Viel Unmut nach Wagenknecht-Rede

Sahra Wagenknecht beklagt »Wirtschaftskrieg«. Widerspruch aus der Linken nach Rede im Bundestag. Habeck greift Union scharf an

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 6 Min.

Am Donnerstag um 9:30 Uhr richteten sich alle Augen auf Sahra Wagenknecht. Die Abgeordnete der Linksfraktion trat ans Rednerpult, um in der Haushaltsdebatte zum Thema Wirtschaft und Energie auf Minister Robert Habeck zu antworten. Bereits vorher hatte es fraktionsinterne Kritik an der Entscheidung gegeben, ausgerechnet die von Kritiker*innen für ihre Positionen zum Ukraine-Krieg als »Putin-Propagandistin« bezeichnete Ex-Fraktionschefin sprechen zu lassen.

Zunächst konzentrierte sich Wagenknecht in ihrer Rede auf die sozialen Verwerfungen infolge des Krieges. »Millionen Menschen haben Angst vor der Zukunft, vor explodierenden Lebenshaltungskosten, vor Horrorabrechnungen und immer mehr auch um ihren Arbeitsplatz«, sagte sie und verwies auf Nachbarländer, in denen Regierungen die Preisexplosionen mit Preisdeckeln und Übergewinnsteuern bekämpfen. Insbesondere kritisierte Wagenknecht die geplante Gasumlage, bei der Habeck tatsächlich auch handwerkliche Fehler begangen hatte. Denn mit der ursprünglichen Fassung würden auch wirtschaftlich gesunde Unternehmen von ihr profitieren. Nach Kritik hatte Habeck eine Änderung der Gasumlage zugesagt.

Auch holte Wagenknecht zum harten Schlag gegen Habeck und die Grünen aus: »Ein Minister, der nichts mehr liefert, muss leider tatsächlich keine Insolvenz anmelden. Sie sind das beste Beispiel dafür.« Und: »Wir haben wirklich die dümmste Regierung in Europa.« Insbesondere das Wagenknecht-Lager der Linken hat offenbar die Grünen zum Hauptgegner erklärt, agiert jedoch dabei insofern fragwürdig, als dass es sich immer wieder auf eine nach »Spiegel«-Recherchen von Putin-Trollen verkürzt verbreitete Rede von Annalena Baerbock bezieht. Darin sagte die Außenministerin, sie werde die Ukraine unterstützen, »egal was meine deutschen Wähler denken«. Auch Wagenknecht griff diese Satzfetzen am Donnerstag im Bundestag auf.

Im hinteren Teil ihrer Rede wurde es dann interessant. Wagenknecht sagte: »Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen.« Der Saal tobte, es gab laute Zurufe und Beschwerden. Wagenknecht fügte an, natürlich sei der Krieg in der Ukraine ein Verbrechen – ohne den Aggressor zu benennen. Weiterhin forderte sie einen Stopp der Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die Wiederaufnahme von Verhandlungen zur Lieferung von russischer Energie. Zur Erinnerung: Die Linke hatte auf ihrem Erfurter Parteitag im Juni beschlossen, fossile Energieträger wie Gas stärker zu beschränken und den Krieg als Angriff Russlands zu verurteilen.

Zu diesem Zeitpunkt klatschte die – nur zur Hälfte besetzte – Linksfraktion schon nicht mehr geschlossen, aber immer noch deutlich wahrnehmbar. Vor allem Wagenknechts eigenes Lager, das sich eher auf den hinteren Plätzen versammelt hatte, applaudierte kräftig: Sevim Dağdelen, Klaus Ernst und Andrej Hunko Seit an Seit. Viele ihrer fraktionsinternen Kritiker*innen waren gar nicht erschienen. Am Ende der Rede klatschte auch Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der sich zwar im Vorfeld auf der Fraktionssitzung über Wagenknecht beklagt haben soll, die Rede aber letztlich nicht verhinderte. Auch die AfD-Fraktion hatte zwischendurch Beifall gespendet. Habeck schien sich derweil nicht sonderlich für die Rede zu interessieren, tippte irgendetwas in sein Mobiltelefon.

