Notwehr oder Nötigung?

Gericht nennt Autobahnblockaden fürs Klima moralisch gerechtfertigt

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Richterin zeigt Verständnis: »Natürlich bewegt mich das. Ich sehe, dass ihr nicht die Spinner seid, als die manche Medien euch darstellen, und dass ihr euch in einer Situation befindet, in der ihr euch nicht anders zu helfen wisst.« Gemeint sind die Autobahnblockaden der Klimagruppe Letzte Generation, mit denen die Aktivist*innen auf die verfehlte Klimapolitik der Bundesregierung aufmerksam machen wollen. Wegen der Teilnahme an einer solchen Blockade mit festgeklebten Händen am 24. Juni 2022 steht Henning Jeschke an diesem Mittwoch vor dem Amtsgericht Tiergarten.

Dennoch müsse sie hier ihren Job machen, »und ich sehe keinen Weg, an dem Paragrafen 240 vorbeizukommen«, bedauert die Richterin gegenüber Jeschke und den über 20 Unterstützer*innen, die sich in den kleinen Gerichtssaal gequetscht haben. Der Paragraf 240 des Strafgesetzbuchs behandelt das Delikt »Nötigung« und genau das wird dem 22-jährigen Aktivisten von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen. Der zweite Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wird im Lauf des Prozesses fallengelassen, als Jeschke argumentiert, dass es sich bei der Autobahnblockade um eine politische Versammlung gehandelt habe, die von der Polizei aber nicht als solche behandelt worden sei.

Der junge Aktivist verteidigt sich selbst, ohne Unterstützung durch eine*n Anwält*in. Eigentlich hat er rechtlichen Beistand durch zwei Mitstreiterinnen der Letzten Generation beantragt, doch da diese keine ausreichende juristische Qualifikation vorweisen können, wird der Antrag abgelehnt. Ohnehin geht es der Letzten Generation nicht um eine rechtliche Verteidigung. Jeschke will die Tat gar nicht abstreiten, sondern vielmehr erklären, warum er sie noch immer für richtig hält. »Die Klimakrise ist eigentlich eine Massenvernichtung«, sagt er, die von der Regierung nach wie vor ausgeblendet werde. Die Aktionen der Letzten Generation seien notwendiger Widerstand gegen die unzureichenden Maßnahmen.

Eigentlich müsse das Gericht erst einmal über diese Massenvernichtung urteilen und die rechtliche Verwerflichkeit seines Handelns im Verhältnis dazu sehen, so Jeschke. Sein Antrag auf Vernehmung des Forschers des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Karim Zantout, der die Gefahr durch die Klimakrise bestätigen könnte, wird jedoch abgelehnt. Der Beweis des Klimanotstands sei unerheblich für den Prozess.

Nun verteidigt Jeschke das Mittel der Autobahnblockade, die zu einem besonders großen Medienecho geführt habe. Ganze 41 Presseartikel auch bundesweiter Medien allein über die Blockade am 24. Juni kann er vorlegen. »Eine gewöhnliche Demo ohne Störung erregt weniger Aufmersamkeit. Das zeigt, dass die Aktionen wirksam sind und unsere Themen in breiter Öffentlichkeit diskutiert werden«, begründet er.

Die Richerin gibt zu, dass auch ihr kein besseres Protestmittel einfalle und sie das Handeln der Aktivist*innen für moralisch, aber nicht für juristisch gerechtfertigt halte. Sie verurteilt Jeschke schließlich zu einer Strafe von 20 Tagessätzen von zehn Euro, zehn weniger als die Staatsanwaltschaft gefordert hat. Jeschke fühlt sich bestätigt. »Wenn selbst die Richterin anerkennen muss, dass Straßenblockaden moralisch gerechtfertigt sind, dann ist der Auftrag an uns Bürger*innen eigentlich klar«, resümiert er und kündigt an, weiterhin auf die Straße zu gehen.

In den vergangenen Wochen standen bereits drei andere Aktivist*innen der Letzten Generation vor Gericht. 70 bis 80 Strafbefehle stünden noch aus, sagt Sprecherin Carla Hinrichs. Nach über 200 Autobahnblockaden und anderen Aktionen rechnet sie noch mit Hunderten Verfahren.

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