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Militär hat Priorität
Der Wehretat 2023 bleibt mit 50 Milliarden Euro auf Niveau des laufenden Jahres. Hinzu kommen aber 8,2 Milliarden aus Sondervermögen Bundeswehr
Lange bevor Wladimir Putin Ende Februar den Befehl zum Angriff auf die Ukraine gab, beklagte die Bundeswehr, dass ihr zu wenig investive Mittel zur Verfügung stünden. Und bei jeder Erhöhung des entsprechenden Etats seit 2014 betonte das Verteidigungsministerium, es gehe ihm nicht um eine Aufrüstung Deutschlands. Man wolle die Truppe nur ordentlich mit all dem ausrüsten, was die Soldaten für eine glaubhafte Heimat- und Bündnisverteidigung brauchen.
Nach Russlands Einmarsch in der Ukraine – von Kanzler Olaf Scholz als Zeitenwende bezeichnet – wurden die bekannten Forderungen aus der und für die Truppe noch vehementer vorgebracht. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) versprach bereits im März, alles, was rasch zu beschaffen sei, werde auch rasch bereitgestellt. So orderte das Wehrressort unter anderem gut 300 000 Schutzwesten – eine ordentliche Anzahl angesichts einer Truppenstärke von derzeit gut 180 000 Soldatinnen und Soldaten.
Ein halbes Jahr ist seither vergangen, doch noch sind keine neuen Schutzwesten in die Truppe gelangt. Auch wer nach den gleichfalls georderten neuen Nachtsichtgeräten oder der bestellten Funktechnik fragt, erntet in der Bundeswehr nur ein Schulterzucken. Zwar versprach der Kanzler, die für Litauen vorgesehenen Kontingente von der aktuellen Bataillons- auf Brigadestärke zu vergrößern, doch das klappt derzeit nur, wenn die Führung wieder den »Geräteklau« durch andere Truppenteile schickt.
Schuld daran ist nicht nur das Beschaffungswesen der Bundeswehr, das zu den ineffizientesten im gesamten Nato-Verbund gehört. Zwar hat der Bundestag im Juli ein bis 2026 geltendes »Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz« angenommen, mit dem allerlei Vergaberechte ausgesetzt werden. Dass man militärische Beschaffungen so tatsächlich erleichtert, glauben aber nur wenige.
Überfordert sind auch die Hersteller militärischer Güter. Und zwar in allen westlichen Industriestaaten. Nach Russlands Überfall auf die Ukraine hat innerhalb der Nato geradezu eine Bestellungsflut eingesetzt. Auch die ukrainische Armee, die jeden Tag des Krieges mehr am westlichen Nachschubtropf hängt, hat einen wachsenden Bedarf. Zahlreiche Nato-Staaten lieferten bereits, was sie in den Depots hatten. Die jedoch müssen nun wieder aufgefüllt werden. Unter anderem mit Munition. Doch es gibt zu wenige Hersteller im westlichen Europa. Die, die Granaten produzieren können, haben zwar Stahl, doch es gibt zu wenige Ausgangsstoffe für die Sprengstoffproduktion. Rar sind auch Elektronikbauteile, die man braucht, um Granaten exakt ins Ziel zu lenken. Das knappe Angebot bedingt höhere Preise. Obendrauf kommen die Auswirkungen der Energiekrise.
Noch schwieriger wird es beim Kauf von komplettem Gerät. Man will vieles »von der Stange« ordern und hat auch schon in Washington neue Kampfjets und Transporthubschrauber bestellt. Doch die ersten Boeing-Helikopter werden wohl nicht vor 2025 ausgeliefert. Und die von Lockheed Martin produzierten Atombomber treffen vermutlich erst 2026 in Deutschland ein.
Der vom Ampel-Kabinett Anfang Juli beschlossene Entwurf des Verteidigungsetats 2023, der an diesem Mittwoch im Bundestag in erster Lesung eineinhalb Stunden beraten wird, kann also nur eine Rechnung mit vielen Unbekannten sein. Der sogenannte Einzelplan 14, nach dem des Ministeriums für Arbeit und Soziales der zweitgrößte im Gesamthaushalt, umfasst Ausgaben von 50,1 Milliarden Euro und bleibt so ungefähr auf dem Niveau dieses Jahres.
Nicht eingerechnet ist hier aber das sogenannte Sondervermögen Bundeswehr. Die dafür aufzunehmenden Kredite in Höhe von 100 Milliarden Euro fallen nicht unter die Schuldenobergrenze des Grundgesetzes, auf deren Einhaltung Finanzminister Christian Lindner (FDP) für das kommende Jahr pocht. Man könnte also aus dem Vollen schöpfen – allein: Es ist nicht so einfach, die im Frühjahr beschlossenen zusätzlichen Mittel fürs Militär rasch in Bestellungen zu wandeln. So werden davon 2023 »nur« 8,19 Milliarden Euro in die militärische Beschaffung fließen, konkret in die Nachrüstung von Kriegsschiffen sowie die weitere Entwicklung des gemeinsam mit Frankreich initiierten »Future Combat Air System« (FCAS).
Die regulären Ausgaben für militärische Beschaffungen, Anlagen und ähnliches sollen sich im kommenden Jahr auf 18,67 Milliarden Euro (2022: 20,42 Milliarden) belaufen, die Personalausgaben wachsen auf 20,63 Milliarden (2022: 19,88). Rund acht Milliarden will man für militärische Beschaffungen ausgeben. Die Modernisierung des »Eurofighter« schluckt davon 1,45 Milliarden Euro, für eine Milliarde soll Munition beschafft werden (2022: 763 Millionen). Die Marine erhält 654 Millionen Euro (plus 83 Millionen), für die Beschaffung von Kampffahrzeugen sind 600 Millionen Euro vorgesehen, also 193 Millionen weniger als 2022. Für die Materialerhaltung sind im Entwurf 4,88 Milliarden Euro eingeplant (2022: 4,62 Milliarden).
Für die Unterbringung der Soldatinnen und Soldaten sind Ausgaben von 6,26 Milliarden Euro vorgesehen und damit 270 Millionen Euro mehr als 2022. Der »sonstige Betrieb« der Bundeswehr schlägt mit 2,84 Milliarden Euro zu Buche. Die aus der Nato-Mitgliedschaft resultierenden Verpflichtungen belaufen sich auf 1,29 Milliarden Euro (2022: 1,44 Milliarden Euro).
Zum Vergleich: Der Etat von Außenamtschefin Annalena Baerbock (Grüne), über den der Bundestag ebenfalls diesen Mittwoch berät, sieht Ausgaben von lediglich 6,4 Milliarden Euro vor und schrumpft damit um knapp 700 Millionen Euro – auch ein Hinweis auf den Stellenwert, den die Ampel-Koalition der in Krisenzeiten besonders wichtigen Diplomatie beimisst.
Konkret werden ausgerechnet bei den »Aufgaben zur Sicherung von Frieden und Stabilität« 640 Millionen Euro gestrichen. Kürzungen sind auch bei der humanitären Hilfe und der Krisenprävention geplant. Dafür sollen statt aktuell rund drei Milliarden nur noch 2,52 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
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