Im Nachgang gab es aber deutliche Kritik sowohl aus den anderen Fraktionen als auch aus der Linken. Der nachfolgende Redner Felix Banaszak (Bündnis90/Die Grünen) urteilte: Dass die Linksfraktion »die oberste Kreml-Lobbyistin« reden lassen habe, sei »eine dumme Idee« gewesen. Interessanterweise meldete sich kurz darauf ausgerechnet Nord-Stream-2-Befürworter Klaus Ernst zu einer Zwischenfrage, wobei er weniger eine Frage stellte, als dass er sich lautstark über Banaszaks Urteil beklagte: In dem Moment, in dem man den Versuch unternehme, mehr Gas zu beschaffen, »sagen Sie, das ist Interesse Putins, das sind Putin-Leute«.

Von anderen Abgeordneten der Linksfraktion gab es im Plenum keinen Widerspruch dazu, dafür aber in den sozialen Medien: Kathrin Vogler, die zu dieser Zeit als parlamentarische Geschäftsführerin fungierte und in der ersten Reihe saß, twitterte: »Es gibt keinen ›Wirtschaftskrieg gegen Russland‹, sondern einen realen Angriffskrieg gegen die Ukraine, in dem Energie zur Waffe geworden ist. Putin hat ein Gasembargo gegen Deutschland verhängt, nicht umgekehrt.« Martina Renner, die gar nicht anwesend war, twitterte ein Foto, auf dem eine mit der Aufschrift »Fuck Putin« besprühte Hauswand zu sehen ist, und schrieb dazu: »Weil einige offenbar vergessen, wer der Aggressor ist.« Noch deutlicher wurde der ehemalige Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler: »Die Linksfraktion hat sich verhalten wie ein arroganter feudaler Hofschranzenstaat.« Auch Ralph Lenkert, der am Mittwoch, womöglich als Reaktion auf die angekündigte Wagenknecht-Rede, seinen Rücktritt als energiepolitischer Sprecher und als Obmann und ordentliches Mitglied im Klimaauschuss angekündigt hatte, war im Plenum anwesend. Fraktionskollege Pascal Meiser twitterte ein gemeinsames Selfie, auf dem beide recht ernüchtert erscheinen. Die Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali äußerten sich zunächst nicht.

Was war sonst los? Habeck ging in die Offensive und holte zum Gegenangriff auf die Union aus, die ihn zuvor kritisiert hatte. Der »Sound der Selbstkritiklosigkeit«, der sich in der Generaldebatte am Vortag gezeigt habe, erfordere eine Antwort, sagte der Grünen-Politiker. CDU-Chef Friedrich Merz hatte Habecks Plan, zwei der drei letzten Atomkraftwerke im kommenden Jahr in eine Reserve zu schicken, als »Irrsinn« bezeichnet. Habeck hielt ihm entgegen: »Lieber Herr Merz, 16 Jahre lang hat die Union dieses Land regiert und viele Bundesländer. 16 Jahre energiepolitisches Versagen. Und wir räumen in wenigen Monaten auf, was Sie in 16 Jahren verbockt, verhindert und zerstört haben.« Die Regierung habe vom ersten Tag an klaren Kurs gehalten und den Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben. Die Gasspeicher füllten sich, seit einer Woche sei man unabhängig von russischem Gas.

Unionsfraktionsvize Jens Spahn warf Habeck vor, in der Frage des Weiterbetriebs der drei letzten deutschen Atomkraftwerke habe es »sechs Monate Debatte mit Verschleppen, Falschaussagen, Streit« gegeben. Der Wirtschaftsminister will zwei der drei AKW vom Jahreswechsel bis Mitte April in Reserve halten und nur im Fall absehbarer Engpässe zum Einsatz bringen. Abgeordnete der FDP verlangten erneut, die Atomkraftwerke zu Beginn des nächsten Jahres nicht abzuschalten. »Wir erzeugen zu viel Strom aus Gas«, sagte der FDP-Politiker Karsten Klein.

Die Linke aber diskutierte darüber am Donnerstag fast gar nicht – sondern hauptsächlich über die Rede Wagenknechts, die übrigens nach Aussage von Amira Mohamed Ali auch für die Parteiprotestaktionen zum »heißen Herbst« gegen die hohen Preise eingeplant werden soll. Nachdem der Linken beim Protestauftakt in Leipzig ein kleiner Erfolg gelungen ist, wird dieser nun vollständig überschattet von einer neuerlichen Wagenknecht-Debatte. Nach dieser Rede scheint insgesamt vieles offen: Wird es weitere personelle Konsequenzen von Abgeordneten geben, die Wagenknecht kritisieren? Wird ein organisierter Gegenschlag auf die Fraktionsführung erfolgen? Und was macht eigentlich Bartsch, der Chef des Hufeisen-Machtbündnisses mit den Wagenknecht-Leuten?

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