Berlin wählt spätestens im Februar neu

Landesverfassungsgerichtshof zieht Entscheidung zur Chaoswahl 2021 auf Mitte November vor

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Ob nur in Teilen oder flächendeckend: Voraussichtlich am 12. Februar 2023 werden die Berlinerinnen und Berliner zu den Wahlurnen gerufen, um erneut über die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) zu bestimmen. Der Landesverfassungsgerichtshof, der aktuell die Wiederholung der Berliner Chaoswahlen vom September 2021 prüft, bestätigte am Donnerstag, dass er am 16. November eine Entscheidung verkünden werde. An einem Sonntag innerhalb der darauf folgenden drei Monate müsste dann neu gewählt werden. Der 12. Februar kommenden Jahres wäre hier der spätestmögliche Termin.

Seit vergangener Woche ist damit zu rechnen, dass die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den BVVen komplett wiederholt werden müssen. In seiner ersten mündlichen Verhandlung war der Verfassungsgerichtshof für viele überraschend zu der »vorläufigen Einschätzung« gekommen, die das Land und die Bezirke betreffenden Abstimmungen insgesamt für unzulässig zu erklären.

Eigentlich hätten die Richterinnen und Richter bis Ende Dezember Zeit gehabt zu entscheiden. Nun wird dieser Schritt auf den 16. November vorgezogen, den Buß- und Bettag. Dieser wird in Berlin zwar nicht gefeiert. Angesichts der Diskussionen um die Wahlpannen und dem so häufigen Geloben von Besserung scheint das Datum aber unfreiwillig gut gewählt.

Ins Gesamtbild passt dabei, auf welche Weise die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass das Gericht wesentlich schneller ein Urteil fällen will. Noch bevor das Verfassungsgericht selbst seine Mitteilung verschickte, hatte der SPD-Abgeordnete Christian Hochgrebe den Termin am Donnerstagvormittag während der Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses in der Aktuellen Stunde bekanntgegeben, in der es vornehmlich um die »Ergebnisse der Expertenkommission des Senats zu Verbesserungen von Wahlabläufen« gehen sollte.

Zwar betonte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) bei dieser Gelegenheit: »Aus Respekt vor dem Gericht werde ich mich nicht zu einem möglichen Ausgang des Verfahrens äußern.« In sämtlichen vorangegangenen Reden wurde jedoch deutlich, dass alle Fraktionen davon ausgehen, dass die »vorläufige Einschätzung« des Gerichts auch die endgültige sein wird und die Wahlen komplett wiederholt werden müssen.

Spätestens mit dieser Parlamentssitzung ist dann auch der Wahlkampf eröffnet. Insbesondere CDU-Landes- und Fraktionschef Kai Wegner nutzte die Gunst der Stunde, um gegen den rot-grün-roten Senat und vor allem gegen die SPD zu schießen. Die Vorgänge am 26. September 2021 seien »ein Schlag in die Magengrube der Demokratie und ein Schlag ins Gesicht der SPD, die für diese Wahl verantwortlich ist«, sagte Wegner. Und ebenfalls Richtung SPD fügte er hinzu: »Sie haben Berlin gedemütigt.«

Noch eine Umdrehung schriller zeichnete später AfD-Landes- und Fraktionschefin Kristin Brinker aufgrund der Wahlpannen das Bild einer Hauptstadt im Niedergang. Sie attestierte Berlin den »Abstieg aus dem Kreis der zivilisierten Metropolen«. Erwartbare AfD-Untergangsprosa also.

Ganz anders, aber ebenso erwartbar verwahrte sich SPD-Politiker Christian Hochgrebe dagegen, das leidige Wahlthema »für parteipolitische Profilierungen« zu missbrauchen. Er gab die optimistische Parole aus: »Berlin kann Wahlen, jetzt erst recht!«

»Es sollte sich verbieten, parteipolitische Spielchen zu treiben«, setzte auch der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, an – um dann allerdings doch leidenschaftlich in den Attackemodus zu schalten. So verwies Schlüsselburg unter anderem auf Äußerungen von CDU-Bundeschef Friedrich Merz, der Geflüchtete aus der Ukraine jüngst als »Sozialtouristen« diskreditiert hatte. »Damit greift Herr Merz das Narrativ von Nazis und AfD auf«, so der Linke-Politiker. Er finde das »kreuzgefährlich« und hoffe, dass die Landes-CDU das genauso sehe. Eine Antwort bekam Schlüsselburg nicht, zumindest nicht auf offener Bühne.

Im Fokus der Plenardebatte stand ohnehin ein anderer Politiker: Bausenator Andreas Geisel (SPD), der in seiner vormaligen Funktion als Innensenator in den Augen vieler die Hauptverantwortung für das Wahldebakel trägt oder sie zumindest übernehmen sollte. »Dieses Wahldesaster darf nicht ohne Konsequenzen bleiben«, sagte etwa CDU-Mann Wegner. Statt aber Verantwortung zu übernehmen, versuche Geisel, »unterzutauchen und die Sache auszusitzen«. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) müsse Geisel endlich entlassen. »Denn spätestens jetzt, Frau Giffey, ist es auch Ihr Problem und Ihre Verantwortung.«

Allein: Der Senator, der sich in der Aktuellen Stunde auch nicht zu Wort meldete, wird allen Rücktrittsforderungen zum Trotz vorerst weiter im Amt bleiben. Zwei unabhängig voneinander eingereichte Anträge der CDU und der AfD, Geisel zu entlassen, scheiterten an der rot-grün-roten Mehrheit im Abgeordnetenhaus.

Unterdessen kündigte Geisels Nachfolgerin an der Spitze der Innenverwaltung generelle Änderungen bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen an, die – Stand jetzt – bereits in etwas mehr als vier Monaten wieder über die Bühne gehen dürften. Innensenatorin Iris Spranger versprach eine bessere Logistik bei der Verteilung von Stimmzetteln, die Ausstattung jedes Wahllokals mit drei bis vier statt zwei Wahlkabinen, einheitliche Verfahren zur Anwerbung und Schulung von Wahlhelfern und klare Vorgaben zur Übermittlung von Wahlergebnissen.

Mit Blick auf erneute Pannen auch bei den Neuwahlen nahm sich die SPD-Politikerin dabei vorsorglich schon einmal selbst aus der Verantwortungsschusslinie: »Meine Aufgabe als Innensenatorin ist es, die notwendige Unterstützungsarbeit zu leisten.«

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