• Politik
  • Neue Regierungsspitze in London

Programm für Reiche und Konzerne

Die Regierung der neuen britischen Premierministerin Liz Truss führt den Klassenkampf von oben

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Nur auf den ersten Blick sieht das den Briten angekündigte Einfrieren von Strom- und Gaspreisen für die gebeutelten Verbraucher nach Volksnähe aus. Für die nächsten zwei Jahre sollen diese dank Subventionierung nur doppelt so viel wie in diesem Frühjahr für Strom und Gas zahlen – statt das Vierfache. Ein Plan, der größtenteils von der Labour-Opposition abgekupfert wurde. Am Freitag stellte ihn Finanzminister Kwasi Kwarteng als Teil eines ganzen Maßnahmenbündels der Regierung im britischen Unterhaus in London vor. Aber wer soll das bezahlen? Labour wollte dafür die gigantische Profite einstreichenden Energiekonzerne durch eine Sonderabgabe heranziehen. Kwarteng und die neue Premierministerin Liz Truss wollen die Subventionen auf Pump vorfinanzieren. Später müssen diese höheren Staatsschulden von den Steuerzahlern getilgt werden. Die Deckelung der Energiepreise kostet den Staat allein in den ersten sechs Monaten rund 60 Milliarden Pfund (umgerechnet rund 68,7 Milliarden Euro). Konzerne wie Shell bleiben ungeschoren, das Haushaltsdefizit steigt gefährlich an. Die Geldmärkte reagieren mit einem sinkenden Pfund. Für Truss ist das kein guter Einstand.

Während ihr Vorgänger Boris Johnson noch vorgab, an seine neue Wählerklientel aus der Arbeiterschaft in Nordengland zu denken, betet Liz Truss ganz offen einzig die Macht des Marktes an. Ein neuer Wachstumsschub wird angeblich alles richten. Die Steuerpolitik wird dementsprechend ganz im Sinne der Profitmaximierung gestaltet. Das war unter den Konservativen seit Maggie Thatchers Zeiten immer die Leitlinie, wurde von den Tories aber nie mit einer solchen Direktheit hinausposaunt. Truss will das Land genau so regieren, wie sie es ihren Parteimitgliedern versprochen hat: Wer hat, dem wird gegeben. Gleich ihre erste Arbeitswoche nach dem Tod der Queen stand unter dem Motto: Almosen für Arme, Champagner für Reiche.

Diese unsoziale Schlagseite des Kabinetts Truss zeigt sich auch bei der Steuerpolitik. Der Spitzensatz in der Einkommensteuer soll von 45 auf 40 Prozent gesenkt werden. Sinken soll auch die Steuer auf Immobiliengeschäfte. Um Investitionen anzukurbeln, soll auch die Unternehmenssteuer herabgesetzt werden, von 25 auf 19 Prozent. Damit wird nach den Prinzipien der Trickle-down-Ökonomie an dieselben Konzepte angeknüpft, die während der zwölf Jahre konservativer Herrschaft nie funktioniert haben. Dennoch behauptet Finanzminister Kwarteng: »Dadurch wird der Teufelskreis der Stagnation durchbrochen.« Erreicht werden soll laut Kwarteng ein durchschnittliches Wachstum der britischen Wirtschaft von 2,5 Prozent. Dass Steuern- und Abgabenermäßigungen vor Kapitaleignern und Besserverdienenden zugute kommen, begründen Truss und Kwarteng damit, dass diese auch die meisten Steuern zu zahlen hätten. Außen vor bleiben bei dieser Betrachtungsweise die Steuervermeidungsberater, die bekanntlich nicht für Geringverdiener arbeiten.

Während Steuern für Reiche wegfallen, droht die Regierung Arbeitslosen und Geringverdienern Kürzungen an. Streiks will die Regierung weiter erschweren. Politik für das Großkapital und die Wohlhabenden. Dafür fehlt es an anderen Ecken: Gesundheitsministerin Therese Coffey will für kürzere Wartezeiten auf Arzttermine sorgen, ignoriert aber, dass in Großbritannien immer weniger Ärzte und Pfleger ausgebildet werden. Mehr Geld für Militärhilfe für die von Putins Schergen angegriffene Ukraine wird auch kaum aufzutreiben sein: Die Fehlkalkulationen des Beschaffungswesens der britischen Militärbürokratie sind schon jetzt berüchtigt.

Zu allem Überfluss soll das Limit für Banker-Boni, das noch aus EU-Zeiten stammt, jetzt im Zeichen der Deregulierung aufgehoben werden. Am Finanzplatz Londoner City knallen bereits die Sektkorken. Ob diese Nachricht auch in Englands durch Kostensteigerungen in Bedrängnis befindlichen Pubs mit Begeisterung aufgenommen wird, darf bezweifelt werden.

Eigentlich müsste dies alles der Labour-Opposition, die in zwei Jahren wieder regieren will, eine Steilvorlage bieten. Ihr übervorsichtiger Chef Keir Starmer hält sich jedoch mit Versprechungen zurück, diese Politik zu korrigieren. Angeblich, um das Pulver nicht vor der Zeit zu verschießen. Die Tories sollen sich selbst demontieren, scheint die Devise zu sein. Besser wäre zu zeigen, wo es langgehen soll. Nächste Woche hat Starmer beim Labour-Parteitag in Liverpool dazu Gelegenheit.

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