Keine einfache Entscheidung

Die Europäische Zentralbank könnte diesen Donnerstag eine Anhebung der Leitzinsen beschließen

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Reden von Notenbanker*innen sind so eine Sache: Sie sind meist sehr theoretisch, mit Begriffen und Wörtern, die keiner kennt. Meist werden sie kaum beachtet. Es sei denn, wichtige Entscheidungen stehen an. Diesen Donnerstag steht eine solche an. Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte eine Rekordzinserhöhung beschließen. Manche Expert*innen glauben, dass sie die Leitzinsen um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent anheben könnte.

Insofern fand auch die Rede der deutschen EZB-Direktorin Isabell Schnabel im US-amerikanischen Jackson Hole Ende August eine gewisse Beachtung. Und dies nicht nur, weil die Ökonomin ihre Rede auf einer der wichtigsten, jährlich stattfindenden internationalen Notenbank-Tagungen hielt. Denn Beobachter*innen versuchen, aus den Einlassungen wichtiger Zentralbank-Mitglieder zu erraten, wie diese künftig entscheiden. Da zählt teilweise jede Nuance in der Formulierung. »Um Vertrauen zurückzugewinnen und zu bewahren, müssen wir die Inflation schnell wieder zum Zielwert bringen«, verlautbarte nun Notenbankerin Schnabel. Je länger die Inflation hoch bleibe, desto größer sei das Risiko, dass die Öffentlichkeit das Vertrauen in unsere Entschlossenheit und Fähigkeit verliert, Kaufkraft zu bewahren. Deshalb müsse die EZB nun »energisch« handeln.

Die oberste und offiziell auch einzige Aufgabe der EZB ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Dies sieht sie als gegeben an, wenn die Inflationsrate mittelfristig bei rund zwei Prozent liegt. Mit Teuerungsraten von zuletzt 9,1 Prozent ist man davon weit entfernt. Zudem breitet sich immer mehr die Sorge aus, dass die Inflation sich verfestigt, dass die Preise also über einen längeren Zeitraum zu schnell steigen werden. So geht zum Beispiel die Bundesbank in ihrer Prognose vom Juni davon aus, dass die Inflationsrate im kommenden Jahr bei 4,5 Prozent und damit weiterhin deutlich über dem EZB-Ziel liegt.

Neben unkonventionellen Maßnahmen, wie dem Kauf von Wertpapieren, den die EZB vor allem in der Eurokrise erprobte, versucht sie die Inflationsrate vor allem über die Höhe der Zinsen zu beeinflussen. Senkt sie die Zinsen, kurbelt sie die Konjunktur und damit die Inflation an, hebt sie die Zinsen an, bremst sie die wirtschaftliche Entwicklung und somit auch die Inflation. Gleichzeitig macht die EZB den Euro durch eine Zinsanhebung im Vergleich zu anderen Devisen teurer, was auch dämpfend auf die Inflation wirkt. So ist der Euro im Vergleich zum US-Dollar derzeit auch auf einem Tiefststand, weil die US-Notenbank Fed in der Inflationskrise viel schneller die Zinsen angehoben hat, als es die EZB bisher tat. Und dies wiederum verteuert Waren, die nach Deutschland importiert und für US-Dollar eingekauft werden. Deshalb spricht man auch von importierter Inflation. So zumindest die Theorie.

In der Vergangenheit kam die EZB mit ihren Instrumenten immer wieder an ihre Grenzen. Trotz historisch niedriger Zinsen und milliardenschwerer Anleihenkaufprogramme war eine zu hohe Inflationsrate bis vergangenes Jahr eigentlich nie ein Thema. In Zeiten der Euro- und Coronakrise stand stattdessen zeitweise eher die Gefahr einer Deflation im Raum, also einem Kreislauf aus fallenden Preisen und Wirtschaftsleistung.

Gleichzeitig warnen Skeptiker*innen, dass die EZB die Inflationsrate derzeit gar nicht wirklich beeinflussen könne. Schließlich werden die Preise nicht durch eine heiß laufende Konjunktur nach oben getrieben, sondern durch den Krieg in der Ukraine. So ließ etwa der vorläufige Lieferstopp Russlands über die wichtige Pipeline Nord Stream 1 den europäischen Gaspreis von Freitag auf Montagvormittag um 35 Prozent beziehungsweise etwa 72,5 Euro auf zuletzt 281 Euro je Megawattstunde nach oben schnellen.

Zudem birgt eine Anhebung der Zinsen in der jetzigen Situation eine Gefahr, um die die EZB sich eigentlich offiziell nicht kümmern braucht, die sie trotzdem nicht ignorieren sollte: Hebt sie die Zinsen an, bedeutet dies, dass auch für Unternehmen und Staaten die Zinsen steigen. Dies wirkt sich im Allgemeinen negativ auf die Konjunktur aus. Deswegen wird zum Teil auch vor einer zu drastischen Zinsanhebung gewarnt, da viele Expert*innen derzeit eine Rezession heraufziehen sehen. So wuchs die deutsche Wirtschaft zuletzt von April bis Juni nur noch marginal um 0,1 Prozent.

Die jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen erforderten es, dass die Notenbank Vorsicht walten lasse, warnte etwa das italienische EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta Ende August bei einer Rede an der Universität Bocconi in Mailand. »Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession steigt.«

Auch diese Rede wurde mehr beachtet als gewöhnliche Reden von Notenbanker*innen. Schließlich steht für die EZB auch eine ungewöhnlich schwere Entscheidung an.

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