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Der Star der Gefängniswelt von Hongkong
Bruce Aitken saß selbst wegen Geldwäsche im Gefängnis und gibt nun mit seiner Radiosendung Häftlingen moralische Unterstützung
Wenn Bruce Aitken von seiner wöchentlichen Show erzählt, wirkt er wie ein Mann, der glücklich ist, sobald er andere Menschen unterstützen kann: »Meine Sendung hilft den Leuten, die Woche zu überstehen«, sagt der 75-Jährige und lächelt. Es seien doch eigentlich normale Typen wie jeder andere auch: »Sie wurden halt dabei erwischt, wie sie einen Fehler machten und müssen das jetzt ausbaden. Die vergangenen Jahre waren viele von ihnen Drogendealer aus Südamerika oder Afrika.«
Die Summe, die weltweit jährlich gewaschen oder geschmuggelt wird, um illegale Aktivitäten zu vertuschen, ist riesig. Allgemein wird geschätzt, dass sie rund 800 Milliarden bis 1,2 Billionen US-Dollar beträgt, was rund zwei bis fünf Prozent der globalen Wirtschaftsleistung entspricht.
Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) definierte Geldwäsche im Jahr 1998 als: »die Umwandlung oder Übertragung von Eigentum in dem Wissen, dass dieses Eigentum aus einer oder mehreren Straftaten stammt". Zweck des Handelns sei, "die illegale Herkunft des Eigentums zu verbergen oder zu verschleiern oder einer Person, die an einer solchen Straftat oder solchen Straftaten beteiligt ist, zu helfen, sich den Rechtsfolgen ihres Handelns zu entziehen«.
Laut UNODC teilen sich Aktionen der Geldwäsche in drei Vorgänge auf: die Unterbringung (also die Entfernung des Geldes aus der direkten Verbindung mit der Straftat), die Tarnung (also das Verwischen der Spur zur Straftat) und die Integration (also die Verfügbarmachung des Geldes aus scheinbar legitimer Quelle). fel
Jede Woche sonntags ist Bruce Aitken so etwas wie der Star der Gefängniswelt von Hongkong. Beim Sender Metro Plus 1044 überträgt der gebürtige US-Amerikaner eine Radioseelsorge. Was einst als längere Show von Gebetsmusik verschiedener Religionen begann, ist längst zu einer Vorlesestunde geworden: Mit viel Mitgefühl trägt der freundliche Mann mit grauem Haar Briefe vor, die ihm Angehörige der Insassen geschickt haben, damit diese sie im Gefängnis hören können.
Im einst liberalen Stadtstaat an der Südküste Festlandchinas ist Bruce Aitken längst eine Institution – seine Show läuft seit fast 20 Jahren. Sie ist womöglich auch deshalb so populär, weil ihr Moderator Bruce Aitken in die Rolle des Moderators erst hineinwachsen musste. »Am Anfang hab‹ ich fast nur Musik gespielt, weil ich zu schüchtern war, um ins Mikrofon zu sprechen.« Was wiederum absurd klingt, wenn man weiß, wer Bruce Aitken ist. Auf Schüchternheit deutet in der Biografie des US-Amerikaners wenig hin.
Über Jahrzehnte hat Aitken, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einfachen Verhältnissen nahe New York City aufwuchs, im großen Stil als Geldwäscher und Schmuggler »gearbeitet«. Als »der mysteriöse Geldbeweger« bezeichnete ihn eine Zeitung aus Australien, »Mr. Clean« nannten ihn seine Kunden in Thailand, Vietnam oder Guam. In Golftaschen hielt Aitken oft 100 000 US-Dollar versteckt, überquerte damit diverse Staatsgrenzen, immer wieder.
»Ungefähr einmal im Monat war ich in Australien, Japan und Thailand. In den Philippinen war ich noch viel regelmäßiger, das war meine Grundlage.« Mit zwei Prozent Provision pro bewegte Ladung – was als »fairer Preis« gegolten habe – erwirtschaftete Aitken ein sehr hohes und praktisch steuerfreies Einkommen. Oft mehrmals am Tag schickten ihn Klienten an den Flughafen, wo er gefüllte Taschen von oder nach Hongkong transportieren sollte.
