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Wachstum mit kleinen Gängen

Die Deutschland-Tour wird wichtiger, aber auf Kosten junger Talente

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Fabio Jakobsen gefällt es in Deutschland. Nach EM-Gold in München geht der Niederläner nun in Weimar bei der Deutschland-Tour an den Start.
Fabio Jakobsen gefällt es in Deutschland. Nach EM-Gold in München geht der Niederläner nun in Weimar bei der Deutschland-Tour an den Start.

Die Deutschland-Tour mausert sich. Immerhin 14 Teams mit World-Tour-Status treten an diesem Mittwoch in Weimar zur Fünf-Etappen-Fahrt über insgesamt 711 Kilometer an. Im vergangenen Jahr waren es lediglich neun Rennställe der höchsten Kategorie im Profiradsport. Sogar ein früherer Grand-Tour-Sieger ist diesmal dabei: Der Kolumbianer Egan Bernal setzt das »Rehabilitationsprogramm« nach seinem Horrorsturz im Frühjahr nun in Deutschland fort. Beim Zusammenprall mit einem stehenden Bus hatte er sich unter anderem elf Rippen, zwei Wirbel, einen Oberschenkel und eine Kniescheibe gebrochen. Zudem wurden beide Lungenflügel perforiert, und es bestand die Gefahr einer Querschnittslähmung. Die Dänemark-Rundfahrt gab er bei seinem ersten Comeback-Einsatz vergangene Woche noch auf, in Deutschland will er nun bis zum Ende in Stuttgart kommen.

Auch Zeitfahrspezialist Filippo Ganna aus Italien, Teamkollege von Bernal bei Ineos Grenadiers, ist für den Start in Weimar gemeldet. Auf dem gerade einmal 2,7 Kilometer kurzen Prolog zwischen Dichter- und Denker-Monumenten kann der Weltmeister mit seinem Regenbogentrikot glänzen. Und auch der derzeit schnellste Sprinter im Profifeld macht seine Aufwartung. Der Niederländer Fabio Jakobsen hat es vor allem auf die Etappen eins und zwei – von Weimar nach Meiningen und von dort nach Marburg – abgesehen, nachdem er sich erst vor einer Woche in München den Europameistertitel gesichert hat.

Das Profil der Tage danach ist dann ganz auf den Liebling der deutschen Fans während der Tour de France im Sommer zugeschnitten: Simon Geschke. Der gebürtige Berliner eroberte bei der Frankreich-Rundfahrt zunächst das Bergtrikot und verteidigte es aufopferungsvoll neun Tage lang. Erst am letzten Tag in den Pyrenäen nahm ihm der spätere dänische Gesamtsieger Jonas Vingegaard das Trikot wieder ab. Geschke war untröstlich. Immerhin erwies ihm das Feld die Ehre, auf der Abschlussetappe nach Paris ganz allein den allerletzten zu vergebenen Bergpunkt zu erobern.

Beim höchsten Anstieg der Deutschland-Tour, dem 1207 Meter hohen Schauinsland bei Freiburg, genießt Geschke Heimvorteil. »Das sind meine Trainingsstrecken. Ich werde das sehr genießen«, kündigte er gegenüber dem SWR an. Unterstützt wird er dieses Mal jedoch nicht von seinen gewohnten Kollegen des Cofidis-Teams. Die Franzosen schickten noch nie eine Mannschaft zur seit 2018 neu ausgetragenen Deutschland-Tour. Immerhin lassen sie Geschke aber für die deutsche Nationalmannschaft fahren.

Die besteht vor allem aus jungen Athleten, unter anderem dem deutschen U23-Meister Jannis Peter sowie Tom Lindner (20). Beide gehörten im vergangenen Jahr noch zum tapferen unterklassigen Continental-Team P & S Metalltechnik. Der Thüringer Rennstall fuhr auf der zweiten Etappe auf heimischen Straßen im Versuch, das Bergtrikot zu verteidigen, zwischenzeitlich das komplette Fahrerfeld auseinander. Das verschaffte Respekt selbst bei den Stars – und löst nun umso größeres Unverständnis aus, warum das Thüringer Team zum Start in Weimar keine neue Einladung erhielt. Wenigstens sind Lindner und Peter über das Nationalteam dabei. Aber wenn es das Ziel der Deutschland-Tour ist, eine größere Basis für den Radsport zu schaffen, müssen auch die heimischen Teams eine Chance erhalten.

Allerdings stellt es für Renndirektor Fabian Wegmann auch einen Balanceakt dar, einerseits für Glamour zu sorgen und mehr World-Tour-Teams zu verpflichten, auf der anderen Seite wiederum die kleineren einheimischen, jedoch ohne Stars besetzten Teams nicht zu vergessen. Nur drei von denen bekamen anno 2022 die Zusage.

Ein Favorit auf den Gesamtsieg ist Emanuel Buchmann. Der 29-jährige Ravensburger ist kurzfristig Kapitän des Bora-Teams geworden, denn eigentlich hatte er sich auf die vor wenigen Tagen gestartete Spanien-Rundfahrt vorbereitet, musste dort aber wegen einer Infektion passen. Die Form stimmt jedoch noch, also freut sich Buchmann auf eine erstmals ins Programm genommene Bergankunft am Samstag.

Auch der Schlusstag danach ist ob der 3300 Höhenmeter sowie der 16 Prozent steilen Rampe am Stuttgarter Herdweg, die gleich dreimal erklommen werden muss, ein Fest für Kletterer. Gefährlich könnten Buchmann vor allem der frühere Tour-de-France-Zweite Romain Bardet aus Frankreich, der Portugiese Ruben Guerrero, der Brite Adam Yates und der einstige Tour-Bergkönig Rafal Majka aus Polen werden.

Aus deutscher Sicht schielt auch noch Georg Zimmermann auf die Gesamtwertung. Max Kanter und Phil Bauhaus suchen derweil auf den ersten Etappen Sprinterfolge. Titelverteidiger Nils Politt könnte sich als Solist an einem dieser Abschnitte in Thüringen und Hessen hervortun. Es sind also genügend deutsche Profis von Statur dabei. Zwar fehlen im Gegensatz zu früheren Austragungen der Deutschland-Tour in den 70er und 90er Jahren die alles überstrahlenden Figuren wie Dietrich Thurau und Jan Ullrich. Aber für den 2018 eingeleiteten Neustart gibt es eine breitere Basis an guten einheimischen Fahrern. Jetzt muss dieser Unterbau wachsen: Mit Nachwuchsteams, die zur Heimatrundfahrt eingeladen werden, und weiteren Rennen, in denen sich die Talente beweisen können.

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