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Deckeln und schöpfen
Im Kampf gegen die steigenden Energiepreise will die EU ihren Markt umbauen
Die hohen Gaspreise fressen sich tief in die Budgets der deutschen Haushalte. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut IfW schrumpft ihre Kaufkraft nächstes Jahr mit rund vier Prozent so stark wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Auch in anderen europäischen Ländern werden die Menschen deutlich ärmer. Die EU und ihre Mitgliedstaaten versuchen zum einen, die Kosten für Unternehmen und Haushalte zu mindern. Gleichzeitig wollen sie den Energieverbrauch senken. Um beides zu erreichen, planen sie Eingriffe in den Markt – denn der spielt derzeit verrückt.
Am Markt für Gas geht es rapide auf und ab. Vergangene Woche noch war der EU-Benchmarkpreis von seinem Rekordhoch von 314 Euro pro Megawattstunde um 40 Prozent auf 192 Euro gefallen. Die Ankündigung Moskaus, die Pipeline Nord Stream 1 bis zur Aufgabe der Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu schließen, ließ den Preis zu Beginn dieser Woche wieder um 20 Prozent steigen. Die Androhung europäischer Gegenmaßnahmen trieb ihn im Wochenverlauf wieder nach unten. Mit rund 200 Euro lag er am Freitag allerdings sieben Mal höher als vor einem Jahr.
Die steigenden Großhandelspreise kommen mit Verzögerungen bei den Verbraucher*innen der EU an. Im August mussten sie im Durchschnitt 114 Prozent mehr für Gas bezahlen als ein Jahr zuvor. Der Strompreis, der vom Gaspreis stark abhängt, lag 67 Prozent höher, so das finnische Energieberatungsunternehmen VaasaETT. In Deutschland sind die Preisanstiege noch steiler, da es besonders stark von russischem Gas abhing, das nun durch teure Importe ersetzt werden muss.
Inflationsrate bleibt hoch
In Folge der Energiekrise erwartet das IfW eine Rezession in Deutschland. Im laufenden Jahr werde das Bruttoinlandsprodukt noch um 1,4 Prozent wachsen, teilte das Institut diese Woche mit. 2023 aber sei mit einem Rückgang von 0,7 Prozent zu rechnen. Mit einem Sinken der Inflation sei nicht so bald zu rechnen. Sollten die Energiepreise weiter hoch bleiben, werde der Wert nächstes Jahr auf 8,7 Prozent steigen und erst 2024 wieder auf 3,1 Prozent sinken.
Auch die Commerzbank erwartet für die nächsten Monate eine hohe Inflationsrate, da sich »die aktuellen Verwerfungen am europäischen Energiemarkt kaum rasch auflösen dürften«. Begünstigt wurden diese »Verwerfungen« schon vor dem Ukraine-Krieg durch die Umstrukturierung der Energiemärkte und die Stilllegung zahlreicher Kraftwerke, die zu Problemen auf der Angebotsseite des Strommarktes geführt hätten. Die Mangellage bei Gas verschärft das Problem weiter, da der Marktpreis für Strom nach aktuellen Regelungen vom jeweils teuersten Anbieter bestimmt wird, der gerade noch einen Abnehmer findet – und das sind derzeit die Gaskraftwerke.
Prognosen zu den Energiepreisen sind derzeit allerdings mit großer Unsicherheit behaftet. Denn sie hängen ab von Nachfrage und Angebot. So könnte ein sehr kalter Winter den Verbrauch in die Höhe treiben und die Reserven schneller dezimieren. Zudem könnten die Lieferungen aus Russland nach Europa weiter abnehmen. Moskau hat bereits die Pipelines Jamal und Nord Stream 1 geschlossen. Als nächstes könnten die Lieferungen durch die Ukraine an der Reihe sein.
