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Mit Scheck, Deckel und Importen
Frankreichs Regierung will weiter für vergünstigte Preise beim Strom sorgen. Und knapp wird er sein
Da die Energietarife für die französischen Haushalte derzeit gedeckelt sind, gehören sie zu den niedrigsten in Europa. Die Deckelung soll zum Jahreswechsel wegfallen, aber dann soll eine neue Maßnahme sicherstellen, dass die Energiepreisexplosion auf dem Markt nicht bis zu den Haushalten durchschlägt. Das kündigte Premierministerin Elisabeth Borne auf einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag in Paris an. Unvermeidbar sei allerdings eine Preiserhöhung für die Privatverbraucher ab Januar beim Gas und ab Februar beim Strom um jeweils 15 Prozent. Laut Borne müssten die Haushalte ohne die Mittel der Regierung zur Tarifbegrenzung, die sich allein für das kommende Jahr auf 45 Milliarden Euro summieren, 120 Prozent mehr zahlen als heute.
Auf Haushalte, die mit Gas heizen, kommen jetzt im Schnitt Mehrkosten von etwa 25 Euro pro Monat zu, während es bei denen mit Elektroheizung 20 Euro mehr sind. Wer mit Öl oder Holz heizt, muss den vollen Tarif zahlen, da es hier keine Beihilfen gibt. Zur Unterstützung erhalten die zwölf Millionen Familien, die unterhalb der Armutsgrenze leben, zum Jahresende einen Scheck über – je nach Einkommen – 100 oder 200 Euro. Das summiert sich für den Staat auf 1,8 Milliarden Euro. Eine solche einmalige Sonderhilfe hatten diese Haushalte zuletzt im April bekommen.
Regierungschefin Borne stimmt die Franzosen auf einen »schwierigen Winter« ein, wobei sie sich allerdings zuversichtlich zeigt, dass es zu keinen ernsten Versorgungsengpässen bei Strom oder bei Gas kommen wird. Für Privathaushalte werde Gas schon aus sicherheitstechnischen Gründen auf keinen Fall abgeschaltet. Viel werde davon abhängen, ob die Bürger verantwortungsvoll handeln und ihren Energieverbrauch möglichst um zehn Prozent senken. Behörden und öffentliche Einrichtungen werden verpflichtet, die Raumtemperatur auf 19 Grad zu begrenzen und so weit wie möglich bei der Beleuchtung zu sparen. Die größten Einsparmöglichkeiten sieht die Regierung in der Wirtschaft: Der staatliche Stromnetzbetreiber RTE schätzt, dass die Betriebe bei einem milden Winter, wie er in Frankreich üblich ist, zwischen 1,5 und fünf Prozent Energie einsparen müssen und bei einem strengen Winter sogar bis zu 15 Prozent. Betriebe mit besonders hohem Verbrauch, beispielsweise in der Glasindustrie oder der Metallurgie, planen bereits, ganze Fertigungslinien zeitweise abzuschalten und die Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken.
Die Mittel zur Begrenzung der Energietarife kommen nicht zuletzt von den Erzeugern, die mit Wind- und Solarenergie, mit Wasser- und Atomkraft billig Strom gewinnen und auf dem Markt teuer verkaufen können, aber die Preisdifferenz derzeit an den Staat abführen müssen. Zu dieser Ausgleichszahlung mussten sich die Energiebetriebe schon vor Jahren verpflichten – als Preis für Konzessionen und billige staatliche Kredite.
Premierministerin Borne versicherte, dass Frankreich zur europäischen Solidarität bei der Energieversorgung stehe und beispielsweise im kommenden Winter in größerem Umfang Gas nach Deutschland exportieren werde. Man wird umgekehrt weiterhin Strom aus Deutschland wegen der anhaltenden Probleme mit französischen Atomkraftwerken benötigen. Bornes Bekenntnis steht indes im Widerspruch zu jüngsten Berichten, wonach Frankreich die Versorgung Deutschlands durch Gas aus Spanien behindere. Dort stehen zahlreiche Hafenterminals für importiertes Flüssiggas mit Anlagen, die dieses wieder in gasförmigen Zustand versetzen und in Pipelines einspeisen können. Da diese Kapazitäten bei Weitem den spanischen Bedarf überschreiten, soll ein Teil nach Deutschland exportiert werden, doch es fehlt an ausreichenden Rohrleitungen. Von der seit 2013 geplanten Midi-Catalonia-Pipeline (kurz: Midcat) von Barcelona durch die Pyrenäen und weiter nach Norden, die in weniger als einem Jahr errichtet werden könnte und die die Kapazität des Gastransports verfünffachen würde, trat die französische Seite allerdings 2019 zurück. Begründet wurde das mit »mangelnder Rentabilität« und Umweltbedenken. Selbst nach dem weitgehenden Wegfall der Gaslieferungen aus Russland hält Paris an dem Veto fest.
In Spanien vermutet man, dass die französische Regierung durch das spanische Gas eine Preissenkung auf dem europäischen Energiemarkt zum Nachteil der kostengünstig erzeugten französischen Atomenergie befürchtet. Jetzt erwägt man in Madrid, eine – wesentlich teurere – Pipeline durchs Meer nach Italien zu bauen und das Gas von dort aus weiter nach Norden zu leiten.
Frankreich hat derweil ganz andere Probleme: Nach Angaben des staatlichen Energiekonzerns EDF vom Donnerstag produzieren die Atomkraftwerke im laufenden Jahr nur etwa 280 Terawattstunden Strom. Das dürfte die niedrigste Jahresproduktion überhaupt sein. Im kommenden Jahr sollen es 300 bis 330 werden. Zum Vergleich: 2019 hatte EDF knapp 380 Terawattstunden Atomstrom produziert. Für den kommenden Winter schließt Netzbetreiber RTE daher zeitlich begrenzte Stromausfälle nicht aus.
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