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Heringskönig und Piratenskat
Zwischen Welterbe und Moderne – die Hansestadt Stralsund begeistert mit großer Pracht und kleinen Schätzchen
Ein seltsames Monstrum baumelt von der gläsernen Decke im Foyer. 7,50 Meter lang und 100 Kilo schwer. Mit roter Rückenflosse, die einer Pferdemähne ähnelt. Und übersät von 550 000 Warzen, die Modellbau-Könner per Hand auf die blau-silbrige Haut aufgetragen haben. Dieses seltsame Wesen ist ein Riemenfisch in imposanter Eins-zu-eins-Nachbildung. Höchst selten zu sichten in seinem Unterwasserreich, vielleicht gerade darum aber immer schon ein Top-Kandidat für Gruselstorys über Seeschlangen und Meerungeheuer.
- Tourismuszentrale Stralsund:
www.stralsundtourismus.de,
Tel.: (03831)24690 - Deutsches Meeresmuseum:
www.deutsches-meeresmuseum.de - Ozeaneum: www.ozeaneum.de
- Nautineum: www.nautineum.de
- Spielkartenfabrik: www.spiefa.de
- Allgemeine touristische Infos zu
Mecklenburg-Vorpommern:
www.auf-nach-mv.de, Tel.: (0381) 4030500
Den Exotenstatus freilich hat der Monsterfisch damit keinesfalls exklusiv. Im Ozeaneum am Hafen, dessen futuristische Gebäude vom Meer umspülte Steine symbolisieren und strahlendweiß kontrastieren mit der Backsteinfront der historischen Speicher, tummeln sich höchst anspruchsvolle Gesellen aus Nordsee, Ostsee und Polarmeer. Der rare Heringskönig zum Beispiel, der seine Rückenflosse zu einer Zackenkrone aufstellen kann. Die Seepferdchen aus den Graswiesen, für die sogar Jahreszeiten simuliert werden müssen. Oder die Kaltwasserkorallen aus 350 Metern Tiefe, die mundgerecht gezüchtetes Plankton serviert bekommen und ultraviolettes Licht zum Leben brauchen.
In Europas Museum des Jahres 2010 gibt es 45 Aquarien. Herzstück mit 2,6 Millionen Litern und einem elf Meter langen Schiffswrack als Blickfang ist das Becken »Offener Atlantik«. Hier schweben Rochen majestätisch durchs Wasser, tanzen Makrelen synchron im wogenden Schwarm, hängen die großen Ammenhaie »Anna« und »Anton« gern am Beckengrund ab. Eines der vier Gebäude ist den Riesen der Meere gewidmet: Modelle von Walen in Originalgröße hängen im Raum, Klanginstallationen simulieren den Gesang der Meeressäuger. Und auf dem Dach tollen putzmunter quirlige Frackträger herum – zehn Humboldtpinguine sind die Stars im Revier und beliebt bei Groß und Klein.
Von ihrem exklusiven Logenplatz schweift der Blick auf Stralsunds größten Schatz: die historische Altstadt, die gemeinsam mit ihrer Schwester in Wismar als Musterbeispiel für mittelalterliche Hansestädte vor exakt 20 Jahren zum Unesco-Welterbe erhoben wurde. Fast vollständig von Wasser umgeben, was einst effektiv gegen Angreifer schützte. Heute ein blauer, von Grünflächen gesäumter Gürtel um den altehrwürdigen Stadtkern aus Hanse- und Schwedenzeit.
Auf der Landseite spiegeln Knieper- und Frankenteich die Kirchen, Türme, Bastionen und Mauern. Zum Strelasund hin öffnet sich der von Kanälen durchzogene Hafen. Und im Stadtkern stehen bedeutende Bauten der norddeutschen Backsteingotik auf engstem Raum.