Mit dem Geschäft begonnen hatte Aitken als junger Mann in den 1960er Jahren, als er als Absolvent eines Wirtschaftsstudiums im Zuge des Vietnamkriegs für eine Bank im vietnamesischen Süden arbeitete, die US-Soldaten unterstützte. Vor Ort wurde mit unterschiedlichen Währungen bezahlt: Eine lokale Währung, ein separates Zahlungsmittel für das Militär und daneben noch die Hartwährung US-Dollar – für die es aber jeweils offizielle und inoffizielle Wechselkurse gab. Mit seinem ständigen Zugang zu Bargeld als Banker witterte Aitken ein Arbitragegeschäft.
»Ich fühlte mich wie eine Zentralbank«, erinnert er sich heute ungeniert an seine frühen Straßendeals. »Ich konnte die realen Wechselkurse auf der Straße ausnutzen und Geld einfach teurer verkaufen, als es offiziell sein sollte, weil es die Nachfrage nach Hartwährung gab. Ich kreierte quasi Geld aus dem Nichts.« Mit der Zeit professionalisierte Aitken nicht nur sein Geschäft, sondern bemerkte, dass es anderswo noch viel größer war. In Hongkong, wo er bald einen neuen Finanzjob antrat, bewegte er dann Geld für diverse Personen, und über mehrere Jahre.
In der geheimen Szene derer, die Geld vorm Fiskus verstecken wollten, machte er sich einen Namen als vertrauenswürdiger Typ. Aitken schmuggelte für einen spanischer Priester namens José, aber auch für Drogenschmuggler, Kunsthändler und CIA-Mitarbeiter. Hinzu kamen Auswanderer aus der Sowjetunion, Börsenhändler in den Philippinen, Neureiche aus Japan. »Hongkong war damals eine sehr freie Gesellschaft«, sagt Aitken, sein Blick wirkt melancholisch. »Der Staat mischte sich fast überhaupt nicht ein. Ich hatte daher auch nicht das Gefühl, dass das, was ich tat, wirklich kriminell war.«
Meistens hatte Aitken also auch keine Gewissensbisse. Aber das schien eher daran zu liegen, dass ihn die finanzielle Entschädigung für seine Tätigkeiten von tieferen Reflexionsprozessen eher abhielt. Dass er immer wieder nervös war, lässt sich nämlich nicht leugnen. Im Mai dieses Jahres veröffentlichte Bruce Aitken ein Buch mit dem Titel: »Mr. Clean – Cash, Drugs and the CIA: The True Story of a Master Money Launderer.« In dieser »Geschichte eines wahren Meisters der Geldwäsche« liest man zum Beispiel diese Anekdote von der Gepäckausgabe am Flughafen in Tokio:
»Es war fast neun Uhr abends, als ich am Flughafen Tokyo Haneda landete, bereit für meinen Weg zum Hotel. Auf dem einstündigen Flug hatte ich ein paar Bier getrunken und fühlte mich entspannt. Japaner sind immer freundlich, sogar bei den Pass- und Zollkontrollen. Vor den Schaltern reihte ich mich hinter dem anderen Nicht-Japaner ein.
›Aaalso. Warum kommen Sie nach Japan?‹, fragte mich ein Offizieller in gebrochenem Englisch. ›Wie lange bleiben Sie hier und wo sind Sie untergebracht?‹ Einige kurze Fragen und ich ging weiter zum Gepäckband. Ich begann, den Schweiß an meinen Handflächen zu spüren, während ich die rollenden Bänder beobachtete, zu allen rot-weißen Golftaschen, die darauf entlangfuhren. Eine nach der anderen wurde aufgesammelt. Mein Blick wurde verschwommen, während ich all die Check-In-Namensschilder prüfte. Ich bemerkte, wie mich ein Zollmitarbeiter ansah und auf mich zuging.
