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Klimakomfortzone Hass

Ohne einen Hauch von Gesellschaftsanalyse verkommt noch die tollste Studie zum Papiertiger.

So manche wissenschaftliche Studie kommt zwar aufgeblasen daher, bleibt aber harmlos wie ein Papiertiger.
So manche wissenschaftliche Studie kommt zwar aufgeblasen daher, bleibt aber harmlos wie ein Papiertiger.

Die Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt – und jetzt sollen extreme Temperaturen auch noch für den Anstieg von Hass und Hetze im Netz verantwortlich sein? Das legt zumindest eine viel zitierte Studie des Potsdam-Instituts für Klimaforschung (PIK) nahe. Demnach nimmt aggressives Verhalten im digitalen Raum zu, sobald das Thermometer Werte jenseits des sogenannten Wohlfühltemperaturfensters erreicht. Mithilfe eines Algorithmus haben die Forscher*innen einen Datensatz von über vier Milliarden Tweets von US-Nutzer*innen auswerten lassen. Die Künstliche Intelligenz (KI) sichtete knapp 75 Millionen Nachrichten, die sie als Hass-Posts identifizierte, weil sie diskriminierende Sprache in Bezug auf Personen oder Gruppen enthielten. Ein Abgleich mit den Wetterdaten brachte zum Vorschein, dass die Zahl entsprechender Tweets in den gesamten USA bei einer Temperatur zwischen 15 und 18 Grad am niedrigsten war. Werte über 30 Grad seien hingegen »über alle Klimazonen und sozioökonomischen Unterschiede oder politische Präferenzen« mit einem »starken Anstieg von Online-Hass« verbunden.

Einem Mitautor der Studie zufolge deuten die Ergebnisse auf eine Grenze der Anpassungsfähigkeit des Menschen hin. Warum? Weil man »selbst in einkommensstarken Gebieten, in denen sich die Menschen Klimaanlagen leisten können, eine Zunahme von Aggression an extrem heißen Tagen« beobachtet habe. Aha. Sein Fazit: »Es gibt eine Grenze dessen, was Menschen ertragen können.«

Eine solche Grenze des Ertragbaren stellt auch eine Studie der Ruhr-Universität Bochum dar, unter dem klangvollen Titel »Sportrunde drehen statt Social-Media-Story sehen«. Ganz ohne Zuhilfenahme von KI haben Forscher*innen das Konsumverhalten sozialer Medien von 642 Personen unter die Lupe genommen. Während die einen für zwei Wochen nichts an ihrer täglichen Nutzung änderten, dafür aber ihre körperliche Aktivität um eine halbe Stunde erhöhten, verbrachten andere 30 Minuten täglich weniger im Netz und bewegten sich zusätzlich mehr. Das bahnbrechende Ergebnis: Besonders die Kombination aus weniger Konsum sozialer Medien und mehr körperlicher Aktivität »steigert die Lebenszufriedenheit und das subjektive Glücksgefühl«. Ihr Experiment habe gezeigt, so die Autorin der Studie, »dass es wichtig ist, von Zeit zu Zeit die eigene Online-Erreichbarkeit einzuschränken und zu den menschlichen Wurzeln zurückzukehren«.

Offen bleibt, wem das Wissen um die Existenz dieser beiden Studien nützt, von denen Erstere nicht viel mehr als eine technisch aufgeblasene Spielerei mit einem riesigen Datensatz ist und Zweitere lediglich eine Binsenwahrheit zutage fördert – garniert mit einem Titel, der klingt, als sei er aus der Lokalzeitung geklaut. Steile These: Am wenigsten hilft sie denen, die täglich Hass und Hetze im Netz erfahren. So dürfte es etwa Luisa Neubauer herzlich egal gewesen sein, ob sich der rechte Autor Akif Pirinçci nun dies- oder jenseits seiner Klimakomfortzone befand, als er einen sexistischen Kommentar in die Tastatur hämmerte, um sie damit auf Facebook zu beleidigen. Ausgezahlt hat sich hingegen, dass die Klimaaktivistin juristisch gegen den misogynen Angriff vorging, anstatt einfach mal eine Auszeit von Social Media zu nehmen und eine Runde durch den Wald zu drehen. Erst kürzlich erwirkte sie die Pfändung von 10 000 Euro von Pirinçcis Konto, nachdem der sich geweigert hatte, die vom Landgericht Frankfurt am Main verhängte Strafe für sein Hass-Posting zu zahlen – und spendete den Großteil der Summe an die Betroffenenorganisation Hate Aid.

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