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- Finanzsenator Daniel Wesener
»Die Gasumlage ist nicht das gerechteste Modell«
Berlins Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) über die Entlastungspolitik des Bundes und die Möglichkeiten des Landes
Herr Wesener, Sie hatten kürzlich kritisiert, die Zehn-Milliarden-Euro-Steuerpläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wären in etwa so sozial und zielgenau wie der Tankrabatt. Stattdessen brauche es »eine echte Entlastung durch eine gerechte Verteilung der Krisenkosten«. Was heißt das konkret: gerechte Verteilung?
Daniel Wesener ist seit Dezember 2021 Berliner Finanzsenator. Von 2011 bis 2017 war der Grünen-Politiker Berliner Co-Landesparteichef, 2016 bis 2021 schließlich Parlamentarischer Geschäftsführer und haushaltspolitischer Fraktionssprecher im Abgeordnetenhaus. Der 46-Jährige ist im Grünen-Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg verwurzelt und gilt als Vertreter des linken Parteiflügels. Mit ihm sprach nd-Redakteur Rainer Rutz.
Was gerecht ist, liegt ein Stück weit im Auge der Betrachter. Aber so viel kann man sagen: Das Gießkannenprinzip ist nicht nur sehr teuer für die öffentliche Hand, es begünstigt auch Gut- und Spitzenverdiener, die auf Hilfe gar nicht zwingend angewiesen sind. In der jetzigen Situation sollte es aber in allererster Linie darum gehen, den Menschen zu helfen, die angesichts der Inflation und steigender Energiekosten und Lebensmittelpreise vor echten wirtschaftlichen Herausforderungen stehen.
Aber würden Sie in dem Zusammenhang sagen, die Gasumlage ist gerecht?
Auch die Gasumlage ist nicht das gerechteste Modell von allen. Dass man die systemrelevanten Versorger und kommunalen Stadtwerke stützt, ist zwingend, will man im Winter nicht im Kalten sitzen. Aber auch das muss jemand bezahlen. Außerdem muss die Bundesregierung sicherstellen, dass die Umlage tatsächlich nur Unternehmen in Bedrängnis zugutekommt – und nicht solchen, die zu Krisenprofiteuren zählen und Übergewinne erwirtschaften.
Nun bezahlen es alle – auch die, die sich das gar nicht leisten können.
Deshalb war ja auch von Anfang an ein steuerfinanziertes Modell im Gespräch. Und wenn jetzt die Umlage durch einen reduzierten Mehrwertsteuersatz ausgeglichen wird, dann ist das de facto eine Steuerfinanzierung. Aber auch hier kann man natürlich die Frage stellen: Wer verdient so gut, dass er zumindest anteilig etwas höhere Energiekosten tragen kann? Und umgekehrt: Wer ist in der gegenwärtigen Situation in besonderer Art und Weise auf staatliche Hilfen angewiesen? Finanzschwache Haushalte werden ja durch die Inflation und steigende Energiekosten überproportional belastet. Gerade weil die Höhe der Finanzmittel insgesamt begrenzt ist, braucht es eine Gerechtigkeitsdiskussion. Leider wird sie nicht wirklich geführt.
Jetzt haben Sie immer noch nicht gesagt, was aus Ihrer Sicht »eine echte Entlastung durch eine gerechte Verteilung der Krisenkosten« ist.
Meine Präferenz ist ein Energiegeld, das gezielt Menschen mit niedrigen Einkommen entlastet. Das kann man über das Steuerrecht machen und stärker differenzieren, als das bisher getan wird. Das scheint mir der sehr viel bessere und gerechtere Weg zu sein, als viele teure Hilfen aufzulegen, von denen alle ein bisschen profitieren.
Wir schauen die ganze Zeit auf den Bund. Was kann Berlin selbst beitragen zur Entlastung der Menschen?
Die Frage ist doch: Welche Hilfen funktionieren eigentlich? Wer eine seriöse Diskussion darüber führen möchte, muss die Rahmenbedingungen kennen. Was leistet der Bund, und wo müssen die Länder und Kommunen Bürgerinnen und Bürger zusätzlich entlasten? Die Situation der Länderhaushalte lässt es nicht zu, alleine zu agieren. Das Land Berlin hat einen strukturell defizitären Haushalt.
Aber gerade kommt doch durch die Inflation ordentlich etwas rein.
