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Ein Büroversehen bremst den Kampf gegen rechts
Der Verein "Erich Zeigner Haus" aus Leipzig zieht wegen einer abgelehnten Förderung vor Gericht
Der Tisch, auf den Henry Lewkowitz die Klageschrift legt, ist ein historisches Möbel: schwere, polierte Tischplatte, dunkles Furnier, gedrechselte Beine. In der Zeit des Nationalsozialismus saß hier Erich Zeigner mit Mitstreitern aus dem politischen Widerstand zusammen. Der SPD-Politiker Zeigner, der bis zu seinem Tod im April 1949 fast vier Jahrzehnte in dem zweistöckigen Wohnhaus an einer viel befahrenen Kreuzung im Leipziger Westen wohnte, war ein prominenter linker Politiker in Sachsen. In der Zeit der Weimarer Republik brachte er es sogar zum Ministerpräsidenten – allerdings nur, bis er im Oktober 1923 zwei KPD-Mitglieder in sein Kabinett berief. Wenige Tage später wurde das bemerkenswerte politische Experiment beendet und Zeigner von Reichspräsident Friedrich Ebert per „Reichsexekution» abgesetzt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war er Oberbürgermeister in Leipzig. „Für ihn war klar: Der Feind steht rechts», sagt Lewkowitz.
Der seit 1999 bestehende Verein, der heute in dem Haus ansässig ist und dessen zweiter Geschäftsführer Lewkowitz ist, sieht sich in der Tradition des früheren Bewohners. Ursprünglich wurde er gegründet, um das Gebäude und vor allem dessen museal wirkende Inneneinrichtung zu erhalten. Dazu gehört beispielsweise ein Musikzimmer mit schwarzem Flügel, an dem der Jurist Zeigner auch in der Zeit der NS-Diktatur zusammen mit jüdischen Künstlern musizierte, die aus der Leipziger Oper vertrieben worden waren. Im Nachbarraum steht eine Bibliothek mit 2300 Bänden in dunklen Regalen hinter Glas. Darin finden sich neben philosophischen und historischen Werken auch viele politische Bücher: „Sozialistica», wie es im Titel eines von Lewkowitz mit herausgegebenen Büchleins heißt, aber auch Ausgaben von Hitler und Goebbels. Zeigner, sagt er, „wollte seinen Gegner kennen».
Seit 2010 ist der Zeigner-Haus-Verein auch auf einem anderen Feld tätig: dem der demokratischen Bildung in Sachsen. Vor allem Schüler in Leipzig und umliegenden Landkreisen forschen in Projekten des Vereins zur deutschen Geschichte; sie sollen erfahren, welchen Bedrohungen und Anfeindungen die Demokratie ausgesetzt war und ist, aber auch, wie sich Menschen teils unter Lebensgefahr für ihre Verteidigung einsetzten. Auslöser für das zivilgesellschaftliche Engagement war eine zufällige Entdeckung, sagt Lewkowitz. Als der Verein seine Tätigkeit begann, wohnte im Haus noch Johanna Landgraf, die frühere Sekretärin Zeigners, die erst 2008 mit 102 Jahren in ein Altersheim zog. In jenem Jahr wurde durch einen Zeitungsartikel bekannt, dass sie in der NS-Zeit verfolgte Juden unterstützt und ihnen die Flucht ermöglicht hatte. Gemeinsam mit Schulen in Leipzig und dem französischen Lyon wurde die Geschichte erforscht. Daraus, sagt Lewkowitz, „entstand unser erstes Stolperstein-Projekt».
Weitere folgten. Der Leipziger Verein wurde auf diese Weise zu einem wichtigen Träger der politischen Bildungsarbeit in Sachsen. Er sei, wie Sozialministerin Petra Köpping (SPD) im Vorwort eines vom Verein herausgegebenen Leitfadens für historisch-politische Bildungsarbeit lobte, „bekannt für sein vielfältiges Engagement gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus». Dieses wird auch international anerkannt. 2021 wurde das Zeigner-Haus von der US-amerikanischen Obermayer-Foundation für seine Beiträge zur Erforschung der örtlichen jüdischen Geschichte und Kultur ausgezeichnet.
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Allerdings stand die Arbeit in all den Jahren auf wackeligen Beinen; eine verlässliche, sogenannte institutionelle Förderung gab es nie. Der Rückhalt im Rathaus hielt sich in Grenzen. Zwar stellte in der Stadt seit 1990 die SPD die Oberbürgermeister; faktisch sind sie alle Erben Zeigners. Doch wichtige Leipziger SPD-Vertreter stört, dass dieser schon vor Machtantritt der Nazis zum Zusammengehen von Sozialdemokraten und Kommunisten aufrief und 1946 den Zusammenschluss zur SED mitvollzog, den andere als „Zwangsvereinigung» empfanden. 2018 kam es zum Eklat, weil die Leipziger Rathausspitze sich zunächst weigerte, ein Porträt Zeigners in die Galerie der Stadtoberhäupter aufzunehmen. Auch der Verein, der heute dessen Erbe pflegt, gilt vielen als zu links.
