- Berlin
- Umstrittene Protestaktion
Kein Rechts-Links-Bündnis für Frieden
Bei einer Demonstration der Aufstehen-Bewegung in Brandenburg/Havel liefen AfD-Mitglieder mit
Vorneweg der Stadtverordnete Andreas Kutsche und andere Linke, weiter hinten der Landtagsabgeordnete Lars Hünich und andere AfD-Mitglieder – und als Ordner eingesetzt ein Mann aus der rechten Szene. Sie alle fordern, die Sanktionen gegen Russland abzuschaffen und die Gasleitung Nord Stream 2 zu öffnen. So geschehen bei einer Demonstration am Samstag vom Neustädtischen Markt fünf Kilometer durch die Innenstadt von Brandenburg/Havel. Das sind Bilder, die der Linkspartei nicht gefallen können. Aber jetzt gibt es sie. Am Mittwochabend wollen sich die Kreisvorstände von Potsdam-Mittelmark und Brandenburg/Havel bei einer schon länger geplanten gemeinsamen Sitzung auch mit den Geschehnissen am Wochenende befassen. Mit dabei Bernd Lachmann, der Anmelder der Demonstration. Denn er gehört dem Kreisvorstand Potsdam-Mittelmark an.
Eine ganze Reihe von einem freien Journalisten geschossene Fotos sorgen für Aufsehen, konkret die Aufnahmen, die Querdenker, Impfgegner und vor allem auch Männer zeigen, die mutmaßlich oder nachweislich der rechten Szene angehören. Einige schwarz-weiß-rote Reichsflaggen sind zu sehen, zum Teil auch auf Jacken oder Strümpfen, da nur durch vergrößerte Bildausschnitte. In der Totale dominiert dann wieder das Transparent der Sammlungsbewegung »Aufstehen«. Da steht jetzt die Frage: Wie ist das alles zu bewerten und wie konnte es dazu kommen?
Die 2018 von der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht (Linke) aus der Taufe gehobene Bewegung »Aufstehen« hatte im Frühjahr 2022 den ersten Ostermarsch in der Geschichte der Stadt Brandenburg/Havel organisiert. Später hielt die Ortsgruppe jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat Mahnwachen ab und bildete dafür ein »Bündnis für Frieden«. Dieses Bündnis rief jetzt auch zu der Demonstration am Samstag auf. Anmelder war Bernd Lachmann. Wie er dem »nd« erläutert, verberge sich hinter dem Bündnis im Prinzip die Ortsgruppe von »Aufstehen«. Genossen und Parteilose, auch zwei Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) beteiligen sich demnach – niemand aus einer anderen Partei, geschweige denn der AfD oder der NPD. »Wir wollen den Protest auf der Straße nicht der AfD überlassen«, beschreibt Lachmann das Ziel. Man wolle also nichts gemeinsam mit dieser Partei machen. Im Gegenteil.
Lachmann hatte die Demonstration nach eigenen Angaben für 350 Personen angemeldet. Es erschienen aber nach seiner Schätzung 3000, mindestens aber 1500. »Wir waren von der Masse, die da kam, selbst überrascht und überrollt«, gesteht Lachmann. »Rassistische oder nationalistische Parolen hätten wir nicht geduldet.« Er habe solche Parolen aber nicht gehört. Ihm sei nur eine Reichsflagge aufgefallen. Aber die sei auf Anweisung eines Ordners eingerollt worden. Eine Russlandfahne habe er gesehen, aber getragen von einem Mann zusammen mit einer US-Fahne. So ist es auch auf den Fotos zu sehen.
Und der Ordner aus der rechten Szene? »Da habe ich wirklich einen Fehler gemacht«, gibt Lachmann zu. Die Polizei habe zwölf Ordner verlangt. Es seien aber kurz vor Beginn der Demonstration erst acht vor Ort gewesen, die er persönlich kannte und für die er die Hand ins Feuer legen könne. Mitstreiter aus Potsdam hätten sich verspätet. So habe er in Panik wahllos Leute angesprochen, ob sie sich eine der übrigen vier Ordnerbinden überstreifen würden. Daraus werde er lernen. Für die nächste Demonstration am 8. Oktober werde man die Ordner vorher festlegen.
»Man wirft uns jetzt vor, Die Linke mache einen Schulterschluss mit der AfD – und das entspricht nicht den Tatsachen«, beteuert Lachmann. »Ich distanziere mich von rassistischen und nationalistischen Positionen, wenn ich sie erkenne. Aber ich kann den Leuten nicht in die Köpfe schauen.« Wie der Abgeordnete Hünich aussehe, wisse er nicht. Er habe weder ihn noch andere AfD-Mitglieder erkannt.
