Nicht konform

Revolution im Kino, nicht in der Gesellschaft: Godard blieb allein

Viele Filmleute über 70 schauen wehmütig auf die 60er Jahre. Damals entwickelte sich das Kino rasant und revolutionär. Man glaubte, das würde konstant so weitergehen und die Gesellschaft politisch grundlegend ändern. Die veränderte sich auch – aufgrund technischer Fortschritte. Politisch tat sich nicht so viel, denn der Kapitalismus machte sich alle Innovationen untertan und der Sozialismus wusste nicht, wie ihm geschah. Eigentlich weiß er es heute immer noch nicht.

Im Kino wurde die Revolution maßgeblich vorangetrieben von Jean-Luc Godard. Die Verwendung von Schrift wie in der Werbung, die Trennung von Bild und Ton, das diskontinuierliche Erzählen veränderten die Formsprache des Kinos, die sich seitdem nicht mehr so verändert hat. Wie die politische Herrschaft im Kapitalismus. Nur dass die Möglichkeiten der Überwachung des Einzelnen extrem ausgeweitet wurden. Was Godard schon in den 90er Jahren beunruhigte.

Da er so alt wurde und die ganze Zeit weiterarbeitete, hatte er die Möglichkeit, politische Bewegungen und technische Revolutionen aufeinander zu beziehen. Das Digitale kam ihm dabei sehr entgegen. Er filmte mit Camcorder und Handy. Wie Bert Rebhandl in seinem 2020 bei Zsolnay erschienenen, sehr guten Godard-Buch »Der permanente Revolutionär« schreibt, war Godard jemand, »der den allergrößten Respekt für das Kino mit der allergrößten Bereitschaft verbindet, es ständig zu zertrümmern«. In der Einleitung bemerkt er, dass »eine Literatur und eine Philosophie in Bildern und Tönen nirgends hineinpasst. Mangels alternativer Einordnungen gehört Godard immer noch zum Kino«.

Er kam da nicht raus, die politischen Bedingungen waren nicht danach. Die Probleme sind zeitlos. In »La Chinoise« (Die Chinesin) von 1967 sitzen eine Frau und ein Mann in einem Zugabteil. Der Mann fragt: »Veronique, geht’s dir nicht gut? Hast du Sorgen?« Sie sagt: »Ich habe so viele Feinde.« – »Feinde, welche denn?« – »Oh, da sind die Kriegstreiber, die Bürokraten, die Fabrikherren und dann noch die Grundbesitzer. Und dann die Fraktion der reaktionären Intellektuellen, die von ihnen abhängig sind. Das sind alles meine Feinde.« – »Donnerwetter. Das sind aber auch wirklich eine Menge Feinde.« – »Ja, und was gibt’s bei dir Neues?«

Die Maoisten fanden diesen Film nicht lustig. Und die Kinogruppen des Pariser Mai 1968 mochten auch nicht »Un film comme les autres« (Ein Film wie jeder andere), in dem sich Studenten aus Nanterre mit Renault-Arbeitern unterhalten. Für den Regisseur Jean-Marie Straub war dies »das wahre Film 68«, für die Aktivisten war es »nicht konform«. Damit stand Godard »innerhalb der Linken so allein da, dass er sich neue Partner suchen musste«, schreibt Rebhandl.

Nach Nordvietnam ließ man ihn nicht einreisen, in Jordanien wollte er die Revolution der PLO filmen, die aber im »Schwarzen September« von der jordanischen Armee besiegt wurde. Aus dem Material stellte er erst 1974 zusammen mit seiner Frau Anne-Marie Miéville, mit der er ein halbes Jahrhundert zusammen war, »Ici et ailleurs« (Hier und anderswo) fertig. Bilder aus dem französischen Alltag werden denen aus Nahost gegenübergestellt. Nebenbei verglichen Godard/Miéville Israels Politik mit der der Nazis, auch in diesen agitatorischen Formfragen hat Godard leider Maßstäbe gesetzt.

Zeitweise ließ er seinen Autorennamen im Kollektiv »Groupe Dziga Vertov« verschwinden, experimentierte mit Video und machte »Fernsehen gegen das Fernsehen« (Rebhandl). Das Spätwerk, das schon Mitte der 80er beginnt, setzte sehr auf Schauwert und – vorgelesenen – Zitatpop. Das war wie Internet schauen, nur dass man im Kino saß. Hollywood-Filme auf DVD brach er zu Hause in dem Moment ab, »in dem ich sehe, wie sie es hinkriegen, dass die Geschichte doch noch ein gutes Ende nimmt«, erzählte er der »Zeit«. Viel zu einfach. Für sein Kinodebüt »Á bout de souffle« (Außer Atem) 1960 erfand er zusammen mit dem Kameramann Raul Coutard den »Jump Cut« – der Schnitt in die Bewegung hinein, eine Art Sprung aus der Kontinuität. So sah Godard den Film. »Was ist das Kino?«, fragt er in »Histoire (s) du cinéma«, seinem ebenso schier unüberschaubaren wie systematischen Wahnsinnswerk über die Filmgeschichte, an dem er von 1988 bis 1998 saß. Antwort: »Nichts.« – »Was will es?« – »Alles. Alles. Alles.« – »Was vermag es?« – »Wenig.«

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