Revolution am Küchentisch

Eine Ausstellung im Schwulen Museum rekonstruiert die Geschichte des Tuntenhauses Forellenhof

  • Sabrina Lösch
  • Lesedauer: 4 Min.
Hier wurde queere Befreiung gelebt: am Küchentisch des Tuntenhauses. In der Ausstellung im Schwulen Museum ist eine nachgebaute Version zu sehen.
Hier wurde queere Befreiung gelebt: am Küchentisch des Tuntenhauses. In der Ausstellung im Schwulen Museum ist eine nachgebaute Version zu sehen.

Ein Raum mit roten Kieferndielen, neben Röhrenfernseher und Schnurtelefon mit Wählscheibe steht ein großer Tisch, voll bepackt mit halb aufgegessenen Schrippen auf den Tellern, Aschenbecher und einer aufgeschlagenen Ausgabe »Neues Deutschland«. Bierflaschen zwischen den Milchpackungen lassen darauf schließen, dass Frühstück und Abendessen an diesem Tisch eng beinander liegen. Es ist das Esszimmer des Tuntenhauses Forellenhof, ein von Mai bis November 1990 besetztes Haus an der Mainzer Straße 4.

Rekonstruiert von der Künstlerin Bri Schlögel anhand von Filmausschnitten, bildet das Esszimmer das Zentrum der Ausstellung über das Tuntenhaus im Schwulen Museum. Auf einem Schild über dem Eingang zum Raum steht: »Das hier ist kein Co-Working-Space, sondern ein kollektiver Schauplatz«. Knapp 30 schwule Aktivist*innen fanden sich dort einen Sommer lang täglich zusammen, um über ihre Utopie einer antipatriarchalen Gesellschaft zu diskutieren und den Traum einer kollektiven Großkommune zu verwirklichen. Die Reinszenierung ist noch bis Ende Oktober zu sehen.

In zehn Kapiteln erzählt die Ausstellung die Geschichte der Hausbesetzung in Friedrichshain nach der Wende. Zu dieser Zeit sind im Ostteil Berlins 130 Häuser besetzt, 13 davon in der Mainzer Straße. Kurator Bastian Krondorfer hat selbst im Tuntenhaus Forellenhof gelebt. Beim Austüfteln der Ausstellung wurde das zum Konflikt für ihn, erzählt er: »Welche meiner Erinnerungen sollten eine Rolle spielen? Welche Erinnerungen verdränge ich? Welche politische Haltung unterstelle ich mir damals, vor 32 Jahren? Was für eine Haltung habe ich heute?«

Dabei ist dem Kurator durchaus bewusst, dass die persönliche Gewichtung nicht gänzlich außen vor gelassen werden kann. Objektiv ist die Ausstellung im Schwulen Museum nicht. Das war auch gar nicht der Anspruch, lässt ein Intro-Film am Eingang Besuchende wissen. Darin informiert ein Mensch in Gebärdensprache: »Die Ausstellung erzählt eine Geschichte aus der Perspektive der damaligen Bewohner*innen.« Zu Wort kommen überwiegend Besetzer*innen mit »radikalen An- und Einsichten«.

»Ich wusste bei der Planung nicht, was ich will, dafür aber, was ich nicht will: keine klassische linke Ausstellung, die oberflächlich artikuliert«, sagt Bastian Krondorfer. Und er wollte nicht ausschließlich seine eigenen Erfahrungen wiedergeben, daher nahm er sich selbst bei der Umsetzung zurück. Stattdessen lässt er nun die Dinge für sich sprechen: Exponate, Fotos, Filmausschnitte wie auch Texte aus damaligen Zeitungen, Flugblättern und Flyern.

Das ist den Initiator*innen um Krondorfer, dem Verein Forellenquintett e.V. und dem Schwulen Museum durchaus gelungen: Die gewählten Exponate als auch das nachgebaute Esszimmer gewähren einen tiefen Einblick in den Alltag der selbsternannten Tunten aus der Mainzer Straße 4 und spiegeln den damaligen Zeitgeist unverblümt und gnadenlos ehrlich wider.

So wird etwa die Frage nach ihren politischen Zielen unter anderem so beantwortet: »Was wir wollen, ist keine schwule Heirat, die in 20 Jahren vielleicht noch den Segen des Papstes erhält! Was wir wollen, ist nicht die Kleinfamilie, die für die Menschenproduktion privilegiert wird!«, steht auf einem Schild. Das Zitat stammt von Thekla, einem ehemaligen Besetzer des Tuntenhauses, veröffentlicht in der ersten Ausgabe der Besetzer*innen-Zeitung im August 1990. »Was wir wollen, ist in einer Großkommune wohnen, die uns das Leben lässt, was uns die Gesellschaft verweigert.« Den Aktivist*innen ging es um Selbstermächtigung, kollektives Wohnen und darum, in ihrem antipatriarchalen Anspruch ein Gegenstück zum vorherrschenden Männerbild zu schaffen.

Dazu haben sich die Aktivist*innen bewusst den Begriff der Tunte angeeignet, denn für sie bedeutete »Tunte-Sein eine Form politischer Auseinandersetzung und Provokation«, wird die Berliner Queertheoretikerin Lore Logorrhöe zitiert. Und es ging darum, das »Schwulsein nicht zu verstecken, sondern schwulenfeindliche Klischees aggressiv anzugreifen.«

Daneben informiert die Ausstellung über politische Aktionen und Feste, die die Tunten veranstalteten, das Max-Hoelz-Antiquariat für DDR-Literatur und die Nachtbar Forelle Blau, an deren Namen sich das Tuntenhaus Forellenhof anlehnt. Weitere Themen sind Konflikte zwischen Ost- und Westberliner Tunten, Kämpfe mit Neonazis und nicht zu vergessen das jähe Ende des schwulen Sommers, als 3000 Einsatzkräfte der Polizei die gesamte Mainzer Straße und auch das Tuntenhaus am 14. November 1990 brutal räumten.

Bastian Krondorfer hat die Ausstellung zwar größtenteils alleine umgesetzt, aber auch viel Beratung und Unterstützung bekommen. Leihgaben gab es etwa von den ebenfalls ehemaligen Besetzer*innen Louis Schneider, Gernot »Helga« Reifenberger und Micha Österreich.

Unterstützung erhält die Ausstellung im Berliner Schwulen Museum zudem vom Kulturhauptstadtfonds – zur Empörung manch eine*r Politiker*in. Zumindest bei der Berliner AfD-Abgeordneten Kristin Brinker hat dieser Umstand zu Schnappatmung geführt: Beim Plenum zur Feststellung des Berliner Haushaltsplans im Juni nannte sie den Berliner Haushalt der Rot-Grün-Roten Koalition ein »Dokument der Weltfremdheit«. Als Beispiel dafür brachte sie unter anderem empört die Ausstellung zum Tuntenhaus Forellenhof an.

Ansonsten habe Bastian Krondorfer aber ausschließlich positive Rückmeldung erhalten. Allein das macht die Ausstellung für ihn zum Erfolg, war es schließlich sein erstes Projekt solcher Tragweite.

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