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Ammoniak aus Neufundland
Kanada und Deutschland vereinbaren Wasserstofflieferungen
Die große Insel Neufundland vor der Südostküste Kanadas ist für ihre unberührte Natur bekannt. Touristen kennen sie vielleicht durch Kajaktouren, Walbeobachtungsfahrten und kleine Städtchen wie Stephenville. Mit der Beschaulichkeit der 7000-Einwohner-Ortschaft könnte es in einigen Jahren vorbei sein, zumindest wenn es nach den Vorstellungen der kanadischen Regierung geht, die dort ein Zentrum für grünen Wasserstoff errichten lassen möchte – und jetzt auch einen ersten Abnehmer an Land ziehen konnte: Energieminister Jonathan Wilkinson unterzeichnete mit seinem deutschen Amtskollegen Robert Habeck in Stephenville am Dienstag ein Lieferabkommen. Mit dabei waren auch Premierminister Justin Trudeau und Bundeskanzler Olaf Scholz, der zum Besten gab: »Im Wasserstoff liegt die Zukunft.« Trudeau sieht sein Land schon als »Anführer bei sauberer Energie«.
Doch so weit ist es noch lange nicht: Erst einmal benötigt man große Mengen grünen Stroms, die es dort bisher nicht gibt. Dabei ist Neufundland mit seiner langen Küste und stabilen Windverhältnissen gut geeinigt für die Windkraft. Erst Anfang des Jahres wurde ein Moratorium für den Bau von Onshore-Anlagen aufgehoben, da es auch auf der Insel Widerstand gegen Windräder gibt. Derzeit werden Angebote geprüft. Des Weiteren braucht es riesige Mengen Süßwasser. Der Elektrolyseur für die Wasserstoffherstellung (H2) entsteht auf der Industriebrache einer früheren Papierfabrik, die über eine Wasserinfrastruktur verfügte. Im nächsten Schritt soll das H2 in einer weiteren Anlage durch Zuführung von Stickstoff, der aus der Luft gewonnen wird, in Ammoniak (NH3) umgewandelt werden. Das streng riechende, giftige Gas gilt derzeit als aussichtsreichstes Transportmittel für Wasserstoff über größere Entfernungen, da es geringeren Druck und weniger niedrige Temperaturen benötigt als andere Verfahren. In Kanada müsste dann aber auch noch eine Transportinfrastruktur errichtet und der Hafen von Stephenville ausgebaut werden, wo Tankschiffe dann befüllt werden sollen. Weitere Projekte im Land sind ebenfalls im Gespräch.
Und in Deutschland? Da Ammoniak bereits seit Jahrzehnten transportiert wird, stünde eine Infrastruktur für gewisse Mengen bereit. Größter Importhafen ist Rostock, RWE möchte in Brunsbüttel ebenfalls ein Terminal errichten. Abnehmer sind die Chemie- und die Düngemittelindustrie, die bisher graues Ammoniak nutzen, wobei der Wasserstoff mittels Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen wird. Die Unternehmen haben dadurch zwei gewaltige Probleme: Der fossile Rohstoff ist vor allem als Folge des Ukraine-Kriegs kaum noch bezahlbar, und auf absehbare Zeit müssen auch diese Branchen klimaneutral produzieren. Grünes Ammoniak, das weitgehend CO2-frei wäre, soll hierbei helfen. Allein die Düngemittelherstellung verursacht rund 1,8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.
Begeisterungsstürme in der hiesigen Chemieindustrie über den deutsch-kanadischen Deal gibt es dennoch keine. Kein Wunder, denn alles rund um grünen Wasserstoff gilt als potenziell zukunftsträchtig und wird vom deutschen Staat üppig gefördert. Zuletzt wurden in Deutschland 2,4 Millionen Tonnen Ammoniak auf Erdgasbasis hergestellt, und die Branche will die grüne Variante gerne selbst herstellen. Auch in Rostock sind Anlagen dazu im Gespräch. Nur hiesige Energiefirmen, die ebenfalls nach Alternativen zu Erdgas suchen, freuen sich: Von einer »transatlantischen Wasserstoffbrücke« spricht Eon-Vorstand Patrick Lammers. Sein Unternehmen und Uniper wollen bei einem anderen Projekt in Kanada mitmischen.
Laut dem Staatsdeal soll rund eine Million Tonnen grünes Ammoniak ab 2025 jährlich aus Kanada kommen, wobei völlig unklar ist, wie groß der Bedarf in Deutschland sein wird. Stickstoffdünger ist einer der Hauptverursacher der Nitratverschmutzung des Grundwassers. Und mit den zunehmenden Wasserproblemen in Deutschland dürfte es nötig werden, seinen Einsatz stark zu reduzieren. In der Fachwelt wird zudem der Einsatz von grünem Ammoniak als Kraftstoff im Schiffsverkehr diskutiert. Hier ist aber bisher das Problem der Emissionen des extremst klimaschädlichen Lachgases nicht gelöst. Und auf nicht allzu langen Strecken haben Batterien auch auf dem Wasser die Nase vorn. RWE wiederum setzt in Brunsbüttel auf Rückgewinnung des Wasserstoffs aus dem Ammoniak in einem sogenannten Cracker und auf den Weitertransport durch eine erst zu errichtende H2-Pipeline.
Das verschärft das Hauptproblem noch: Die Herstellung von Wasserstoff ist ein komplexer Vorgang, der bei jedem Zwischenschritt große Strommengen verschlingt. Daher ist die Energieeffizienz gering, und die Nutzung von Wasserstoff wird um ein Vielfaches teurer werden als die direkte Nutzung von Batteriestrom. Energieexperten sehen den Einsatz vor allem im Speichern überschüssigen Grünstroms und in bestimmten Industrieverfahren, bei denen es keine Alternative gibt. Daran ändert auch grünes Ammoniak nichts. Daher ist es höchst spekulativ, welche Mengen dereinst benötigt werden.
Ob 2025 überhaupt schon kleine Mengen grünen Ammoniaks aus Kanada geliefert werden, bleibt abzuwarten. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die in der Wasserstoffpartnerschaft einen »Meilenstein für die klimapolitische Entwicklung beider Länder« sieht, weist daher aber auf eine Gefahr hin: Kanada halte sich die Tür für die Produktion von fossil basiertem Wasserstoff offen, sagt DUH-Energieexperte Constantin Zerger. »Wir können die kanadische Regierung nur davor warnen, für ihre künftige wirtschaftliche Entwicklung auf den Export dieser extrem klimaschädlichen Energieträger zu setzen.« Und der WWF fordert, dass Naturverträglichkeit und die Interessen indigener Bevölkerung berücksichtigt werden.
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