- Politik
- Nordirland im Wandel
Zuwachs für Einheitsbefürworter
Nach der neuen Volkszählung sind in Nordirland die Protestanten nun in der Minderheit
Das Schrumpfen der protestantischen Bevölkerungsmehrheit in Nordirland war seit den 1970ern ein stetiger Prozess. Nun ist es offiziell: Die meisten Nordiren kommen mittlerweile aus katholischen Verhältnissen. Auch jene, die einen Fortbestand der Provinz im Vereinigten Königreich befürworten, sind laut den Ergebnissen der aktuellen Volkszählung in der Minderheit. Spätestens seit 2011 war den Experten klar, dass die katholische Bevölkerung bald die größte Volksgruppe sein wird. Daher sind die Daten, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurden, keine Überraschung, sie feuern die Debatte um die Wiedervereinigung der Insel aber weiter an.
Demnach haben bei der aktuellen Volkszählung 42,3 Prozent angegeben, sich als »katholisch« zu bezeichnen. Nur 37,3 Prozent entschieden sich für »protestantisch«. Zugleich wuchsen die Gruppen »Andere« und »keine Religion«. Zusätzlich wurde gefragt, in welchem Umfeld die Befragten aufgewachsen sind. Auch hier liegt »katholisch« (45,7 Prozent) vor »protestantisch« (43,5 Prozent). Die relative Mehrheit dieser »Cultural Catholics«, wie sie von vielen Forschern bezeichnet werden, ist besonders relevant. Denn auch wenn sie ihre Religion nicht mehr praktizieren, sehen sie sich als Teil der nun pro-irischen Mehrheit. Stark gestiegen ist in den vergangenen 30 Jahren der Anteil der Atheisten: von 3,7 Prozent auf 17,4 Prozent.
Während es nicht beeinflussbar ist, in welchem religiösen Umfeld jemand aufwächst, hat der Brexit die Tendenz weg vom Königreich verstärkt. So stieg die Zahl jener, die einen irischen Reisepass besitzen, von 375 800 (2011) auf 614 300 stark an. Nur noch 42,8 Prozent gaben bei ihrer Identität »britisch« an.
»Ein protestantisches Land für ein protestantisches Volk«, soll der Regierungschef James Craig Nordirland 1921 genannt haben. Um die protestantische Mehrheit im neuen Staat abzusichern, wurden von der historischen Provinz Ulster – aus der Nordirland entstand – nochmal drei mehrheitlich katholische Grafschaften (Monaghan, Cavan und Donegal) abgetrennt. In dem aus sechs Grafschaften bestehenden Nordirland gab es über zwei Drittel Protestanten. Damit sollte bis in alle Ewigkeit der Verbleib im Vereinigten Königreich gesichert sein. Denn die Protestanten sind mehrheitlich pro-britische Unionisten, wogegen die katholische Minderheit eher zur Wiedervereinigung mit der Republik im Südwesten tendierte.
Die Daten der neuen Volkszählung »Northern Ireland Life and Times Survey« spielen den pro-irischen Republikanern in die Hände. 2016 hatte Nordirland genauso wie Schottland mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt. Laut der Erhebung waren damals 64 Prozent jener, die gegen den Brexit gestimmt haben, für einen Verbleib der Provinz im Vereinigten Königreich. Mittlerweile wollen das nur noch 37 Prozent von ihnen. Die republikanische Sinn Féin (SF) wirbt offen für eine Rückkehr Nordirlands in die EU als Teil eines vereinigten Irlands und erhielt bei den Wahlen im Mai 2022 erstmals die meisten Stimme und Sitze im Regionalparlament Stormont. Ihre Vorsitzende Mary Lou MacDonald versprach, »in den kommenden fünf Jahren« ein Referendum über die Wiedervereinigung abhalten zu wollen.
In einer ersten Reaktion zeigte sich SF erfreut. Die Ergebnisse der Volkszählung zeigten deutlich, dass »ein historischer und irreversibler Wandel im Gange ist«, sagte der Abgeordnete von Nord-Belfast, John Finucane. »Die Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit, die Vorbereitungen für ein zukünftiges Referendum über die Vereinigung Irlands zu intensivieren«, wird er in der »Irish News« zitiert.
Wie ein solches Referendum abgehalten werden könnte, ist unklar. Im Karfreitagsabkommen von 1998 steht lediglich, ein solches müsse vom britischen Staatsekretär für Nordirland durchgeführt werden, »wenn dieser der Meinung ist, dass es eine Mehrheit gibt, die den derzeitigen konstitutionellen Status der Region zu ändern wünscht«.
Am Montag erklärte das Northern Irish Office der britischen Regierung, es gäbe »keine klare Grundlage zu behaupten, dass eine Mehrheit der Menschen in Nordirland derzeit wünscht, sich vom Vereinigten Königreich zu trennen.« Die neuen Daten zeigen aber auch: Es gibt keine Mehrheit mehr für einen Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.