Wenn die Kirschblüte tupft

Zum Tod von Theo Sommer

Der bekannte Journalist Theo Sommer ist tot. Der langjährige Chefredakteur und Mitherausgeber der »Zeit« starb am Montag im Alter von 92 Jahren in Hamburg. Das Personenarchiv Munziger nennt ihn einen »eloquenten Schreiber und fundierten Kenner der Weltpolitik«. Er gilt als einer der großen bürgerlichen Journalisten der alten Bundesrepublik, rechts-sozialdemokratisch orientiert, fleißig und allzeit meinungsbereit.

In dieser Funktion war er auch das liebste Studien- und Demonstrationsobjekt des 2019 verstorbenen »Konkret«-Herausgebers Hermann L. Gremliza, der ihn regelmäßig in seiner monatlichen Rubrik »Gremlizas Express« für die Verbreitung von zart-pathetisch formuliertem Flachsinn in Form unbekümmert benutzter Stilblüten und Stanzen kritisierte. »Was am Ende wird, steht noch dahin« – das war der Sound der »Zeit« unter Theo Sommer.

Für Gremliza war Sommer der Antagonist des guten Schreibens, als solcher noch bedeutender als der von ihm oft vorgeführte Kleinst- und Megadichter Lutz Rathenow, da er politisch wesentlich exponierter war. Mit seinen merkwürdigen Vergleichen und schiefen Bildern war auch Sommer ein unverstandener Dichter, wenn er etwa formulierte: »Warum will Genscher sich selber die Gruben graben, in die er morgen fällt. Sollte der Bundesaußenminister den Stier vielleicht lieber bei den Hörnern packen…« Gremliza ergänzte an dieser Stelle: »…anstatt dem Fass die Krone ins Gesicht zu schütten?«

Gremliza nannte ihn fast schon zärtlich nachnamenslos »Theo«. »Auf der Redaktion«, wie sie in Hamburg bei der »Zeit« sagten, sei er »Ted« gerufen worden, berichtet seine zweite Ehefrau, die Übersetzerin Heide Sommer, in ihren lesenswerten Erinnerungen »Lassen Sie mich mal machen«. Denn in den späten 50er Jahren, als der in Konstanz geborene Sommer nach einem Studium der Anglistik, Geschichte und Politikwissenschaften in Tübingen, North Manchester und Chicago als politischer Redakteur bei der »Zeit« anfing, galt er als frischer Modernist, »der ja in Amerika studiert hatte und Kontakte zum Weißen Haus und zum Pentagon pflegte«. 

Er wurde von Marion Gräfin Dönhoff gefördert und nahm in den USA am Internationalen Seminar von Henry A. Kissinger teil. Später wurde er Mitglied beim »Internationalen Institut für Strategische Studien« in London, bei der Bilderberg-Konferenz und der Atlantik-Brücke. Von 1973 bis 1992 war er als Nachfolger von Dönhoff Chefredakteur und anschließend bis 2000 gemeinsam mit ihr und dem Ex-Kanzler und selbsternannten obersten Weltökonom Helmut Schmidt Herausgeber der »Zeit«.

Sommer war ein Mann des Westens, wie man ihn sich kaum besser ausdenken kann. Politik musste bei ihm unbedingt poetisch sein, dann schreibt sie sich besser weg, etwa derart: »Auf leisen Sohlen hat in der vorigen Woche der Frühling seinen Einzug in Washington gehalten. Die Kirschblüte tupfte die Parks am Potomac in wattiges Weiß, Phlox und Forsythien sprenkelten die Stadt mit kräftigem Lila und sattem Gelb, es gab den ersten warmen Regen der Saison. Und nach einem langen Winter des Mißvergnügens beginnt auch Jimmy Carter endlich, Frühlingsluft zu wittern.«

Was gerne vergessen wird: Von 2005 bis 2011 hinterzog er Steuern für Honorare in Höhe von rund 650 000 Euro, »aus Schusseligkeit oder Schlamperei«, wie er einräumte. Dafür bekam er eine Bewährungs- und Geldstrafe. Was nicht so bekannt ist: Er war einer der ersten Windsurfer in der Bundesrepublik.

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