Wenn Brust nicht gleich Brust ist

Die Klage gegen Treptow-Köpenick wegen Diskriminierung wurde abgewiesen

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Was ist der Unterschied zwischen einer Brust mit und einer Brust ohne extra Fettpolster? Und rechtfertigt die Beschwerde über freigelegte Brüste einen Eingriff in die Freiheit der Brustträgerin? Die zweite Frage hat die Zivilkammer des Landgerichts Berlin in erster Instanz mit »Ja« beantwortet und die Klage von Gabrielle Lebreton abgewiesen. Die hatte dem Bezirk Treptow-Köpenick Diskriminierung vorgeworfen, nachdem sie im vergangenen Sommer wegen ihres unbekleideten Oberkörpers den Wasserspielplatz Plansche hatte verlassen müssen.

Es ging um große Fragen am Mittwochvormittag im Saal 100 des Landgerichts in Charlottenburg. Lebreton forderte auch eine materielle Entschädigung von wenigstens 10 000 Euro. In der Verhandlung wurde deutlich, dass sich hier zwei politische Grundhaltungen gegenüberstanden. Dass Richterin Sybille Schmidt-Schondorf keine Grundlage für eine Sanktion nach dem Landesdiskriminierungsgesetz (LADG) sah, ist dementsprechend als Rückschlag für den feministischen Hintergrund dieses Rechtsstreits zu werten.

Am 20. Juni 2021 wurde Lebreton auf dem Wasserspielplatz Plansche in Treptow vom Sicherheitspersonal aufgefordert, ihren Oberkörper zu bedecken oder zu gehen, angeblich hätten sich andere Besucher über ihre Nacktheit beschwert. Nachdem sich Lebreton geweigert hatte, zu ihrer Badehose ein Oberteil zu tragen, rief die Security die Polizei hinzu. Lebreton verließ daraufhin mit ihrem sechsjährigen Sohn den Spielplatz und wandte sich im Anschluss an die Ombudsstelle der Berliner Senatsjustizverwaltung. Diese Stelle sucht zunächst nach außergerichtlichen Lösungen, ist aber auch zuständig dafür, eingegangene Beschwerden nach dem LADG zu bewerten und Personen eventuell bei dem Gang vors Gericht zu unterstützen.

Zwei Fragen bestimmten die Verhandlung: Handelt es sich um eine unerlaubte Diskriminierung? Wenn ja, geschah sie durch die öffentliche Hand? Nur dann wäre das LADG anwendbar. »Die Ungleichbehandlung steht für mich fest«, sagte Lebretons Anwältin Leonie Thum gleich zu Beginn ihrer Stellungnahme. »Die Frage ist: Gibt es Sachgründe, die sie rechtfertigen?«

Da hatte Thum ihre Zweifel: Es lägen keine Beweise vor, dass sich andere Besucher*innen tatsächlich beschwert hätten. Und selbst wenn: »Eine Beschwerde kann nicht genügen, sonst würde sich jedes Antidiskriminierungsgesetz in Luft auflösen.« Wenn sich etwa jemand daran störe, dass sich zwei schwule Männer in der Öffentlichkeit küssten, dürfte dieses Gefühl niemals über der Freiheit des schwulen Paares stehen, erklärte Thum. Der Fall ihrer Mandantin sei genauso gelagert. Schließlich sei bei einem Wasserspielplatz mit »partieller Nacktheit« zu rechnen. »Warum sollte dann männliche Nacktheit erlaubt sein?«, fragte die Anwältin. Zahlreiche Männer hätten sich dort oben ohne aufgehalten. Wenn sich Anwesende dann in dieser Badesituation durch nackte Brüste gestört fühlten, entspringe das einer diskriminierenden Sexualisierung.

An diesem Punkt konnte der Anwalt des Bezirks, Eike-Heinrich Duhme, nicht mehr an sich halten. Entblößte weibliche Brüste oder oberkörperfreie Männer – das sei doch etwas Unterschiedliches, unterbrach er Thum. Sie erwiderte, dass auch Brustbehaarung und Bartwuchs als sekundäre Geschlechtsmerkmale gälten. Darüber hätte sich aber niemand beschwert, entgegnete Duhme. Thum lachte: »Das ist ein klassischer Zirkelschluss.«

Duhmes Verteidigungsstrategie zielte aber ohnehin nicht auf die Diskriminierungsfrage ab. Er wollte viel lieber den Bezirk aus der Verantwortung nehmen. Denn seiner Darstellung nach hätten die Sicherheitskräfte nur für die Einhaltung der Corona-Maßnahmen sorgen sollen, alles andere läge damit außerhalb ihres bezirklichen Auftrags. Mit einer neuen Information erstaunte er zudem die Klägerinnenseite wie auch die Richterin: Anders als gegenüber der Ombudsstelle dargestellt habe es im Juni 2021 noch gar keine Nutzungsordnung für den Spielplatz gegeben. Erst im Nachhinein sei eine Kleidungsregelung getroffen worden, die handelsübliche Badekleidung vorschreibe. Ohne jene Ordnung und ohne Auftrag hätte das Security-Personal schlicht die eigenen Kompetenzen überschritten.

Anwältin Thum nahm diese Argumentation nicht an. Sie könne sich nicht vorstellen, dass der Sicherheitsdienst ausschließlich mit der Durchsetzung von Corona-Maßnahmen beauftragt worden sei. »Es ist doch offensichtlich, dass der Auftrag zumindest weitergehend verstanden wurde.« Und auch die Polizei habe schließlich die Security unterstützt und nicht am Kompetenzbereich gezweifelt.

Das Urteil ist von öffentlichem Interesse, schließlich handelt es sich um eine der ersten Anwendungen des erst 2020 verabschiedeten Landesantidiskriminierungsgesetzes vor dem Landgericht. Die Ombudsstelle hatte bereits den Bezirk Treptow-Köpenick dazu gebracht, die Kleiderordnung für die Plansche so zu ändern, dass sie ausschließlich und unmissverständlch das Bedecken primärer Geschlechtsteile vorschreibt. An vielen anderen Badeorten wird aber nach wie vor handelsübliche Badekleidung verlangt. Freie Oberkörper zählen da anscheinend nicht immer dazu.

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