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Die Friedensfahrt im neuen Trikot

In der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz wird bis 2025 das traditionsreichste Radrennen Osteuropas wiederbelebt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Vor einem Jahr wurde die Friedensfahrt in Chemnitz wiederbelebt, jetzt wird sie zumindest bis 2025 gefahren.
Vor einem Jahr wurde die Friedensfahrt in Chemnitz wiederbelebt, jetzt wird sie zumindest bis 2025 gefahren.

Der 212 Kilometer lange Kanten endete mit einem Sprint im Ernst-Thälmann-Stadion: Als 1952 die Internationale Friedensfahrt bei ihrer fünften Auflage erstmals auch durch die DDR führte, war Chemnitz einer der Etappenorte. Die Stadt, die im folgenden Jahr in Karl-Marx-Stadt umbenannt wurde, empfing das Peloton danach jahrelang immer wieder. Ein paar Tage vor dieser sächsischen Premiere hatte das Feld auch im polnischen Wrocław Station gemacht. Das DDR-Radsportidol Täve Schur musste sich dort im Spurt nur knapp geschlagen geben.

60 Jahre später verbindet wieder eine Friedensfahrt und Chemnitz. An diesem Samstag schwingen sich 120 Fahrer in der polnischen Stadt in den Sattel. Vor ihnen liegen 232 Kilometer, die teils durch das Riesengebirge führen. Nach einem Zwischenstopp in Mladá Boleslav geht es tags darauf über 198 Kilometer durch das Erzgebirge nach Chemnitz. Einen Zielsprint wird es indes nicht geben. »Wir fahren kein reguläres Rennen«, sagt Cheforganisator Kai Winkler: »Im Vordergrund steht, dass wir gemeinsam das Ziel erreichen.«

Die Friedensfahrt war einige Zeit aus dem Rennkalender und von den Straßen verschwunden. Die einst legendäre Rundfahrt, die drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges von den Sportjournalisten Karel Tocl aus der Tschechoslowakei und Zygmunt Weiss aus Polen initiiert worden war, wurde oft mit der Tour de France verglichen. 2006 aber fand die letzte Auflage statt. Danach gab es Versuche, sie wiederzubeleben, aber ohne Erfolg. 2021 indes wurde eine Fahrt aus der Taufe gehoben, die ein Projekt von Chemnitz als Europäischer Kulturhauptstadt 2025 ist und jetzt zum zweiten Mal stattfindet. Bereits das Chemnitzer Bewerbungsbuch wurde per Fahrrad-Staffette quer durch die Bundesrepublik getragen. Daraus ist nun eine Veranstaltung entstanden, die mindestens bis 2025 jährlich stattfinden soll. Man wolle, sagt Winkler, »die Friedensfahrt im neuen Gewand und mit neuer Ausrichtung wiederbeleben«.

Neues Gewand – oder passender: neues Trikot – heißt: Es gibt keine Podestplätze, keine Wertungstrikots, keine Ausreißergruppen. Gefahren wird zwei Tage lang im geschlossenen Feld, »was anspruchsvoll ist und viel Konzentration verlangt«, sagt Winkler. Es sei auch keine Fahrt für jedermann und -frau. Mehr als 2500 Höhenmeter werden die Waden strapazieren: »Das ist etwas für semi-professionelle Freizeitsportler.« Das Teilnehmerfeld ist begrenzt, Interessenten müssen sportliche Meriten nachweisen können. Insgesamt beschreibt Winkler den Charakter der neuen Friedensfahrt als den einer »Demonstrationsfahrt mit sportlichem Anspruch«.

Was demonstriert werden soll, ist laut Winkler ein »völkerverbindender Gedanke« – ein Anspruch, den bereits die ursprüngliche Friedensfahrt erhob. Als ihre Neuauflage 2021 aus der Taufe gehoben wurde, war die Werbung für Völkerverständigung und friedliche Lösung von Konflikten noch eher abstrakt. Inzwischen gibt es wieder Krieg in Europa; Russland spricht der Ukraine das Existenzrecht ab. »Angesichts dessen ist unser Ziel brandaktuell«, sagt Winkler. Von den 120 Startplätzen der diesjährigen Tour sind je 20 für Sportler aus Tschechien und Polen reserviert; letztere werden zum Teil an Ukrainer abgetreten, von denen gerade in Wrocław viele leben – eine mehr als symbolische Geste.

