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Die Kampagne zur Rekommunalisierung Tausender Wohnungen ist in Bewegung – ein Gastbeitrag
Die Bewegung für die Vergesellschaftung von Wohnungen steht in der Tat vor einem Scheideweg. Sie hat die Stadt elektrisiert, die Coronakrise überlebt, eine Million Stimmen gesammelt und erstmals seit 1946 in Deutschland politische Mehrheiten für eine Sozialisierung aufgezeigt.
Auch materielle Erfolge sind da: Die Rekommunalisierung Tausender Wohnungen, einschließlich des gesamten Kottbusser Tors, wäre ohne diesen Volksentscheid kaum gelungen, ebenso wenig ein neues Abstimmungsgesetz, das die Verschleppung von Volksentscheiden erschwert. Doch es gibt auch Niederlagen: Der Berliner Mietendeckel wurde 2021 vor Gericht zerfetzt, und mit der Expertenkommission, die die Umsetzbarkeit des Volksentscheids prüfen soll, scheint es der SPD vorerst gelungen zu sein, Vergesellschaftung auf die lange Bank zu schieben.
Schuld daran, so hatten die Autoren Andreas Preisner und Klaus Byszio vor gut zwei Wochen anlässlich des Jahrestags des Volksentscheides in »nd« geschrieben, sei eine linksradikale Politgruppe namens Interventionistische Linke (IL). Sie habe einen Volksentscheid anfangs abgelehnt, danach die Initiative übernommen und dieser einen radikalen, aber irgendwie auch legalistischen Kurs aufgezwungen. Ähnliches war des Öfteren im »Tagesspiegel« zu lesen. Es gleicht der von der Immobilienlobby behaupteten Trennung zwischen »Aktivisten« und »normalen Mietern«, beides natürlich im generischen Maskulinum.
Mit den Fakten hat dies wenig zu tun, es lässt sich schnell widerlegen: Die IL hatte schon zur Jahreswende 2017/2018 in ihrer Broschüre »Das Rote Berlin« Vergesellschaftungen nach Artikel 15 gefordert – von einer Ablehnung also keine Spur. Abgelehnt wurde der Volksentscheid dagegen bis 2020 von der Berliner Mietergemeinschaft, als deren Mitglied Klaus Byszio zeichnet. Die von den Autoren ins Jahr 2019 verlegte Unterstützung der IG Metall kam erst 2021.
Es gab also keine Übernahme einer »volksnahen« Kampagne durch radikale Linke. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Deutsche Wohnen & Co enteignen ist eines der wenigen Beispiele, bei dem eine linke Kerngruppe zur Massenbewegung wurde. Teil dieses Kerns waren die Initiative Kotti & Co, aber auch die IL. Beider Einfluss ist seit Gründung der Vergesellschaftungskampagne 2018 jedoch eher gesunken. Als im Coronajahr 2020 die Kiezteams im virtuellen Raum das Einzige waren, das stadtpolitisch noch ging, wuchs die Initiative nämlich exponentiell und emanzipierte sich von den Gründervätern und -müttern.
Hier änderte sich auch die Demografie der Bewegung. Sie wurde jünger, weiblicher, netzaffiner. Manch älteres Mitglied fand sich nicht mehr darin wieder, was ein Problem ist. Allerdings gingen in dieser Zeit viele Kiezinitiativen ein, selbst das große Mietenwahnsinn-Bündnis konnte nicht anknüpfen an vorherige Großdemonstrationen. Solche Flauten gab es alle Jahre wieder.
Neu ist, dass mit Deutsche Wohnen & Co enteignen eine stadtweite Organisierung die Flaute überlebt hat, während bisherige Mietenbündnisse lose blieben und selten länger als drei Jahre hielten. Damit fällt der Initiative eine Verantwortung zu, die sie nie gesucht hat. Sie muss nicht nur für »ihren« Volksentscheid kämpfen, sondern die mietenpolitische Bewegung als Ganzes vorantreiben. Hier präsentieren sich strategische Dilemmata, von denen Preisner und Byszio einige benennen: Debatten um fehlendes Wahlrecht nichtdeutscher Menschen, der Umgang mit sexuellen Übergriffen in der Bewegung und immer wieder neu die Frage, wann Protest nach den Regeln spielt – und wo er sich den Institutionen verweigert. Kurzum: Es geht um den Umgang mit Klasse, Rassismus, Patriarchat und dem Staat. Diesen Konflikten stellte sich bereits die Sozialdemokratie im Kaiserreich, und schon damals gab es die Befürchtung, zu viel »Frauenrechtlerei« oder Antikolonialismus würde Zustimmung in der Bevölkerung kosten.
Und schon damals waren Zugeständnisse wider die Gleichheit aller Menschen ein Fehler – und dennoch musste die Botschaft von Gleichheit und Solidarität so ausgesprochen werden, dass nicht nur die Avantgarde sie verstand. Auch im Verhältnis zwischen Bewegung und Staat gilt: Das Problem ist alt, doch Patentlösungen gibt es nicht. Natürlich ist die Arbeit der Expertenkommission für Teile des Berliner Senats ein Manöver, um Zeit zu gewinnen und Vergesellschaftung zu entsorgen.
Dennoch kann die Bewegung sich der Kommission nicht verweigern, ohne sich als Sektiererin an den Spielfeldrand zu stellen. Sie muss nach der Unterschriftensammlung neue Druckmittel entwickeln. Eines davon mag ein neuer, bindender Gesetzesvolksentscheid sein. Wichtiger ist jedoch der Umgang mit den benannten Dilemmata. Man kann sie bearbeiten, indem man eine Gruppe zum Sündenbock erklärt. Oder aber man sieht sie als kollektiven Lernprozess, bei dem nicht das Rechthaben, sondern eine tragfähige Strategie das Ziel ist. Dieser Modus von Politik fehlte bisher in der Linken oft – es bleibt zu hoffen, dass die Vergesellschaftungsbewegung ihn beibehält.
Ralf Hoffrogge ist Historiker und aktiv bei der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen.
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