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Akademikerkinder mit Meniskusschaden
Andreas Koristka über Berufschancen von Sprößlingen aus studiertem Hause
In den Handwerksberufen werden Auszubildende dringend gesucht. Um die Situation zu entschärfen, hat der Deutsche Handwerkskammertag eine Kampagne ins Leben gerufen, die sich an junge Leute aus gutem Hause richtet. Mit launigen Sprüchen wie »Was gegen Handwerk spricht? Meine Akademikereltern.« versucht man, sie in die Berufe zu locken. Denn wer schon mal in einem bis auf den letzten Platz besetzten Golf-IV am Montagmorgen um 03:50 Uhr auf der A2 in Richtung einer Baustelle unterwegs war, um dort zwei Wochen lang für den Mindestlohn zu schuften, in einem Container zu wohnen und seine Notdurft auf einem Dixi-Klo zu verrichten, der weiß, dass es gut war, nicht auf Mama und Papa zu hören, die einen mit all ihrer zur Verfügung stehenden Kraft zu einem Germanistikstudium drängen wollten.
Natürlich ist es für Akademikerkinder anfänglich schwer, sich auf die Situation in den Handwerksbetrieben einzustellen. Sie haben ihre Hände bislang nur benutzt, um in der Thomas-Mann-Gesamtausgabe zu blättern. Von einem Hammer haben sie nur gelesen. Sie haben weder Schwielen, noch können sie laut rülpsen oder das Getriebe eines Citroen Berlingo wechseln. Trotzdem sind viele dem Aufruf der Kampagne gefolgt und schlagen sich achtbar.
Einige der jungen Leute zeigen sich sogar begeistert. Ihnen ist die Last von den Schultern genommen worden, sich um die Ausgestaltung ihrer Freizeit zu kümmern. Dafür tragen sie jetzt einen Sack Zement. Wer mit der Arbeit fertig ist, der schläft, bis der Wecker wieder klingelt. Urlaube sind mit dem Ausbildungsgehalt sowieso nicht drin. Es ist herrlich!
Auch Akademikerkinder können nun eine Art von Freiheit genießen, die einem ein Erasmusjahr nie bieten könnte. Sie leiden nicht mehr an den schier endlosen Frühstücken in den WG-Wohnungen von Barcelona bis Helsinki, an den ausufernden Partynächten in den Ausgehbezirken und dem mittelmäßigen Sex auf MDMA in ihrem Anschluss. Vor allem aber spüren sie kein schlechtes Gewissen mehr, wenn sie auf den Kontoauszügen die Überweisung von Mama und Papa suchen.
Wenn sie vom Vorarbeiter zusammengeschrien werden, dann können sie sich endlich wieder lebendig fühlen. Ein Gefühl, das man mit keinem Geld der Welt bezahlen kann. Dafür allein lohnt sich das Buckeln von früh bis spät und der Ruin des eigenen Körpers, den man mit 63 Jahren mit einem Meniskusschaden in die wohlverdiente Frührente entlässt.
Es erstaunt, dass sich überhaupt noch Menschen für die Universitäten entscheiden. Denn wer möchte nach einem elendig langen Studium die elterliche Facharztpraxis übernehmen, wenn er stattdessen tagein und tagaus defekte Sanitäranlagen reparieren kann und seine Mitmenschen mit Terminvereinbarungen von 6:30 Uhr bis 17:45 Uhr, die er gegen 15:20 Uhr absagt, in den Wahnsinn treiben kann?
Das Handwerk hat gute Chancen, zu einem neuen angesagten Lifestyle zu avancieren. Noch dominieren in den Innenstädten die teuren Hippster-Brillen, aber schon bald könnte auch hier das Klempner-Dekolletee genauso angesagt sein. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die veganen Cafés wieder Mettbrötchen und Korn anbieten und ein paar Maler in ihnen Platz nehmen, die den vorbeigehenden Passantinnen ihren Alkoholatem hinterherpfeifen. Tischler werden wieder mit zwei Fingern acht Mollen bestellen und das Rumänisch der Tagelöhner wird Englisch als Trendsprache ablösen.
Dann wird es vielleicht so kommen, dass man nicht mehr wochenlang auf den Heizungsmonteur warten muss, sondern auf die Gedichtanalyse eines Literaturexperten. Und die zwei Euro Trinkgeld, die man im Frisörsalon lässt, wären kein Almosen mehr, mit dem man einen Hungerlohn aufwertet. Stattdessen wären sie eine Ehre für ehrliche nichtakademische Arbeit. Die Welt wäre also endlich wieder in ihren Fugen.
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