Da glänzt am Alten Markt zuallererst das ikonische Kronjuwel: die sechsgieblige Schaufassade vom Rathaus, die mit dem Doppelturm von St. Nikolai fast zu verschmelzen scheint. Schräg gegenüber grüßt das Wulflamhaus von 1380 mit Staffelgiebel und vier Pfeilertürmchen – Wohnsitz von Bürgermeister Bertram Wulflam, der seinerzeit als reichster Mann an der Ostsee galt. Der Giebel drei Häuser weiter hat noch 100 Jahre mehr auf dem Buckel und soll der älteste seiner Art überhaupt sein.
Am Neuen Markt wiederum ragt St. Marien wie eine trutzige »Burg Gottes« in den Himmel über Stralsund. Und als drittes Gotteshaus im Bunde wacht die Kulturkirche St. Jakobi seit Jahrhunderten aus luftiger Höhe über Stadtmauern und Giebelhäuser. Die drei »Roten Hünen«, wie man die Kirchen der Backsteingotik ehrfürchtig nennt, verführen übrigens nicht nur zu staunender Einkehr in ihre kreuzrippengewölbten Schiffe; mit Buchholz-, Stellwagen- und Jakobi-Orgel verfügen sie auch über Weltklasse-Instrumente, die regelmäßig ihre gewaltigen Stimmen zum Lobe Gottes hören lassen.
Stralsunds museales Flaggschiff wiederum ist das Deutsche Meeresmuseum in den mittelalterlichen Mauern des Katharinenklosters, das gerade seinen 70. Geburtstag feiert. Unter seinem Dach sind als Außenstellen auch Ozeaneum und Nautineum angesiedelt – Letzteres präsentiert auf der vorgelagerten Insel Dänholm zum Beispiel die erste deutsche Tauchstation BAH-I und das Unterwasserlabor »Helgoland«. Eine herausragende Pionierleistung deutscher Ingenieurskunst, die geplant war für den mehrwöchigen Aufenthalt von Aquanauten – so hießen einst die Unterwasserforscher.
Bunt und attraktiv ist Stralsund aber nicht nur durch seine offensichtliche Pracht und Herrlichkeit. Viele kleine Juwelen wollen und können entdeckt werden. Das Jugendstil-Theater am Olof-Palme-Platz etwa, das außen wie innen so schön strahlt wie zur Eröffnung vor 100 Jahren. Der Hackertsche Tapetensaal am Rathaus etwa mit sechs penibel restaurierten wunderbaren Wandgemälden von 1762. Oder der Hiddenseer Goldschatz im Kulturhistorischen Museum, ein filigranes Geschmeide aus 16 Stücken, das 950 für Wikingerkönig Harald Blauzahn gefertigt wurde (jawoll, genau der Typ von und mit der Bluetooth-Rune).
Etwas fürs Auge, aber auch für Kopf und Hände gibt es in der Spielkartenfabrik am Katharinenberg. An historischem Standort – bis 1931 war Stralsund eine Hochburg deutscher Spielkartenfabrikation – stehen in einer Museumswerkstatt sechs funktionierende alte Druckereimaschinen, die nicht nur Technikfans begeistern.
An den historischen Maschinen werden nach wie vor Spielkarten produziert. Nach historischem Vorbild und auf handgeschöpftem Papier etwa ein Blatt aus Wallensteins Zeiten, aber auch originelle Eigenkreationen wie der Piratenskat mit seinen unheimlichen Typen. An vielen Wochenenden finden zudem Workshops und Intensivkurse statt: Typografie und Buchdruck, Druckgrafik und Buchbinden, Papierschöpfen und selbstverständlich Gestaltung und Produktion eigener Skatblätter.
P. S.: 20 Jahre Welterbe mit all seinen positiven Effekten auf Stadtsanierung und Stadtentwicklung – das wird in Stralsund und Wismar natürlich gebührend gefeiert. Unter dem Motto »Zwei Städte – ein Erbe« geht es das ganze Jahr rund: mit Konzerten, Lesungen, Ausstellungen, Theater- und Filmaufführungen. Insgesamt noch mal 45 Gründe mehr für einen Kurzurlaub oder Tagesbesuch. In Stralsund. In Wismar. Oder in beiden Städten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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