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92 Prozent für den Sozialismus
Die zweite Generalversammlung der nd.Genossenschaft tagte am Franz-Mehring-Platz 1
»Die Genossenschaft ist ein bisschen wie ein Hobby für mich«, sagt Nathan Mattes mit einem Grinsen. Während andere eine Modelleisenbahn im Keller hätten, beschäftige er sich eben mit der Zukunft einer Zeitung, so der 30-Jährige. Mattes ist eines von 90 Mitgliedern der nd.Genossenschaft, die am Samstag in Berlin an der zweiten Generalversammlung teilnahmen. Für Mattes beinahe ein Pflichttermin, wie er sagt. Als vergangenes Jahr die Pläne zur Gründung der nd.Genossenschaft spruchreif sind, zögert der Softwareentwickler nicht lange und stellt einen Mitgliedsantrag. Das »nd« kennt Mattes als Leser, bleibt der Tageszeitung seit zwei Jahren treu, nachdem er verschiedene Blätter aus dem linken Spektrum ausprobiert hatte. »Eine kleine linke Tageszeitung mehr ist besser als eine kleine linke Tageszeitung weniger«, fasst er seine Motivation zusammen, nicht nur als Leser und Abonnent das »nd« zu unterstützen sondern auch als Genosse.
Davon gibt es immer mehr, mit Stichtag 3. August zählt die nd.Genossenschaft inzwischen 815 Mitglieder, berichtet Rouzbeh Taheri, Verlagsleiter und geschäftsführendes Vorstandsmitglied, auf der Versammlung im Münzenbergsaal des FMP1, wo auch Verlag und Redaktion des »nd« ihr Zuhause haben.
Doch bevor Taheri die Genoss*innen mit Zahlen, Rück- und Ausblicken detailliert über die Arbeit der Genossenschaft informiert, erinnert Daniela Trochowski von der Rosa-Luxemburg-Stiftung daran, welche Höhen und Tiefen die Zeitung durchlebt hat, auch aufgrund ihrer Vergangenheit als Zentralorgan in der DDR. »Ich lese das ›nd‹ inzwischen mit Genuss«, so Trochowski. Ähnlich geht es Mattes, der dem »nd« auch deshalb treu geworden ist, weil ihm positive Entwicklungen auffielen. So sind Newsletter und Podcasts neuere Formate, die der 30-Jährige für wichtig hält.
Mattes greift damit einen Kern dessen auf, was Taheri den Genoss*innen auf der Generalversammlung erläutert. Digital ist auch die Zukunft für das »nd«, allein schon deshalb, weil junge Menschen journalistische Inhalte überwiegend digital konsumieren. Dennoch stellt er klar: »Die Printzeitung ist nicht tot, das ist Quatsch.« Richtig aber sei, dass sich Lesegewohnheiten änderten und die Herstellung einer gedruckten Zeitung mit zunehmenden Herausforderungen verbunden ist. »Die Kosten für die gedruckte Zeitung explodieren«, erklärt Taheri, stellt aber ebenso klar, dass es keine Planungen zur Einstellung der Printausgabe gibt. Auch bei einer anderen Frage kann Taheri beruhigen und macht deutlich, dass die ökonomische Zukunft des »nd« für die nächsten Jahre gesichert ist, auch wenn die Tageszeitung – so wie fast alle Blätter auf dem Markt – weiter mit sinkenden Abozahlen kämpft.
Ändern und diese Entwicklung stoppen soll eine Werbekampange, in deren Zentrum ein etwa dreiminütiger Werbeclip steht, der den Anspruch des »nd« als linkspluralistisches Medium satirisch überspitzt aufgreift. Gezeigt wurde den anwesenden Genoss*innen eine erste Rohfassung, die Kampagne soll im Herbst starten und sich auf Werbung in den sozialen Netzwerken konzentrieren. Das Ziel: »nd« als Marke bekannt machen und 2000 Testabos gewinnen. Eine ambitionierte, aber machbare Zahl.
Davon finden sich im vorgelegten Bericht zur Lage der nd.Genossenschaft jede Menge, Taheri aber beschränkt sich auf ausgewählte, wichtige Daten. »Wenn man will, dass jemand etwas nicht versteht, bringt man ihm möglichst viele Zahlen nah«, sagt Taheri, der den Geschäftsbericht vorträgt und sich anschließend den Fragen den Genoss*innen stellt.