Anfangs wurde die finanziell prekäre Lage durch Idealismus kompensiert. Das hatte Grenzen. So wurden zunehmend Spenden eingeworben, Stiftungen angesprochen und Fördermittel akquiriert. Lewkowitz, der seit 2015 im Verein tätig ist, spricht von „Professionalisierung» der Arbeit, bei der man aktuell mit Schulen vor allem in ländlichen Regionen kooperiert: „Dort gibt es weniger Angebote für politische Bildung, aber der Bedarf ist deutlich höher.»
Eine der wichtigsten Stützen für die Arbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen in Sachsen ist das Programm „Weltoffenes Sachsen» (WOS). Es wurde 2005 aufgelegt, nachdem im Jahr davor die NPD in den Landtag eingezogen war. Die damalige Koalition aus CDU und SPD wollte mehr Energie und Ressourcen in den Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus stecken. Das hat an Aktualität bis heute nichts eingebüßt. In einem „Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus», das die aktuelle Koalition aus CDU, Grünen und SPD Ende 2021 vorlegte, wird dieser weiterhin als die „größte Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung» bezeichnet. Um ihm entgegenzutreten, solle die „engagierte, couragierte Zivilgesellschaft» gestärkt werden. Ein zentrales Instrument ist weiterhin das Förderprogramm WOS, das in diesem Jahr mit 7,47 Millionen Euro ausgestattet ist.
Einen Teil davon hätte auch das Erich-Zeigner-Haus gern in Anspruch genommen. Der Verein wird bereits seit 2016 gefördert, zuletzt mit einem Projekt „Jugend erforscht Geschichte». In diesem und ähnlichen Vorhaben werden zum Beispiel spannende Biografien ergründet. 2021 wollte man zu dem ungarischen Juden Gyula Kertész recherchieren, der in den 1930er Jahren Meistertrainer des damals erfolgreichen Fußballvereins VfL Leipzig war. Die Nazis vertrieben ihn. Ziel wäre die Verlegung eines Stolpersteins vor dem Stadion, sagt Lewkowitz. Das wäre insofern pikant, als der Nachfolgeverein Lok Leipzig heute Probleme mit einer in Teilen rechtsextremen Anhängerschaft hat: „Über den Stein müsste dann jeder Lok-Fan laufen.»
Um das WOS-Projekt zu Jugend und Geschichte weiter gefördert zu bekommen, schickte der Verein im August 2021 einen Antrag an die Sächsische Aufbaubank (SAB), die vom Freistaat mit der Abwicklung vieler Förderprogramme betraut wurde. Anfang Dezember jedoch kam die Ablehnung. Im Verein war man konsterniert. Nur Tage zuvor war das sächsische „Gesamtkonzept Rechtsextremismus» vorgelegt worden, in dem die Landesregierung eine „weitere Verstetigung und Vereinfachung im Förderverfahren» in Aussicht gestellt hatte. Für das Zeigner-Haus indes standen die Zeichen nicht auf Verstetigung, sondern auf Abbruch der Förderung. Im Budget fehlten 55 000 Euro. „Für uns», sagt Lewkowitz, „ist das ein elementares Problem.»
Dass Förderanträge für das WOS abgelehnt werden, ist keine Ausnahme. Ein Grund dafür ist, dass regelmäßig mehr Geld beantragt wird, als der Fördertopf enthält. Gerade vermeldete die sächsische Landesarbeitsgemeinschaft „Auseinandersetzung mit dem NS», dass sie eine Ablehnung erhalten habe. Im entsprechenden Topf für landesweite Strukturen zur Demokratiestärkung erhielt stattdessen das renommierte Netzwerk „Tolerantes Sachsen» den Zuschlag.
Im Zeigner-Haus stört man sich weniger an der Tatsache, leer ausgegangen zu sein, als vielmehr an den konkreten Umständen. Die Ablehnung erfolgte wegen „unvollständiger Unterlagen», sagt die SAB. Konkret geht es um einen Anhang zu den Projektzielen. Dieser fehlte tatsächlich. Allerdings sei ein gleichlautendes Dokument bereits dem vorangegangenen Förderantrag beigelegt gewesen „und liegt also bei der Bank vor», sagt Lewkowitz. Außerdem hätte man sich eine Nachfrage vom Sachbearbeiter gewünscht. Hinweise auf „kleine Büroversehen, die bei ehrenamtlichen Vereinen leicht passieren», habe es in der Vergangenheit durchaus gegeben.
Bei der Förderbank stoßen diese Einwände nicht auf offene Ohren. Auf den Widerspruch des Vereins hin verweist die SAB auf die begrenzten Mittel und merkt an: „Eine Auswahl musste daher getroffen werden.» Dazu würden alle eingegangenen Anträge auf Basis von „sachorientierten Zweckmäßigkeitserwägungen» geprüft, heißt es in sprödem Verwaltungsdeutsch. Sachbearbeiter vergeben dazu Punkte und erstellen eine Rangliste. Insgesamt ist dafür weniger als ein Vierteljahr Zeit. Nachbesserungen der Anträge seien „nicht zulässig», betont die Bank unter Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz. Kategorisch wird erklärt, es obliege allein dem „Zuwendungsgeber (…), das ›Ob‹ und ›Wie‹ der Förderung frei zu bestimmen».
