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Sozialist stimmt mit den Nationalen
Die Linksfraktion im Potsdamer Stadtparlament spaltet sich, weil ein parteiloses Mitglied die politische Abstandsregel verletzte
Nach dem Anschlag, der die Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 unbrauchbar machte, hat sich das erst einmal erledigt. Aber am 7. September war die Forderung noch aktuell, Nord Stream 2 zu öffnen, damit die Energiepreise nicht weiter so extrem steigen. 46 Prozent der Brandenburger fürchten, im Winter ihre Energierechnung nur noch unter großen Schwierigkeiten oder gar nicht mehr bezahlen zu können. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap.
Der zur Linksfraktion gehörende Potsdamer Stadtverordnete Ralf Jäkel erhoffte von Nord Stream 2 eine Entlastung. Das sagte er Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) in der Stadtparlamentssitzung vom 7. September unmissverständlich. So weit ist das kein Problem. Dann aber wurde im Laufe des Abends über einen Antrag der AfD-Fraktion abgestimmt, der Oberbürgermeister solle sich für die Öffnung der Gasleitung einsetzen. Schubert kann da zwar wenig ausrichten. Aber darum geht es hier gar nicht, sondern darum, ob Anträge der AfD nicht aus Prinzip zurückzuweisen sind. Das gehört aus guten Gründen zu den parlamentarischen Gepflogenheiten im Umgang mit dieser nationalistischen Partei.
Am 7. September hat Ralf Jäkel gezögert und dann doch seine Hand gehoben. Wenn er diesem Antrag nicht zustimmt, obwohl er sich selbst gerade ähnlich geäußert hat, dann würde er sich unglaubwürdig machen, dachte Jäkel. Er ist parteilos, wirkt aber schon so viele Jahre engagiert in der Linksfraktion mit, dass dies kaum auffällt. Sein Vater Horst Jäkel ist Parteimitglied, die Familie ist sozialistisch gesinnt. Dass Ralf Jäkel irgendwelche Sympathien für die AfD hegt, darf ausgeschlossen werden.
Weil der Stadtverordnete im Rücken der Genossen sitzt, hat es keiner von ihnen bemerkt – bis auf Isabelle Vandré, die vorn im Präsidium saß und die Entgleisung beobachten konnte. »Ich war fassungslos«, beschreibt Vandré ihr Gefühl in diesem Moment. »Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, da es eine klar kommunizierte Grenze gibt, die wir nicht überschreiten: Wir stimmen nicht für Anträge der AfD.« Niemand außer Jäkel hatte das gemacht.
Bei Fraktionssitzungen am 12., 19. und 26. September ist das mit ihm diskutiert worden. »Ich habe erkannt, dass es ein Fehler war. Ich habe mich in der Fraktion zweimal entschuldigt und zugesichert, dass es nicht wieder vorkommt«, berichtet Jäkel, der seit 28 Jahren Stadtverordneter ist und sich, wenn auch parteilos, als Linker fühlt.
Doch mehrere Genossen hegten ernste Zweifel, ob sie darauf vertrauen können. Sie forderten von Jäkel, sein Mandat niederzulegen oder wenigstens die Linksfraktion zu verlassen. Dazu war er nicht bereit. Um ihn auszuschließen, bedarf es einer Drei-Viertel-Mehrheit. Es müssten sich acht von zehn Fraktionsmitgliedern dafür aussprechen. Diese Mehrheit sei knapp nicht zustande gekommen, sagt Vandré und sagt auch Fraktionschef Stefan Wollenberg.
Daraufhin verließen Wollenberg, Co-Fraktionschefin Sigrid Müller und andere den Raum, mit der festen Absicht, eine neue linke Fraktion zu gründen. Sie luden die übrigen Genossen ein, sich ihnen anzuschließen. Ralf Jäkel, der kein Parteimitglied ist, bliebe dann allein zurück und wäre fraktionsloser Stadtverordneter. Bleibt aber nur ein Genosse bei ihm, so besteht die alte Fraktion fort und darf sich Die Linke nennen, während für die neue Fraktion ein anderer Name gefunden werden muss.
