken und Strom und Gas in andere Länder exportieren.

Dass die Regierungen in der Region dabei mit Unternehmen aus Russland oder China kooperieren, liegt vor allem daran, dass man dafür Infrastruktur bekommt, die man sich ansonsten nicht leisten könnte. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass die Vorbehalte gegen europäische und amerikanische Regierungen überall in der Region erheblich sind: Im Irak bemängeln Regierungsmitarbeiter, viele der US-Hilfen in den vergangenen Jahrzehnten seien an die Auftragsvergabe an US-Unternehmen gebunden gewesen. In Ägypten beklagt man sich über die strikten Sparvorgaben, die mit Krediten des Internationalen Währungsfonds einhergehen. Und zudem beklagt man sich darüber, dass der Westen immer wieder die Einhaltung von Menschenrechten beklagt. »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« nennt man das in der Region. Aus Russland gibt es solche mahnenden Worte nicht.

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