Die Löwen von Lissabon

Zirkus Europa: Celtic Bhoys mit altem Geist gegen den neuen Champion

  • Sven Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Steve Chalmers (r.) erzielte im 67er Finale den Siegtreffer für Celtic gegen destruktive Mailänder.
Steve Chalmers (r.) erzielte im 67er Finale den Siegtreffer für Celtic gegen destruktive Mailänder.

Ob an diesem Dienstag mal wieder die Löwen ihren Geist vorbeischicken? Könnte nicht schaden. Zwar geht es dem Celtic Football Club so gut wie lange nicht, er hat in dieser Saison bislang alles gewonnen, zuletzt am Sonnabend triumphal 4:0 gegen die Rangers, im Old Firm von Glasgow, dem am häufigsten ausgespielten Fußballderby der Welt. Aber besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen. Und wenn zum Auftakt im europäischen Fußballzirkus der regierende Champion vorstellig wird, könnte das schon ein Fall für den Geist der Lisbon Lions sein.

Am Dienstag gastiert Real Madrid in Glasgow, für Celtic ist es das erste Spiel seit fünf Jahren in der Champions League. Im Celtic Park, den sie im Glasgower East End ganz unbescheiden Paradies nennen, wird wie immer die schottische Fahne neben der irischen wehen. Nur den Union Jack sucht man vergeblich bei den grün-weißen Bhoys, die sich selbst so schreiben, weil es den Akzent von Celtics irischer Vergangenheit trifft. Celtic ist der Klub der Unterprivilegierten, zu denen auch die irischen Einwanderer zählen. Ihr Klub steht für den alten Fußball, für den Kampf gegen die, die immer oben stehen.

Wer weiß schon, dass Celtic auch mal ganz oben stand? Vor 55 Jahren gewannen die Bhoys den Europapokal der Landesmeister. Es war eine andere Zeit und eine andere Mannschaft. Eine, wie sie im Wettspiel der Hochfinanz kaum mehr vorstellbar ist. Heute stehen Profis aus Schweden, England, Deutschland und allein vier Japaner in Celtics Kader. Im Mai 1967 triumphierten im Finale gegen Inter Mailand elf Freunde, die allesamt im Umkreis von 30 Meilen um den Celtic Park geboren waren. Im Tor stand Ronnie Simpson, hinten dirigierte Billy McNeil, vorn wirbelte Jimmy Johnstone. Weil sie ihr Heldenstück in Lissabon vollbrachten, werden sie bis heute als Lisbon Lions verehrt. Und immer, wenn ihre Nachfahren Großes vollbringen, steht das für die Fans im Geist der Löwen von Lissabon.

Die Bhoys von 1967 standen nicht nur für den katholischen Teil Glasgows, wie es die Gegnerschaft zu den streng protestantisch orientierten Rangers vermuten lässt. Celtic war immer offen für alle, zum Beispiel für Jock Stein, den Trainer der Lisbon Lions, einen praktizierenden Protestanten. In seinen jungen Jahren hatte er mal bei Helanio Herrera hospitiert, dem Argentinier, der bei Inter Mailand den Catenaccio erfand – die kompromisslose Verhinderung von Fußball zugunsten des Resultats. Für Stein stand nach diesem Praktikum fest: So sollte sein Fußball nie sein.

Ob Herrera sich an Stein erinnert hat, als sich die beiden im Mai 1967 im Finale von Lissabon trafen? Inter hatte den Pokal 1965 und 1966 gewonnen und reiste als haushoher Favorit an. Nach acht Minuten bekam Inter einen Elfmeter zugesprochen, Sandro Mazzola exekutierte eiskalt. Es schien alles klar zu sein: Die Italiener verbarrikadierten ihren Strafraum und schossen kein einziges Mal mehr aufs Tor.

Und Celtic? Für die verbleibenden 82 Minuten notiert die Statistik 36 Torschüsse der Schotten, sie trafen zweimal die Latte und nach einer Stunde endlich durch Tommy Gemmell zum Ausgleich. Steve Chalmers Tor zum 2:1 fünf Minuten vor Schluss besiegte Inter und rettete fürs Erste den schönen, den leidenschaftlichen Fußball. Aber wer weiß das heute schon in Manchester, London oder beim Champion aus Madrid, der am Dienstag im Paradies vorstellig wird? Zur Erinnerung sollten die Löwen ihren Geist vorbeischicken.

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