Deutschlands widerspenstiger Partner

Trotz der Streitigkeiten um Reparationszahlungen betont Annalena Baerbock ihre Verbundenheit mit Polen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Polen verbindet Annalena Baerbock viele positive Erinnerungen. Die deutsche Außenministerin berichtet immer wieder, wie sie im Frühling 2004 mit vielen anderen Menschen auf der Brücke zwischen dem polnischen Słubice und Frankfurt an der Oder stand. Um Mitternacht erklang die Europa-Hymne und man feierte die Osterweiterung der EU. Für Baerbock war in diesem Moment klar, dass sie sich stärker als bisher politisch engagieren möchte.

Die Grünen-Politikerin hat diese Erinnerungen in ihre Rede zum Tag der Deutschen Einheit eingebaut, die sie am Montagabend in Warschau gehalten hat. Am darauf folgenden Tag traf sie ihren Amtskollegen Zbigniew Rau in der polnischen Hauptstadt. Im Anschluss gaben Rau und Baerbock am Vormittag eine gemeinsame Pressekonferenz. Die deutsche Ministerin lobte die Beziehungen ihres Landes zu Polen in den höchsten Tönen. »Das freiheitliche Europa wird bedroht und wir stellen uns dieser Bedrohung gemeinsam entgegen«, sagte sie mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Baerbock teilte auch mit, dass die Europäische Union ein neues Sanktionspaket vorbereite, das Russland schwächen solle. Dabei werde es etwa um die Öleinnahmen des Landes gehen, verriet die Grüne. Das Oberhaus des russischen Parlaments hatte am Dienstag in Moskau einstimmig für die völkerrechtswidrige Aufnahme der ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Chersonin in die Russische Föderation votiert. Baerbock sagte dazu, dass der Landraub des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht unerwidert bleiben solle.

Nach einer Journalistenfrage war die Außenministerin aber auf einmal sehr kurz angebunden. Die Frage bezog sich auf die Forderungen der polnischen Regierung nach Reparationen wegen der Zerstörungen und Massenmorde, die Deutsche im Zweiten Weltkrieg begangen haben. Baerbock erklärt lediglich, dass sie darüber mit dem »Kollegen Außenminister«, den sie bei anderen Gelegenheiten als den »lieben Zbigniew« bezeichnet hatte, gesprochen habe und dass das Thema Reparationen aus Sicht der Bundesregierung abgeschlossen sei.

Das nationalkonservative Kabinett in Warschau unter Führung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sieht das anders. Zbigniew Rau führte aus, dass die deutschen Verbrechen die weitere Entwicklung der polnischen Nation behindert hätten. Am 83. Jahrestag des Überfalls durch das Nazireich, am 1. September, hatte eine polnische Parlamentskommission ein Gutachten vorgelegt, in dem die Weltkriegsschäden auf mehr als 1,3 Billionen Euro beziffert werden. Eine konkrete Summe nannte Rau nicht. Er unterzeichnete zu diesem Thema allerdings eine diplomatische Note, die in Berlin übergeben werden soll. Die Note bringe »die Überzeugung des polnischen Außenministers zum Ausdruck, dass die Parteien unverzüglich Schritte zu einer dauerhaften, umfassenden und endgültigen rechtlichen und materiellen Regelung der Folgen der deutschen Aggression und Besatzung von 1939 bis 1945 einleiten sollten«, so der polnische Minister.

Oppositionelle in Polen argwöhnen, dass die rechte Regierungspartei PiS das Thema allein deswegen auf die Agenda gesetzt habe, weil sie damit in weiten Teilen der Bevölkerung vor den Parlamentswahlen in einem Jahr punkten könne. Um historische Gerechtigkeit gehe es ihr nicht. Baerbock schloss sich diesen Vorwürfen nicht an. Deutschland stehe »ohne Wenn und Aber« zu seiner historischen Verantwortung, sagte die Außenministerin. Sie bekannte sich dazu, dass die Erinnerungskultur wachgehalten werden müsse. Es könne »keinen Schlussstrich geben«.

Die Bundesregierung lehnt jedoch Zahlungen an Polen ab. In diesem Zusammenhang verweist sie auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der 1990 zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges geschlossen wurde und in dem die Grenzen des deutschen Staates festgelegt wurden. Außerdem habe die Führung der damaligen Volksrepublik Polen 1953 ihren Verzicht auf deutsche Entschädigungszahlungen erklärt und im Laufe der Jahre mehrfach bestätigt. Die derzeitige polnische Regierung weist hingegen darauf hin, dass das Reparationsthema von den Deutschen bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen vermieden wurde und Polen nicht bei allen Gesprächen ein gleichberechtigter Teilnehmer war. Außerdem sei die Volksrepublik bis in die 1980er Jahre abhängig von der Sowjetunion gewesen und habe angeblich keine eigenständigen Entscheidungen getroffen.

Trotz dieser Konflikte betonte Baerbock: »Es kann uns nicht so viel trennen, wie uns verbindet.« Ohne die polnische Gewerkschaft Solidarność, die sich gegen die sozialistische Führung in Polen mit Streiks und Demonstrationen gewehrt hatte, bis das System Ende der 1980er Jahre zusammenbrach, sei der Mauerfall in Berlin 1989 nicht denkbar gewesen, sagte sie.

Die Außenministerin konnte in Polen nun aus nächster Nähe erfahren, was aus den von ihr gefeierten einstigen »Freiheitskämpfern« geworden ist. Der frühere Solidarność-Aktivist Zbigniew Rau hatte im Jahr 2019 auf Facebook geschrieben: »Stoppt die LGBT-Ideologie, stoppt die Zivilisation des Todes.« Vor allem im Süden und Osten von Polen wurden einige Regionen in den vergangenen Jahren als »frei von LGBT-Ideologie« deklariert. Dort werden Mitglieder dieser Minderheiten – Homosexuelle, Bisexuelle und Transgender – diskriminiert. Baerbock, deren Partei sich ansonsten als Vorkämpferin für die Rechte dieser Menschen darstellt, verlor zu diesem Thema während der Pressekonferenz kein Wort.

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