Heißer Herbst von rechts in der Provinz

Großdemonstration in Plauen: Soziale Ängste, Umsturzträume und Hohn für die Ukraine

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Von solchen Zahlen kann man anderswo nur träumen: Bereits bei seiner zweiten Demonstration hat ein »Forum für Demokratie und Freiheit« in Plauen rund 5000 Menschen auf die Straße gebracht. Sie demonstrierten »für den Frieden und die Freiheit unserer Gesellschaft«, wie das Motto der Veranstaltung hieß. Schon als die zuvor in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung getretene Initiative vor zwei Wochen erstmals mobilisierte, kamen 2500 Menschen. Der sogenannte »heiße Herbst«: In der sächsischen Provinz kommt er offenbar mit Wucht ins Rollen.

Die Initiative gibt sich politisch neutral. In ihrer Selbstbeschreibung auf Facebook heißt es, ihre »Ideologie« sei es, »Ausgrenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung zu verhindern«. Die Lokalredaktion der Regionalzeitung »Freie Presse« erhielt einen Brief, in dem sich die Initiatoren als »Humanisten, Pazifisten und Antifaschisten« bezeichnen und zu rechtem Gedankengut und rechten Parteien auf Distanz gehen. Das ist freilich kaum mehr als ein Lippenbekenntnis.

Vordergründig geht es der Initiative um Kritik an der Berliner Politik und an der Politik gegenüber Russland. Ein Katalog mit 21 Forderungen, den »Forum«-Initiator David Thiele verbreitet, liest sich jedoch wie eine Anleitung zum politischen Umsturz. Bundestag und Bundesregierung sollten aufgelöst werden; zu den »Machenschaften« der Politik in den vergangenen 25 Jahren solle es eine »ordentliche gerichtliche Aufarbeitung« geben. Die Zusammenarbeit mit EU und Nato in ihrer jetzigen Form solle beendet werden; US-Truppen sollten die Bundesrepublik verlassen. In der Einladung zur ersten Kundgebung wurde diese als »Verfassung gebende Versammlung« angekündigt. »Das ist klare Reichsbürger-Rhetorik«, sagt Christian Herold vom Mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen in der Region.

Diesen Tenor bestätigten Redebeiträge. Gefordert wurde etwa ein Ende der »bösartigen Sanktionen« gegen Russland und die Abschaffung der Corona-Maßnahmen. Ein Redner verurteilte zwar eine verbreitete »Putin-Versteherei«, ließ dem aber rhetorische Fragen folgen: »Ist das unser Krieg?« oder »Sind wir der Ukraine irgendwas schuldig?« Die Menge antwortete jeweils mit einem lauten »Nein«. Demo-Organisator David Thiele behauptete laut einem Pressebericht, »faschistoide Kräfte in unserem Land« hätten beschlossen, dass die Bevölkerung für den Krieg zu leiden hätte. Er forderte die Öffnung der Gaspipeline Nordstream 2.

Ungeachtet solcher Töne finden die Kundgebungen viel Zulauf. Langjährige Beobachter wie der Journalist Johannes Grunert betonen, dass dabei »nicht der vermeintliche Rand, sondern die Mitte der Gesellschaft« auf der Straße sei. Die Plauener Linke-Politikerin Janina Pfau verweist zur Erklärung auf auch im sächsischen Vergleich niedrige Löhne und aktuelle Preissteigerungen bei Gas und Strom: »Vor allem die Mittelschicht hat große Angst vor sozialem Abstieg.« Ein Demonstrant sagte im MDR: »Wenn es uns gut geht, können wir gern andere unterstützen.« Dass sich Menschen mit derlei Sorgen einer Initiative anschließen, die auch nach ihrer Ansicht »eindeutige Tendenzen in die rechtsextreme Szene« hat, findet Pfau schade: »Aber so tickt die ›Normalbevölkerung‹ hier.«

Ähnliche Demonstrationen haben in Plauen Tradition. Die Stadt ist nicht nur eine Hochburg der Neonazi-Kleinpartei Dritter Weg, die hier oft mit Fackeln und Trommeln aufmarschiert. Schon 2015 rief eine Bewegung »Wir sind Deutschland« unter dem Slogan »Nicht ganz rechts, nicht ganz links« zu Demonstrationen auf, die zwar asylfeindlich, aber »weniger rechts als Pegida« waren, wie die »Taz« damals schrieb. Auch da kamen Tausende. Damals wie heute wird geschickt an lokale Mythen politischer Selbstermächtigung angeknüpft, indem zu Kundgebungen an das »Wendedenkmal« eingeladen wird. Es erinnert an die Rolle von Plauen im Herbst 1989, als dort die ersten Montagsdemos gegen die DDR-Führung stattfanden.

Der Zulauf zu den jetzigen Kundgebungen ruft eine Einschätzung von David Begrich in Erinnerung, die der Rechtsextremismusexperte anlässlich einer von Linke-Politikern organisierten Kundgebung in Leipzig am 5. September gab. Danach falle »die Entscheidung über Charakter und Ausrichtung von sozialem Protest nicht in Leipzig, sondern in Klein- und Mittelstädten«. In Plauen sucht Die Linke dagegenzuhalten. Für September ist nach Angaben Pfaus eine Veranstaltung zum »heißen Herbst« geplant. Sie fürchte aber, dass es »für Parteien generell schwierig wird, da einen Fuß in die Tür zu bekommen«. Christian Herold hält es dennoch für wichtig, den frustrierten Bürgern auch politische »Gegenangebote« zu unterbreiten.

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