Ein offener Brief an Annalena Baerbock

Ramon Schack meint, die deutsche Außenpolitik ist weder grün noch feministisch

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 3 Min.

Sehr geehrte Frau Baerbock,

auch wenn ein Großteil der deutschen Medien Ihre Politik noch mit schmeichelnden Worten umrahmt, lässt sich die Inkompetenz und das kolossale Scheitern Ihrer »Außenpolitik« – die angeblich feministisch geprägt sein soll – nicht mehr verschleiern.

Zu Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine, Ende Februar, prophezeiten Sie bezüglich der vom Westen verhängten Sanktionen gegenüber Moskau: »Das wird Russland ruinieren!« Inzwischen verdichten sich die Warnungen vor einer wirtschaftlichen Katastrophe in der Bundesrepublik für diesen Winter – eine der schwersten Krisen überhaupt für Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges steht vor der Tür.

Davon einmal abgesehen sei diesbezüglich die Frage erlaubt, was Sie erwarten, wenn der größte Flächenstaat der Welt »ruiniert« wäre? Glauben Sie, die Atommacht würde dann zu einem prowestlichen Kurs finden, jegliche geostrategischen Interessen über Bord werfen, sich zu einem Staatswesen transformieren, das Ihren Vorstellungen entspricht?

Erschreckend finde ich, wie rasant Sie und Ihre Partei dabei sind, Prinzipien und Grundsätze über Bord zu werfen, die jahrzehntelang zur ideologischen Grundausstattung der Grünen zählten. Gestatten Sie mir bitte, dass ich Sie in diesem Zusammenhang daran erinnere, dass Sie und Ihre Partei damit warben – noch im letzten Bundestagswahlkampf – keine Waffen in Krisengebieten zu liefern.

Sie sprechen gerne von einer »werteorientierten Außenpolitik« , doch welche Werte sollen das sein? Westliche Werte?

Europa wird von einem Feuerring schwelender geopolitischer Konflikte umrundet, von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten, dem West-Balkan, dem Südkaukasus sowie von sich zuspitzenden Beziehungen zur Volksrepublik China. Der russische Einmarsch in der Ukraine, ein völkerechtswidriger Akt, hat diese Tendenz noch verstärkt. Mit einer Verlängerung des Blutvergießens wächst die Gefahr eines Flächenbrands.

Diese Analyse der westlichen Politik fand aber nicht statt, obwohl in den vergangenen 20 Jahren die Welt weder vom Phänomen des Terrorismus befreit wurde – das Gegenteil ist der Fall –, noch Leuchttürme der Demokratie entstanden sind. Auch wurde die Welt nicht »westlicher« oder »demokratischer«, sondern gescheiterte Staaten wurden wie am Fließband produziert, während das Modell des Westens in seinen Kernländern von den eigenen Bürgern zunehmend in Frage gestellt wurde und wird.

Gegen jeden Kulturrelativismus wollen Sie und die Grünen die universellen Menschenrechte verteidigen. Hier übersteigert sich aber, Frau Baerbock, Ihr auf innenpolitisches Renommee zielender grüner Linksliberalismus fast zur Hybris. Wenn es um Scharia und Djihad geht – einverstanden. Aber sind die asiatischen Werte keine Werte? Werden wirklich individuelle Freiheitsrechte im westlichen Ego-Individualismus erfüllt? Der Machtpolitiker Henry Kissinger hat diesen Aspekt auf den Punkt gebracht, indem er die Völkerbunds-Politik von Woodrow Wilson mit der Big-stick-Politik Theodor Roosevelts verglich. Nach seiner Interpretation ist das Bekenntnis zu universellen Werten die geschickteste Form, westliche Interessen durchzusetzen. Menschenrechte zu einer Grundkategorie der Außenpolitik zu erheben, als andere nur von Handelsvorteilen redeten, gehört zu den großen Verdiensten Ihrer Partei, Frau Baerbock. Aber inzwischen neigen sie zu einem umgekehrten Extremismus und vernachlässigen die Aspekte von Stabilität und Sicherheit, der Bewahrung des Friedens. Der Frieden aber ist das allerwichtigste, ohne ihn ist alles nichts.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.