Ja, wir nehmen zum jetzigen Zeitpunkt mehr Steuern als im letzten Jahr ein, aber das sind in der Tat Sondereffekte. Diesen Mehreinnahmen stehen auch Mehrausgaben gegenüber, weil das Land jetzt natürlich auch selbst inflationsbedingt höhere Kosten hat.
Sie sagen damit, Berlin kann sich Alleingänge bei Entlastungen nicht leisten?
In der Tat sind die Möglichkeiten der Länder begrenzt. Wenn wir wirklich helfen wollen und wenn wir das zielgerichteter und gerechter tun wollen, als es bislang passiert, dann müssen wir vorher wissen, was der Bund tut und was nicht. Wir haben mit dem Haushaltsgesetz beschlossen, dass wir für diesen Fall Vorsorge treffen und dass wir auch Geld in die Hand nehmen wollen. Wir haben aber auch festgeschrieben, dass das natürlich subsidiär geschehen muss. Dass unsere Hilfen also nicht Hilfen des Bundes doppeln oder ersetzen, sondern eine kluge Ergänzung darstellen sollen.
Berlin wartet also erst mal auf den Bund? Fließt da nicht etwas viel Wasser die Spree herunter, bis hier konkret irgendjemandem geholfen wird?
Ich zumindest möchte nicht, dass wir mit Berliner Steuermitteln vor allem Herrn Lindner entlasten. Es hat niemand etwas davon, wenn wir Hilfen auszahlen, die beispielsweise im Transferhilfebereich dann wieder gegengerechnet werden. Mir fallen eine ganze Reihe von guten Maßnahmen ein, wo sich zum jetzigen Zeitpunkt aber die Frage stellt, ob sie Sinn ergeben, wenn der Bund dasselbe oder eben auch etwas ganz anderes macht. Man sollte nicht den zweiten Schritt vor dem ersten gehen. Wir stehen auch als Land in der Pflicht, das ist gar keine Frage. Aber wir sollten den völlig berechtigten Sorgen vieler Menschen nicht entgegentreten, indem wir ganz viele Maßnahmen ankündigen, die sich am Ende ganz anders darstellen. Die gute Absicht allein hat noch keine Wohnung warm gemacht.
Nun ja, der Herbst naht. Die Diskussionen sollten demnächst auch mal abgeschlossen sein. Sonst bekommt man wirklich viele Wohnungen nicht warm.
Wir machen uns im Senat längst Gedanken über die Frage, wie die 380 Millionen Euro verteilt werden können, die als Vorsorge für die steigenden Energiekosten im Haushalt stehen. Und wir werden einen solchen Härtefallfonds beschließen. Ich gehe davon aus, dass der Bund bereits im September erste Entscheidungen fällen wird, wie ein drittes Entlastungspaket aussehen kann. Lange zu warten, ist sicherlich keine Option. Aber es ist auch nicht zielführend, jetzt Festlegungen zu treffen, wenn sich einen Monat später ganz andere Voraussetzungen ergeben.
Also doch Abwarten und Teetrinken?
Nein, mein Appell lautet, dass man nicht jeden Tag neue Ideen ventiliert, sondern dass man schaut: Was braucht es? Wer braucht es besonders nötig? Wie kann das finanziert werden? Und wie geht es dabei möglichst gerecht zu? Und klar, am Ende muss es auch noch funktionieren. Das ist eine Diskussion, die sich lohnt. Alles andere wirkt auf mich wie Aktionismus.
Zählen Sie hierzu auch Forderungen wie die von SPD-Landeschef Raed Saleh und anderen, über die im Doppelhaushalt verankerte Schulden-Sondertilgung in Höhe von 540 Millionen Euro zu reden, diese also zu verschieben, um mehr Geld für in Not geratene Berliner bereitstellen zu können?
Ich verstehe den Impuls: Warum sollen wir Schulden zurückzahlen, wenn es dieses Geld womöglich für andere Dinge braucht? Aber bei den genannten 540 Millionen Euro handelt es sich um einen Teil der sogenannten Corona-Notfallkredite. Die werden wir entweder für die Pandemiebewältigung benötigen oder zeitnah zurückzahlen müssen. So ist die Rechtslage. Daher kommt die Idee einer Sondertilgung: Wir zahlen nicht verausgabte Kredite zurück, die wir auch gar nicht anders nutzen können und verschaffen damit dem Landeshaushalt mehr Spielräume in den Folgejahren.
Die Forderung ist Populismus?