Die interessieren sich durchaus für Details des täglichen Zeitungsgeschäfts, wollen etwa wissen, wie viele Testabos in letzter Zeit gewonnen wurden, wie die Klickzahlen der Onlineangebote sind und warum die Zustellung der gedruckten Ausgabe manchmal morgens hakt. Für Genoss*innen, die sich besonders tief in Zahlen und Daten einarbeiten wollen, sollen demnächst viele interessante Dokumente zur Genossenschaft auf der nd-Website verfügbar sein, kündigt Taheri an. Niklas Venema trägt wiederum als Vertreter des Aufsichtsrates vor, was das ehrenamtliche Gremium in den letzten Monaten geleistet hat. Das hieß vor allem: sich in die Materie einarbeiten, was alles zum Geschäft eines Verlages gehört.
Ähnlich geht es auch der Generalversammlung, die noch hinzulernt. Als aus formalen Gründen die Abstimmung über die Entlastung des alten Vorstands für die Bilanz des Jahres 2021 wiederholt werden muss, nehmen die anwesenden Genoss*innen dies locker und eher als Aha-Erlebnis zur Kenntnis, auf welche Details ein Gremium achten muss. Überhaupt bleibt die gesamte Veranstaltung bis zum Schluss konstruktiv.
Das ändert sich nicht einmal bei einem Antrag, bei dem für viele Genoss*innen vermutlich doch ein paar Emotionen im Spiel sind. Mit über 92 Prozent Zustimmung wird eine Satzungsänderung beschlossen, wodurch das »nd« nun auch in der Genossenschaftssatzung als »sozialistische Zeitung« charakterisiert wird und sich publizistisch dem »Kampf für den Frieden« verpflichtet. Ein Genosse erklärt dann auch in seiner Fürrede, dass der Begriff Sozialismus für große Teile der jungen Generationen nicht mehr negativ besetzt ist. Wichtig – und da macht auch die geänderte Satzung keine Abstriche – bleibt es aber, »Debatten im Sinne eines linken Pluralismus« zu ermöglichen. Platz und Raum dafür gab es nach Ende der Generalversammlung auf einem Fest der nd.Genossenschaft.
Dort spielten gleich zwei Bands: Drinnen im Gebäude das Schrotti Star Orchester (New Wave in modern) und später draußen auf dem Hof in der Dämmerung die 11köpfige Krach Boom Brass Band (Pop-Klassiker als funky Blasmusik). Und dazwischen wurden die großen politischen Probleme diskursiv kleiner gesägt, damit man vor ihnen keine Furcht haben muss, um sie engagiert anzugehen statt sich ohnmächtig zu fühlen. »Die soziale Frage in Zeiten von Klimakrise und Krieg« besprachen auf einem Podium drei Aktivist*innen: Ansgar Ridder von der Initiative »Wer hat, der gibt«, Sanaz Azimipour von »Demokratie für alle« und Charly Dietz von »Ende Gelände«.
Es ist schon absurd: Man sitzt im heißen Sommer und schwitzt, die Flüsse trocknen aus und man soll überlegen, wie man im Winter am besten friert für das Sparprogramm der Bundesregierung für die Hochrüstung. Sollen doch die Hyperreichen statt der Armen dafür bezahlen, forderte Ridder und Dietz meinte, dass die regierenden Grünen in der Klimakatastrophe ihr eigenes Programm bekämpfen - im Prinzip machen sie genau das Gegenteil.
Azimipour wies darauf hin, dass es in Deutschland auf absurde Weise immer darauf ankommt, welchen Pass man hat: Wer zum Beispiel aus der Ukraine flüchtet und einen ukrainischen Pass hat, wird viel besser behandelt als jemand, der ebenfalls flüchtet, aber einen anderen Pass hat. Deshalb sollten unabhängig vom Ausweis alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, hier auch wählen können, damit sie politisch repräsentiert werden. Man war sich einig, dass die kapitalistische Krise an Fahrt aufnimmt und linke Medien wichtiger werden – nicht zuletzt das »nd«.
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