Blitzableiter und Fußabtreter

Hass und Drohungen gegen kommunale Mandatsträger sind Alltag

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 3 Min.
Zerstörte Wahlplakate wie hier in Potsdam 2021 sind harmlos im Vergleich zur Hetze, die viele Politiker*innen erleben.
Zerstörte Wahlplakate wie hier in Potsdam 2021 sind harmlos im Vergleich zur Hetze, die viele Politiker*innen erleben.

Es gebe in der Gesellschaft ein falsches Verständnis von Meinungsfreiheit, sagte Steffen Scheller (CDU), Oberbürgermeister von Brandenburg/Havel am Mittwoch im Landtag in Potsdam. Beleidigungen und Bedrohungen vor allem gegen Mitglieder der Kreistage hätten einen Umfang angenommen, dass der Entschluss »Das tue ich mir nicht länger an!« tatsächlich mindestens im Einzelfall für die Ablehnung einer erneuten Kandidatur entscheidend sein könne. Anderthalb Jahre vor der nächsten Kommunalwahl ist die schwindende Anziehungskraft des kommunalen Mandats Thema einer Fachanhörung im Innenausschuss des Landtags. Fraktionsübergreifend sprachen sich die Mitglieder daher für einen besseren Schutz der kommunalen Amts- und Mandatsträger vor Einschüchterung, Hetze und Gewalt aus. Die Idee, eine Stelle zu schaffen, an die sich Opfer solcher Angriffe wenden können, fand allgemein Zustimmung.

Weil auch einzelne Medien verbale Grenzüberschreitungen verstärkten, entstehe der Eindruck, dass normal sei, was aber »nur als deplatziert« bewertet werden könne, erklärte Scheller weiter. Kommunale Mandatsträger müssten oft als Blitzableiter und Fußabtreter herhalten, selbst wenn sie für konkrete Entscheidungen gar nicht verantwortlich seien, weil sie »als Teil des politischen Establishments wahrgenommen werden«. Auch die politische Sprache innerhalb der Vertretungen leiste der verbalen Verrohung Vorschub, wenn beispielsweise davon die Rede sei, einer anderen Partei »das Fürchten zu lehren«, so Scheller.

Linke-Abgeordnete Andrea Johlige wies auf die geringen Erfolgsaussichten für jene hin, die sich gegen Beleidigungen oder Hetze juristisch zur Wehr setzen wollten. Nach einem besonders krassen Fall von Beleidigung habe sie 58 Strafanzeigen gestellt, die Polizei habe immerhin 49 Täter ermittelt. Doch 35 Verfahren seien eingestellt worden, drei Strafbefehle seien ergangen.

Der Cottbuser Stadtverordneten Barbara Domke (Grüne) versagte zeitweilig die Stimme, als sie schilderte, wie sie im Wahlkampf von einem Mann verfolgt und massiv beleidigt worden sei. Zwar habe dieser eine Geldbuße entrichten müssen, doch erschüttere sie noch mehr, dass er sich selbst als Kandidat zur Wahl gestellt habe. »Und er wurde gewählt.« Domke sagte abschließend: »Ich werde nicht aufgeben, ich mache weiter.«

Die AfD-Abgeordnete Lena Kotrè beklagte, dass beleidigende Vorwürfe wie »Faschist« oder »Rassist« gegen Vertreter ihrer Partei allgemein als »nicht so wichtig« eingestuft würden.

Christina Rauh, Mitautorin einer Studie zum Thema, bestätigte, dass viele Opfer mangels Erfolgsaussichten von Anzeigen absähen. Es sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Bei rund 450 durch Befragung festgestellten Beleidigungen sei nur in 13 Fällen von Ahndungen berichtet worden. Sie trete dafür ein, eine Straftat in jedem Fall als solche zu behandeln, unabhängig davon, welcher Partei das Opfer von Hetze und Gewaltandrohung angehöre.

»Hass und Hetze beschäftigen uns seit den 90er Jahren«, sagte der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Jens Graf. »Mein Eindruck ist, das ist härter geworden.« In früheren Jahren seien solche Taten von Rechtsextremen begangen worden, später seien die sogenannten Reichsbürger ein Problem gewesen, die teilweise mit Waffen in Behörden eingedrungen seien. Von einer erhöhten Bedrohungsgefahr, der gerade Frauen ausgesetzt seien, sprach die Referentin des Frauenpolitischen Rats, Verena Letsch. Das gefährde Demokratie und innere Sicherheit. Sie empfahl, eine »Null-Toleranz-Haltung« einzunehmen. Niemand solle durch die Ausübung eines Mandates ein solches Risiko eingehen.

Laut Studie haben 35 Prozent der Mandatsträger seit 2014 mindestens einmal Bedrohung oder Beleidigung erfahren, Frauen ein wenig häufiger als Männer. Das Problem trete eher in größeren Städten und Gemeinden auf, sagte Co-Autorin Rauh. In Einzelfällen komme es zu unmittelbaren Vergewaltigungsdrohungen oder Formulierungen wie: »Die Schlampe muss abgeschlachtet werden.« Sie rate dazu, die Stelle einer Vertrauens- und Ansprechperson mit einer Frau zu besetzen, so Rauh.

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