Auf einem Foto ist Hünich deutlich zu sehen. Der Politiker leugnet nicht, dort gewesen zu sein. Es habe ihm gut gefallen, besonders, dass da Menschen ganz verschiedener Ansichten mitgelaufen sind. So viele hätte die AfD in Brandenburg/Havel nicht mobilisieren können, meint Hünich. Er hat wie andere aus seinem Spektrum dazu ermuntert, dort mitzugehen, aber die Veranstaltung nicht etwa in Absprache mit Lachmann auf die Beine gestellt. Hünich weiß zwar, wer Bernd Lachmann ist. Er hätte seinerseits gedacht, dieser kenne ihn als Landtagsabgeordneten dem Namen nach. Aber persönlich seien sie nicht miteinander bekannt. Insofern könne es sein, dass Lachmann ihn auf der Straße nicht erkannt hätte, bestätigt Hünich. Dazu muss man wissen, dass Lars Hünich bis 2015 der Linken angehörte, bevor er von einem Tag auf den anderen zur AfD wechselte. Er war im Kreisverband Potsdam-Mittelmark organisiert, als Lachmann dort noch den Posten des Vize-Kreisvorsitzenden hatte, allerdings als einfaches Mitglied ohne jede noch so kleine Funktion. Erst bei der AfD machte Hünich Karriere, wurde erst Landesgeschäftsführer und dann Landtagsabgeordneter. Erkannt wurde Hünich nach seiner Darstellung in Brandenburg/Havel aber von Genossen aus seiner einstigen Basisorganisation in Borkwalde. »Wir sind uns nicht in die Arme gefallen«, sagt er. »Die waren ehrlicherweise glaube ich ein bisschen irritiert, mich da zu treffen.«
Aber Hünich selbst kennt kaum Berührungsängste. Wie andere AfDler bewundert er Sahra Wagenknecht für einige ihrer Äußerungen zur Asylpolitik. Ob er sie da richtig verstanden hat, sei hier dahingestellt. Hünich zeigt auch keine Scheu, im Landtag bei Reden von Linksfraktionschef Sebastian Walter zu applaudieren, wenn dieser den Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) oder andere Politiker der rot-schwarz-grünen Koalition scharf kritisiert. Nicht selten klatscht Hünich dann lauter als Walters Genossen. Dabei zeigt Walter klare Kante gegen die AfD, nimmt da nie ein Blatt vor den Mund. Das findet Hünich doof. Da spendet er natürlich keinen Beifall. Er scheint sich etwas zu wünschen, was unter Bezugnahme auf den Berliner Verkehrsarbeiterstreik von 1932 gern als Querfront bezeichnet wird. Da gab es ebenfalls unschöne Bilder: Kommunisten und Nazis als Streikposten nebeneinander.
Doch dergleichen ist mit Linksfraktionschef Walter nicht zu machen. »Für Proteste gegen das unsoziale Krisenmanagement der Bundesregierung ist es höchste Zeit«, erklärt der 32-Jährige, der auch Landesvorsitzender seiner Partei ist. Aber klar sei auch: Solidarität ist unteilbar.» Deswegen könne man nicht mit Kräften demonstrieren, «die Menschen wegen ihrer Herkunft ausgrenzen». Walter betont: «Eine Vereinnahmung unserer Proteste durch AfD und Co werden wir nicht zulassen. Die Linke demonstriert nicht mit Nazis – nicht gestern, nicht heute und nicht morgen!»
Der Kreisvorstand Brandenburg/Havel bekräftigt in einer Stellungnahme: «Für uns ist es inakzeptabel, bei einer Demonstration, die von bekannten AfD-Politikern in den sozialen Medien geteilt wird, keine Abgrenzung vorzunehmen, sondern wissentlich die Teilnahme in Kauf zu nehmen.» Man hätte doch als Veranstalter vorher klar äußern können, dass Rechte hier unerwünscht seien, ergänzt die Kreisvorsitzende Claudia Sprengel gegenüber «nd» die von ihr selbst verfasste Stellungnahme. Die Konsequenzen werde man im Kreis- und Landesverband diskutieren. «Für mich ist hier aber eindeutig eine rote Haltelinie überschritten. Antifaschismus und Frieden sind zwei Seiten derselben Medaille, ich kann mit Rechten nicht für Frieden demonstrieren.»
In der Stellungnahme heißt es noch, es sei nicht hinnehmbar, sich nicht eindeutig von der russischen Aggression gegen die Ukraine zu distanzieren. Da allerdings sagt Bernd Lachmann: «Jeder Krieg ist falsch.» Er erinnert an das Friedenslied «Meinst du, die Russen wollen Krieg?» nach einem Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko von 1961. Dass man damit seit dem russischen Angriff vom 24. Februar nicht mehr argumentieren könne, «das macht mich traurig».
Indessen sollte sich der Berliner Abgeordnete Alexander King (Linke) rechtfertigen, weil er Lachmann für die Demonstration öffentlich gedankt hatte. Dass Rechtsradikale versuchen, Proteste zu unterwandern, werde diesen Herbst noch öfter vorkommen, denkt King. «Wichtig ist, dass es den Rechten angesichts der großen Teilnehmerzahl nicht gelungen ist, den Protest zu kapern. Sie sind schlicht in der Masse untergegangen.»
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