Der Winter 2023 könnte daher abermals hart werden. »Es ist denkbar, dass die EU-Staaten nicht in der Lage sein werden, ihre Reserven im kommenden Sommer so stark aufzufüllen wie dieses Jahr«, sagte Niek den Hollander vom Energiekonzern Uniper diese Woche. Nach Prognosen des Chef-Rohstoffhändlers der US-Bank Citigroup, Ed Morse, »wird Europa erst zwischen 2025 und 2027 Preisniveaus wie zu Beginn des vergangenen Jahres sehen«. Schließlich entstünden Exportkapazitäten für Flüssiggas »nicht über Nacht«. Der Banker hält es allerdings für möglich, dass Russland zwischenzeitlich die Pipelines nach Europa wieder öffnet. »Damit würde es viel Geld verdienen.«
Ein Deckel für russisches Gas
Um das zu verhindern, erwägt die EU derzeit die Einführung eines Preisdeckels für russisches Gas. Dabei will Brüssel seine verbliebene Marktmacht dazu nutzen, um Russland zur Einhaltung eines maximalen Verkaufspreises für sein Gas zu zwingen. Präsident Wladimir Putin bezeichnete dies als »weitere Dummheit« und kündigte an, kein Land zu beliefern, das diesen gedeckelten Preis fordert.
Der EU-Gaspreisdeckel schließt an den Preisdeckel für russisches Erdöl an, den die G7-Staaten beschlossen haben. Denn sie fürchten einen starken Anstieg des Ölpreises, wenn Anfang Dezember das EU-Embargo für russisches Öl in Kraft tritt. Die Idee hinter dem Deckel: Der Ölpreis wird auf einem niedrigen Niveau fixiert, das aber über den russischen Produktionskosten liegt. Ölimportländer wie China und Indien hätten dadurch einen Anreiz, den G7-Preisdeckel zu unterstützen, da sie Kosten sparen. Russland seinerseits erhielte zwar nicht den hohen Marktpreis, würde aber trotzdem zum reduzierten Fixpreis verkaufen, um überhaupt Einnahmen zu generieren, so der Plan. »Es gibt aber keine Garantie, das er aufgeht«, schreibt Javier Blas, Energieexperte des Finanznachrichtendienstes Bloomberg.
Auf dem EU-Gipfel der Energieminister am Freitag war der Gaspreisdeckel daher umstritten. Denn einige Länder gerade in Osteuropa sind weiter abhängig von russischen Lieferungen und laufen Gefahr, diese Lieferungen ganz zu verlieren, wenn die EU den Deckel beschließt.
Mehr Einigkeit gab es dagegen für den Plan, den Strompreis stärker vom Gaspreis zu entkoppeln. Bislang bestimmt der stark gestiegene Gaspreis den Preis für Strom. Energiekonzernen, die Strom aus billigeren Quellen generieren, spielt dies Extragewinne in die Kassen. Einen Teil dieser Extragewinne will die EU abschöpfen und an die Haushalte zurückgeben – etwa in Form von staatlichen Hilfen, die sich bislang auf fast 400 Milliarden Euro summieren. Dem gleichen Zweck soll eine Solidaritätsabgabe dienen, die laut EU-Plänen die Öl- und Gaskonzerne zahlen sollen.
Diese Formen der Preissubventionen sind laut Wirtschaftsminister Robert Habeck allerdings nicht nachhaltig. Wichtiger als das Abschöpfen von Extragewinnen sei es, den gesamten Strommarkt neu zu regulieren, sagte er nach dem Gipfel. Ziel sei es dabei nicht, die derzeit teuren Gaskraftwerke ganz aus dem Markt zu ziehen. Stattdessen soll das Marktdesign so verändert werden, dass die hohen Gaspreise nicht länger den Preis auch für billiger produzierten Strom – etwa aus erneuerbaren Energien oder Atomkraft – bestimmen.
Die EU-Kommission soll nun in den nächsten Tagen konkrete Vorschläge vorlegen. Denn die Zeit drängt. »Bei diesen Preisen ist es in zwei Monaten vielleicht zu spät«, warnte Belgiens Premier De Croo.
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