Der Verein will nicht einlenken. Die Ablehnung, die auch nach zwei Widersprüchen aufrecht erhalten wurde, sei „unverhältnismäßig», sagt Lewkowitz. Er kritisiert, dass „wegen eines Kleinstfehlers und aus formalen Gründen die Zivilgesellschaft ausgebremst» werde. Das stehe im eklatanten Widerspruch zum Gesamtkonzept des Freistaats, in dem den überwiegend ehrenamtlich tätigen Initiativen Erleichterungen in Aussicht gestellt werden; die Rede ist etwa von „benutzerfreundlichen digitalen Antragsunterlagen mit responsiven Funktionen für Smartphone und Tablet». Lewkowitz wäre schon dankbar für einen Rückruf. Es gebe schließlich „ein gewachsenes Vertrauen und Ermessensspielräume».
Weil die SAB hart bleibt, zieht der Verein Erich-Zeigner-Haus jetzt vor Gericht: Kürzlich wurde eine Klage beim Verwaltungsgericht Leipzig eingereicht. Der Schritt gilt als heikel. Schließlich möchte der Verein auch künftig WOS-Förderung in Anspruch nehmen. Das Programm sei eine „sehr gute Erfindung», sagt Lewkowitz. Er schreibt gerade einen Förderantrag für 2023. Gleichzeitig strebt man eine grundsätzliche Klärung dazu an, wie das Programm in der Verwaltung umgesetzt wird. Kritik gibt es zum einen an dem intransparenten Bewertungsverfahren, dessen Kriterien öffentlich nicht nachzuvollziehen seien. Zudem dränge sich angesichts der auf Formalitäten gestützten Ablehnung der Eindruck auf, dass „die abwickelnde Behörde die politischen Leitlinien der Regierung nicht umsetzt».
Die Klage dürfte von anderen Initiativen, Vereinen und Trägern im Freistaat aufmerksam verfolgt werden. Kritik an einem zu undurchsichtigen Verfahren gibt es schon lange. Die Kriterien, nach denen Sachbearbeiter in der SAB die Anträge bewerten, erfuhren lange nicht einmal Mitglieder des WOS-Beirats, sagt die Linke-Politikerin Kerstin Köditz, die 2019 erstmals in das Gremium berufen wurde. Die Beiräte, die aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft kommen, erhielten Listen und Tabellen, in denen grün oder rot unterlegte Punktzahlen für Zu- oder Absage stehen: „Wie sie zustande kamen, erfuhren wir nicht», sagt Köditz. Antragsteller ärgerten sich über schwer nachvollziehbare Entscheidungen, sagt Martina Glass vom Netzwerk Tolerantes Sachsen: „Vielen schien das sehr formalistisch.» Es sei zum Beispiel zu wenig berücksichtigt worden, welche Rolle ein langjährig aktiver Träger in einer Region spiele und wer dort sonst noch aktiv sei.
Köditz und Glass räumen ein, dass die Fördermittelvergabe einer Gratwanderung gleicht. Sie muss dem Anspruch von Objektivität und Unbestechlichkeit gerecht werden; persönliche Beziehungen dürfen keine Rolle spielen. Allerdings wurden manche Kritikpunkte schon aufgegriffen. Im Februar änderte die Regierung die Förderrichtlinie. Seither wird über die Unterstützung landesweiter und regionaler Netzwerke nicht mehr bei der SAB entschieden, sondern im Beirat. Dessen Mitglieder erhalten die anonymisierten Anträge. „Da gibt es Diskurs und fachliche Beratung», sagt Köditz: „Ich fühle mich als Mitglied ernst genommen.»
Allerdings wurde das Verfahren nur teilweise verändert. Über „Projekte der Demokratieförderung» mit einem Volumen bis 140 000 Euro entscheidet weiter die SAB. In diese Kategorie fiel das abgelehnte Projekt des Zeigner-Haus-Vereins. Auch solche Entscheidungen in den Beirat zu holen, würde dessen ehrenamtlich tätige Mitglieder zeitlich überfordern, räumt Kerstin Köditz ein. Sie regt an „zu prüfen, ob eine komplette Bearbeitung der WOS-Anträge im Sozialministerium nicht günstiger wäre» als in der Bank. Martina Glass schwebt eine Art Jury vor, in der Ministerium, Verwaltung und Zivilgesellschaft vertreten sind. Das könnte dazu führen, dass über Anträge weniger formal und stärker inhaltlich entschieden würde.
Vielleicht bekommt die Landespolitik auch von der Justiz noch ein paar Hausaufgaben zum Förderverfahren, wenn das Leipziger Gericht über die Klage des Zeigner-Haus-Vereins entscheidet. Eine grundsätzliche „Zwickmühle» könnten freilich auch die Richter nicht beseitigen, sagt Glass: „Es gibt zu wenig Geld für zu viele wichtige Projekte. Und wenn das Erich-Zeigner-Haus drin ist, ist dafür jemand anderes draußen.»
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