Busse und Bahnen sind wieder eine Option

Nach dem 9-Euro-Ticket ist nichts mehr so wie es war, kommentiert Andreas Knie

  • Andreas Knie
  • Lesedauer: 4 Min.

Das 9-Euro-Ticket hat alle überrascht. Mit rund 20 Millionen Verkäufen pro Monat war es ein echter Renner. Öffentliche Verkehrsmittel, die in Deutschland oft ein eher verschnarchtes Image haben, waren plötzlich in aller Munde. Doch was bleibt am Ende übrig?

Busse und Bahnen sind wieder eine Option! Während der Corona-Pandemie haben die Fahrgäste den öffentlichen Verkehr in Scharen verlassen. Bis kurz vor Einführung des 9-Euro-Tickets waren erst 80 Prozent davon wieder zurück. Die Branche wurde zwar von allen Verlusten freigestellt, aber viele Stammgäste hatten den Nahverkehr einfach nicht mehr im Kopf: Er war bei der Planung der täglichen Wege kein Faktor mehr, ein dauerhafter Einnahme- und Bedeutungsverlust wäre die Folge gewesen. Das hat sich nun nach den drei Monaten der 9-Euro-Erfahrungen geändert.

Der überaus günstige Preis, aber auch die Einfachheit des Tickets selbst haben den öffentlichen Verkehr wieder zum Thema gemacht. Wahrscheinlich sind knapp die Hälfte der Ticketkäufer gar nicht oder kaum gefahren. Aber Busse und Bahnen wurden wieder in Erwägung gezogen und für mehr als 20 Millionen Menschen könnte der öffentliche Verkehr wieder eine dauerhafte Option sein. Für die Erreichung der Pariser Klimaziele ist das eine notwendige Voraussetzung.

Bei der Frage, wer das 9-Euro-Ticket gekauft hat, zeigt sich ein über alle Einkommensklassen hinweg sehr großes Kaufinteresse. Bei genauerer Betrachtung sind es mehr Frauen als Männer und auch mehr Menschen in den unteren Einkommensklassen und in den Ballungsräumen, die mit dem Ticket unterwegs waren. Wie viele Fahrten nun wirklich unternommen wurden, das muss erst noch gezählt werden. Nach den Angaben der Verkehrsunternehmen kann aber davon ausgegangen werden, dass gegenüber Ende Mai rund zehn Prozent mehr Fahrgäste in den betreffenden Segmenten unterwegs waren. Das Vor-Corona-Niveau ist also immer noch nicht erreicht worden. Bei den Fahrtzwecken wird deutlich, dass die Ausflugsfahrten sehr beliebt waren und obwohl die endgültigen Ergebnisse noch nicht vorliegen, deutet sich an, dass die unteren Einkommensklassen erstmals mit Kind und Kegel unterwegs waren. Sozialtickets sind mit durchschnittlich 40 bis 45 Euro zwar preiswert, aber für eine fünfköpfige Familie werden dann immer noch mehr als 200 Euro fällig. Ein 9-Euro-Ticket belastet das Familienbudget aber nur mit 45 Euro. Für viele Menschen haben sich plötzlich neue Horizonte erschlossen.

Eine Klimabilanz kann ebenfalls noch nicht gezogen werden. Klar ist aber, dass tatsächlich mehr Fahrten generiert wurden und ebenfalls ist eindeutig, dass während dieser Zeit kein Auto abgeschafft wurde. Aber bei einer längeren Gültigkeitsdauer und einem attraktiven Angebot könnten viele Umsteiger gewonnen werden. Akzeptiert würden 29 Euro pro Monat inklusive Fernverkehr und Sammeltaxi für die »letzte Meile«. Finanzierbar wären die mutmaßlich bis zu 16 Milliarden Euro Mehrkosten durch die Abschaffung der Entfernungspauschale, des Dienstwagenprivilegs und der permanenten Dieselsubventionierung. Die von der Bundesregierung nun ins Gespräch gebrachten 49 Euro würden als zu teuer empfunden.

Ein betrübliches Bild gibt alleine die Branche selbst ab. Obwohl man gleichsam über Nacht die Vorgaben der Politik umsetzen konnte, Fahrkartenautomaten umprogrammiert, Abo-Systeme umgestellt und das Verkaufspersonal geschult hat, zeigte sich Widerwille, zum Teil richtige Ablehnung. Vor allem die Gewerkschaften kritisierten, dass nicht ausreichend Personal und Kapazitäten verfügbar gewesen wären. Das war sicherlich zu bestimmten Zeiten und in einigen Teilen Deutschlands auch so. Aber genau diesen Umstand hätte man sich zu Nutze machen und mit breiter Brust darauf verweisen können: Busse und Bahnen sind wieder ein Hit. Wir haben es gepackt und jetzt können wir gestärkt an die Aufgaben der Verkehrswende herantreten und brauchen dazu die politische und finanzielle Unterstützung. Stattdessen schlägt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen eine halbherzige Fortführung für 69 Euro vor, wohl wissend, dass dies keinen mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Produktstolz sieht anders aus.

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