Genau so ist es gekommen. Hans-Jürgen Scharfenberg, über Jahrzehnte der Kopf und das Gesicht der Potsdamer Linksfraktion, der bei der Kommunalwahl 2019 mit rund 8000 Stimmen das mit Abstand beste Ergebnis aller Kandidaten erzielte, kennt Ralf Jäkel aus jahrelanger Zusammenarbeit im Stadtparlament. Er will ihn nicht einfach so fallen lassen. »Mit Engelszungen habe ich für ein anderes Vorgehen geworben«, berichtet Scharfenberg. Jäkel sollte eine Missbilligung ausgesprochen werden. Wem dieses Mittel zu mild erscheint, dem sagt Scharfenberg, dass er sich nicht erinnern könne, dass die Potsdamer Linksfraktion jemals zuvor dazu gegriffen hätte. Auch bei dem 68-jährigen Scharfenberg steht völlig außer Frage, dass er ein entschiedener Gegner der AfD ist. Mehr noch. Er verurteilt das Verhalten von Jäkel aufs Schärfste wie die anderen auch. Sollte Jäkel erneut für einen AfD-Antrag stimmen, so würde Scharfenberg dann auch seinen Ausschluss befürworten. Das sollte Ralf Jäkel auch genau so angedroht werden.
Doch die Fraktion hat sich gespalten. »In der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung gibt es ab heute eine neue Fraktion«, teilte Fraktionsgeschäftsführer Sascha Krämer am Mittwoch mit. »Sie trägt den Namen ›Sozial. Die Linke. Potsdam‹. Ihr gehören acht Mitglieder an.« Sigrid Müller und Stefan Wollenberg wurden als Vorsitzende gewählt. Am Donnerstagabend erkannte der Kreisvorstand bei einer Sondersitzung diese neue Fraktion als die Vertretung der Linkspartei im Stadtparlament an. An der Einsicht, zu der Ralf Jäkel gelangt ist, ändert die neue Situation aber nichts, wie dieser betont. Er werde auch so nie wieder für einen Antrag der AfD stimmen, beteuert er.
Entfernt erinnert der Vorgang in Potsdam an die Spaltung der Linksfraktion in Forst/Lausitz. Das hatte aber eine ganz andere Qualität, da der dortige Fraktionschef Ingo Paeschke in der Sachfrage eines Jugendklubs mit der AfD zusammenarbeitete und diese sogar zu einer gemeinsamen Pressekonferenz in die Geschäftsstelle der Linkspartei hineinließ, wo er Seite an Seite mit dem AfD-Fraktionschef auftrat. Paeschke, inzwischen aus der Partei ausgeschlossen, bildete mit zwei Genossen die neue Fraktion »Unabhängig links«. Verblieben ist hier Doris Dreßler. Sie ist 62 Jahre alt und kann sich vorstellen, bei der Kommunalwahl 2024 noch ein letztes Mal für ihre Partei zu kandidieren. Stets engagiert, wie sie nun einmal ist, meint sie in ihrer unnachahmlichen Art: »Von der jetzigen Warte aus, wenn ich gesund bin und die Bürger sagen: Wir brauchen so eine Nervensäge wie Frau Dreßler.«
Es gab in der Vergangenheit auch noch andere Fälle in Brandenburg: zwei parteilose Linksfraktionäre, die 2017 in Lebus mit anderen Stadtverordneten zusammen einen AfD-Mann zum ehrenamtlichen Bürgermeister wählten, der aber sein Amt nie antreten durfte, und zwei Genossen in Zehdenick, die 2021 gemeinsam mit anderen Stadtverordneten, also auch denen von der AfD, einen Antrag zur Abwahl des Bürgermeisters unterschrieben.
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