- Wirtschaft und Umwelt
- Tarifrunde Elektro- und Metallindustrie
Harte Verhandlungen stehen an
In der Metall- und Elektroindustrie beginnen die Tarifgespräche für vier Millionen Beschäftigte
Die Gewerkschaften befinden sich dieser Tage in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite haben sie sich darauf eingelassen, zusammen mit der Bundesregierung und den Arbeitgeberverbänden im Rahmen der konzertierten Aktion an einem Tisch zu sitzen und mit ihnen sozialpartnerschaftlich zu beraten, wie auf die derzeitige Krise reagiert werden sollte. Auf der anderen Seite führen Inflationsraten von um die acht Prozent zu einem massiven Kaufkraftverlust der arbeitenden Bevölkerung. Das zwingt die Gewerkschaften dazu, in den Tarifverhandlungen hohe Forderungen aufzustellen und diese möglichst auch durchzusetzen.
Vor diesem Hintergrund starten diese Woche auch die Verhandlungen für die insgesamt rund vier Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie. Diesen Mittwoch trifft sich die IG Metall für die Beschäftigten in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, dem Saarland und Thüringen zu einem ersten Gespräch mit den Arbeitgeber*innen. Am Donnerstag geht es dann in Bayern und Berlin und Brandenburg los.
Die anstehende Tarifrunde dürfte konfliktreich werden. Erste Gespräche in Niedersachsen wurden am Montag bereits ergebnislos vertagt. Am Samstag zuvor zeigte sich die IG Metall in Leipzig kämpferisch. Rund 2000 Menschen kamen, um den Forderungen der Gewerkschaft Nachdruck zu verleihen. Sätze wie »Solidarität gewinnt« und »Auch der Herbst wird heiß« standen auf den Schildern der Demonstrant*innen. Angesichts der hohen Lebenshaltungskosten sei jetzt »nicht die Zeit für Zurückhaltung«, machte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann Stimmung. Acht Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten fordern er und seine Genoss*innen von den Arbeitgeber*innen.
Diese reagieren alles andere als gesprächsbereit auf diese Forderung. »Die Forderung fällt völlig aus der Zeit und zeugt von einer gewissen Weltfremdheit«, verlautbarte Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf Mitte August in der »Welt am Sonntag« und macht unter anderem die rasant gestiegenen Energiepreise und die Gefahr einer Gasmangellage dafür verantwortlich, dass es angeblich nichts zu verteilen gibt. »In der jetzigen Situation muss man eher Verzicht üben. Es geht darum, Arbeitsplätze zu sichern«, machte Wolf in einem anderen Interview gegenüber der Funke Mediengruppe deutlich, dass dem Arbeitgeberlager eher eine Nullrunde vorschwebt.
So dürfte es zumindest zu dem einen oder anderen Warnstreik kommen, auf den sich auch Gesamtmetall-Chef Wolf schon vorbereitet. Denn die IG Metall wird ihrerseits nur schwer von ihrer Forderung nach acht Prozent mehr Gehalt abrücken können. Zum einen beweisen Tarifverhandlungen wie jene für die Bodenbeschäftigten der Lufthansa, dass sich hohe Lohnerhöhungen durchaus erkämpfen lassen. Zum anderen mussten sich die Beschäftigten der Metall- und Elektrobranche aufgrund der Coronakrise bei den letzten Verhandlungen mit Einmalzahlungen abspeisen lassen. Die letzte Anpassung der Tarife gab es Anfang 2018 – also vor über vier Jahren.
Zudem wurde die Forderung innerhalb der Gewerkschaft breit diskutiert. Allein im Südwesten der Republik befragte die Gewerkschaft im Vorfeld mehr als 60 000 Beschäftigte. Danach diskutierten die Tarifkommissionen über die Forderungen. Im Juli wurden sie dann schließlich vom IG-Metall-Vorstand beschlossen. »Die Beschäftigten brauchen Entlastungen, auch mit Blick auf ihre 2023 nochmals steigenden Rechnungen. Die Konjunktur braucht steigende Einkommen und stabilen Konsum als existenzielle Stütze«, bekräftigte damals IG-Metall-Chef Hofmann. Die Arbeitgeber müssten dafür jetzt ihren gerechten Beitrag leisten.
Da könnte die Bundesregierung den Gewerkschaften durchaus einen Bärendienst erwiesen haben, indem sie im Rahmen des dritten Entlastungspakets beschlossen hat, zusätzliche Zahlungen der Unternehmen an ihre Beschäftigten von bis zu 3000 Euro von Steuern und Sozialabgaben zu befreien. Auf dem Arbeitgebertag warb Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag noch mal dafür, dass sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf solche Zahlungen verständigen: »Dazu möchte ich Sie ausdrücklich ermutigen«, so der SPD-Politiker.
Das Pikante daran: Bevor Scholz seine konzertierte Aktion startete, machte die Idee die Runde, die Gewerkschaften sollten im Gegenzug zu steuer- und abgabenfreien Einmalzahlungen auf Forderungen nach hohen Tariferhöhungen verzichten. Die Gewerkschaften wehrten sich vehement gegen den Vorschlag, selbst die Arbeitgeber wiesen ihn als unzulässige Einmischung in die Tarifautonomie zurück. So musste Scholz sich zunächst von dieser Idee distanzieren – bis sie mit dem dritten Entlastungspaket wieder auf den Tisch gebracht wurde.
Die IG Metall bringt das in eine unangenehme Lage. Nachdem Gewerkschaftschef Hofmann zunächst den Vorschlag mit den steuerfreien Einmalzahlungen ablehnte, versucht er sich jetzt an der Interpretation des dritten Entlastungspaketes. Der im staatlichen Hilfspaket vorgesehene steuer- und abgabenfreie Spielraum von 3000 Euro pro Beschäftigten sei keineswegs für Einmalzahlungen reserviert, sagte Hofmann Ende vergangener Woche der Nachrichtenagentur dpa. Der Koalitionsausschuss spreche allgemein von zusätzlichen Zahlungen. »Damit sind alle tariflichen zusätzlich vereinbarten Entgelterhöhungen darunter gefasst. Alles andere wäre ein tiefer und klar abzulehnender Versuch, in die Tarifautonomie einzugreifen«, so Hofmann.
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