Plötzlich sah ich meine Tasche. Danke, lieber Gott! Ich wartete, bis sie direkt vor mir entlangfuhr, nahm sie auf und warf sie auf einen Trolley.«
Bruce Aitken hätte wohl ewig so weitergemacht – wenn die USA nicht in den 1970er Jahren Bargeldkontrollen eingeführt hätten. Der Geldwäscher ahnte, dass es Zeit war, aufzuhören. Später, als er schon nicht mehr im Schmuggel aktiv war, landete Aitken trotzdem noch im Gefängnis: »Es ging um einen Fall der Geldwäsche, für den ich einen Auftrag aber abgelehnt hatte. Mir wurde eine Falle gelegt. Am Ende war ich etwa zehn Monate in einem Gefängnis in den USA.« Es gab schließlich einen Vergleich, Aitken kam wieder auf freien Fuß, die Kunden zahlten eine Strafe.
Heute gibt Aitken neben seiner Radioshow regelmäßig Vorträge vor Wirtschaftsverbänden, besonders die riesige Branche der Wirtschaftsprüfer interessiert sich für seine Anekdoten. »Hätte es Typen wie mich früher nicht gegeben, hätten die all die Wirtschaftsprüfer von heute kaum ihre gut bezahlten Jobs.« Aitken wiederum sei froh, dass er aus dem Schmuggelgeschäft raus ist, auch wenn er einen Großteil des damals eingenommenen Geldes längst ausgegeben habe. »Das Business ist heute deutlich stärker überwacht und gefährlicher.« Man solle sich schon deshalb davon fernhalten.
Als älterer Herr machte Bruce Aitken dann seine Wandlung vom Schmuggler zum Seelsorger – also vom Saulus zum Paulus? Vielleicht wollte er auch sein Gewissen bereinigen, gibt er zu. Vor allem aber verstehe er nach seiner eigenen Zeit im Gefängnis, wie das Leben hinter Gittern ist. Das wiederum helfe ihm sowohl für seine Radioshow als auch für sein Buch: »In der Radioshow habe ich es natürlich beworben. Einige Insassen haben es auch gekauft. Im Gefängnis arbeiten sie und verdienen dadurch etwas Geld.« Jetzt werde sein Buch dort rumgereicht.
Allerdings sind die Gefangenen heute andere als die, für die er einst seine Show begonnen hat. Das hat einerseits mit Covid-19 zu tun, wodurch zuletzt weniger Flüge nach Hongkong kamen, sodass auch der Schmuggel nachgelassen hat und daher weniger Menschen mit entsprechenden Delikten verhaftet worden sind. Außerdem gilt in Hongkong seit Sommer 2020 das »Nationale Sicherheitsgesetz«, das Kritik am chinesischen Ein-Parteienstaat praktisch verbietet und bei Fehlverhalten langjährige Gefängnisstrafen androht.
Als das Gesetz beschlossen war, begannen einmal mehr groß angelegte Demokratieproteste, wie sie Hongkong inmitten des wachsenden politischen Einflusses aus Festlandchinas über die vergangenen Jahre schon öfter erlebte. Doch diesmal, bemächtigt durch die neuen Regeln des Sicherheitsgesetzes, begegnete die Polizei mit Verhaftungen im großen Stil. »Die Zahl politischer Gefangener hat seitdem sehr stark zugenommen«, so Bruce Aitken.
Der einstige Geldwäscher und Schmuggler ist sicher, dass nun auch diejenigen seine Sendung hören, die wegen eines Verstoßes gegen das neue Sicherheitsgesetzes hinter Gittern sitzen. »Viel anderes haben sie da drinnen nicht zu tun«, so Aitken. Dieser neue Typus von Häftling, der sich eher für die Freiheit der Gesellschaft eingesetzt hat als für den Rausch ihrer Kunden, ist womöglich nicht so sehr das Publikum für Bücher über das Schmuggeln und Geldwaschen. Aber Seelsorge und ein paar vorgelesene Briefe können einige von ihnen vielleicht schon vertragen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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