Das Chemnitzer Projekt wird nicht zuletzt in Kleinmühlingen aufmerksam und wohlwollend beobachtet. Dort hat das Radsportmuseum Course de la Paix seinen Sitz, das die Geschichte der Friedensfahrt bewahrt. Horst Schäfer, der Leiter, begrüßt die Neuauflage »voller Begeisterung«, wie er sagt. Zwar kenne er auch ehemalige Friedensfahrer, die von »Radtourismus« sprächen und bestritten, dass die neue etwas mit der alten Friedensfahrt zu tun habe. Die aber »ist ohnehin Geschichte«, sagt Schäfer. Er freut sich über den Ansatz der neuen Fahrt unter dem Etikett »European Peace Ride«, der »Gemeinsamkeit den Vorzug vor Kampf gibt« und sehr zeitgemäß sei. »Für das Weiterleben der Friedensfahrt ist ganz entscheidend, dass sie mit einer modernen Bedeutung gefüllt wird«, sagt Schäfer. Er wird bei der Tour 2022 mit einem Infostand des Museums dabei sein. Cheforganisator Kai Winkler betont, auch zu anderen »alten Helden« gebe es gute Kontakte; Olaf Ludwig und Uwe Ampler etwa oder Thomas Barth, der die Tour an diesem Wochenende ebenfalls begleitet.

Diese ist gewissermaßen auch eine Übungsfahrt für die Organisatoren, einen derzeit zehnköpfigen, teils ehrenamtlich tätigen Trupp. Nachdem 2021 eine Tour von Chemnitz nach Prag und zurück auf die Beine gestellt und dafür mit Veranstaltern und Behörden in Tschechien zusammengearbeitet wurde, wird die Kooperation nun auf ein drittes Land ausgeweitet. Die Regularien etwa für die Streckenabsperrung unterschieden sich jeweils deutlich, sagt Winkler: »Wir lernen jeden Tag dazu.« Auch unliebsame, kurzfristige Überraschungen gibt es. So drohte eine Umleitung wegen einer Straßensperrung die erste Etappe auf 260 Kilometer aufzublähen. Zu verhindern hilft das ein Grenzübergang im Wald mit Schotterpiste und Schlagbaum: »Auch das gibt es in Europa noch«, sagt Winkler.

In den nächsten Jahren soll der Aktionsradius des aus dem Topf der Kulturhauptstadt geförderten Projektes schrittweise erweitert werden. 2023 könnten drei Etappen anstehen und das Fahrerfeld vergrößert werden. Für das Jahr darauf gibt es die Idee, das österreichische Bad Ischl einzubeziehen, das dann Kulturhauptstadt-Region sein wird. Im Jahr 2025 schließlich sei »eine ganz große Sache« geplant, sagt Winkler. Laut der Chemnitzer Kulturhauptstadtbewerbung soll dann eine Tour stattfinden, die 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im tschechischen Plzeň beginnt und auf dem Weg nach Chemnitz den Korridor passiert, in dem sich 1945 die Rote und die US-Armee trafen.

Danach soll indes nicht Schluss sein. Aufbauend auf den jetzt gesammelten Erfahrungen schwebt Winkler eine Radveranstaltung vor, die, ähnlich wie heute bei großen Marathons, ein populäres Jedermann-Rennen und einen Eintages-Klassiker für Profis verbindet. Dann wäre die Friedensfahrt wieder im Rennsportkalender zurück. Das aber ist Zukunftsmusik. Jetzt geht es erst einmal von Wrocław nach Chemnitz und damit im neuen Geist durch zwei Etappenorte von vor 60 Jahren.

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