Nein, aber natürlich klingen solche Forderungen besser als der Versuch, komplexe Sachverhalte zu erklären. Wobei mein Eindruck ist: Gerade in der Krise möchten die Leute behandelt werden wie Erwachsene. Sie wollen keine falschen Versprechen hören, kein falsches Mitleid, sondern sie wollen ehrliche Antworten auf ihre Fragen und wissen, was die Politik tatsächlich machen kann.
Bleiben wir beim Thema Ideen. Es gibt verschiedene Vorschläge für eine Nachfolge für das jetzt auslaufende 9-Euro-Ticket. Die Grünen wollen ein 29-Euro-Ticket, die SPD will ein Jahresticket für 365 Euro, der Bundesfinanzminister will nichts dergleichen, zumindest nicht aus Bundesmitteln finanziert. Was wollen Sie?
Zunächst einmal – und das sage ich als Finanzsenator und Grüner – wäre es eine vertane Chance, das 9-Euro-Ticket einfach wieder zu beerdigen. Wir haben wertvolle und ganz überwiegend positive Erfahrungen damit gesammelt. Es bietet aber auch einen guten Anlass, um ganz grundsätzlich über die Finanzierung eines öffentlichen Personennahverkehrs in Deutschland nachzudenken, der gut und bezahlbar ist. Die Länder, auch Berlin, haben angeboten, dass sie sich an einer Nachfolgelösung des Bundes beteiligen. Dazu stehe ich.
Zu dieser Lösung dürfte es – nach jetzigem Stand – dank der FDP nicht kommen. Könnte sich Berlin einen Nachfolger auch ohne den Bund leisten?
Völlig klar: nein. Das gilt zumindest für das 29-Euro-Ticket wie für das 365-Euro-Jahresticket. Es wäre ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag, der hier jährlich anfallen würde. Zudem würden sich beihilferechtliche Fragen stellen. Und dann gibt es noch einen ganz praktischen Grund: Berlin könnte nicht allein über die Fortführung entscheiden, denn wir sind Mitglied im VBB, im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, und da würde ich auch gern drinbleiben. Solche Entscheidungen müsste man also im Einvernehmen mit der brandenburgischen Landesregierung und den Landkreisen fällen. Deshalb: Für eine große, dauerhafte Lösung wird es ohne den Bund und wird es in Berlin auch nicht ohne Brandenburg gehen.
Spanien finanziert den kostenlosen ÖPNV über die Übergewinnsteuer, die es in Deutschland – ebenfalls dank der FDP – ja nicht geben soll.
Zumindest ist das ein Beispiel dafür, wie bestimmte temporäre Entlastungsmaßnahmen durch temporäre Einnahmeverbesserungen refinanziert werden können. Da sind die Spanier ein bisschen klüger unterwegs als Teile der deutschen Politik.
Wann kommt eigentlich der Berliner Nachtragshaushalt?
Auch das bleibt abzuwarten. Zum jetzigen Zeitpunkt braucht es einen Nachtragshaushalt jedenfalls nicht zwingend. Wir haben 380 Millionen Euro im Landeshaushalt für steigende Energiekosten eingeplant, und es gibt weitere Rücklagen. Gleichzeitig werden nun auch die ganzen Rechnungen fällig, die uns der Bund bereits ausgestellt hat, die aber noch nicht bezahlt worden sind. Also die bisherigen Entlastungspakete, die ja auch von den Ländern mitfinanziert werden. Wir werden vielleicht erst im vierten Quartal wirklich wissen, ob es einen Nachtragshaushalt 2022 braucht und wie groß er gegebenenfalls sein muss.
Apropos Haushaltsverhandlungen. Als es um den Doppelhaushalt 2022/2023 ging, hieß es von allen Seiten, Daniel Wesener will hier was wegnehmen und dort was zusammenkürzen. Ob berechtigt oder nicht: Als Finanzsenator findet man sich schnell in der Buhmann-Rolle wieder. Nervt Sie das?
Man wird als Finanzsenator doch dafür bezahlt, der Buhmann zu sein, oder? (lacht) Damit kann ich leben. Und nein, es nervt nicht, weil ich es richtig finde, wenn Menschen für ihre inhaltlichen Anliegen kämpfen. Aber im Grunde wissen ja die meisten, dass nicht alles finanzierbar ist. Ich glaube, in der Debatte wird häufig unterschätzt, dass viele Menschen bestimmte politische Phrasen genauso ernst nehmen, wie man sie nehmen muss – nämlich gar nicht.
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