- Berlin
- Krieg und Frieden
Protest mit Bauchschmerzen
Bei linker Friedensdemonstration in Brandenburg/Havel laufen Rechte mit
»Damit ist die Versammlung beendet und ich lege meine schwere Verantwortung ab«, sagt Anmelder Bernd Lachmann am Samstag um 14.57 Uhr auf dem Neustädtischen Markt von Brandenburg/Havel. 800 bis 1000 Teilnehmer zählt die Demonstration seines Bündnisses für Frieden, in dem vor allem die Ortsgruppe der linken Sammlungsbewegung Aufstehen präsent ist. Lachmann ist für den Moment zufrieden. Alles lief bei der drei Kilometer langen Runde durch die Innenstadt friedlich und in geordneten Bahnen ab. Es wurden keine nachweisbar verfassungsfeindlichen Parolen gezeigt oder gerufen. Soweit ersichtlich blieben rechte Kräfte in der Minderheit. Ob dann aber in den nächsten Tagen die Demonstration ganz anders beurteilt wird, vermag Lachmann nicht zu sagen.
Denn neben zunächst sachlicher Medienberichterstattung habe es nach der ersten Friedensdemonstration am 17. September im Nachgang auch Negativpresse gegeben mit dem Versuch, »unsere Demonstration in die rechte Ecke zu stellen«. So war auf einem vergrößerten Bildausschnitt eine Socke in den Farben der Reichsflagge der Kaiserzeit zu sehen. Lachmann beruhigt am Samstag, es werde heute keine Kontrolle der Strümpfe durchgeführt, distanziert sich aber ausdrücklich von einem nicht zu übersehenden Transparent, das fordert, die Regierung wegzusperren.
Was sich unterhalb der Hosenbeine abspielt, bleibt vorerst verborgen. Weiter oben aber prangt eine schwarz-weiß-rote Reichsflagge als Aufnäher auf einer Rockerkluft. Andere Teilnehmer tragen nordische Runen auf der Kleidung oder die Losung »Sieg oder Walhalla«. Dazu kommen zwei Männer mit Jacken der bei Neonazis beliebten Modemarke »Thor Steinar« und einer mit einer Hose der Marke »Erik and Sons«, mit der es sich genauso verhält. Der mit der Hose läuft bei den sogenannten Freien Brandenburgern mit. Diese schmücken die auf einem Handwagen mitgeführte Lautsprecherbox mit einer sehr speziellen Brandenburg-Fahne. Der rote Adler trägt darauf Schwert und Zepter, Schild und Krone. Diese Version stammt von 1864, als noch die Hohenzollern herrschten. Doch seit 32 Jahren ist das offizielle Wappentier des Landes Brandenburg von monarchistischem und militaristischem Zierrat befreit.
Unkar ist, ob die Freien Brandenburger mit der rechten Vereinigung Freie Sachsen verbandelt sind. Sie verneinen das und spielen das italienische Partisanenlied »Bella Ciao« ab. Andererseits erklingt auch Zarah Leanders Schlager »Davon geht die Welt nicht unter« von 1942, eine Melodie der faschistischen Durchhaltepropaganda.
In ein Megaphon spricht unterwegs der Landtagsabgeordnete Lars Hünich (AfD), der ziemlich weit hinten läuft. Er verliest allerdings nur die offiziellen Forderungen der Demonstration, etwa nach Reparatur und Öffnung der Gasleitungen Nord Stream 1 und 2. Symbole seiner AfD hat Hünich zuhause gelassen, stattdessen einen roten Pullover übergestreift. Er wolle ja hier keinen Ärger machen, begründet er das.
Anders als am 17. September sind die diesmal 25 Ordner sorgfältiger ausgewählt. Einer von ihnen gibt dann aber zu, er habe bei der letzten Bundestagswahl die AfD angekreuzt – »aus Protest«. Ganz anders Ordner Dominik Mikhalkevich. Er arbeitet in Berlin für einen Bundestagsabgeordneten der Linkspartei und achtet ganz genau darauf, was auf den Jacken und Transparenten steht. Nichts Rassistisches und Menschenfeindliches soll geduldet werden, hieß es bei der Einweisung. Wenn sich jemand weigert, den Anweisungen Folge zu leisten, sollen die Ordner die Polizei einschalten. Mikhalkevich erhielt von seinem Kreisvorstand Brandenburg/Havel per E-Mail einen Mitgliederbrief, in dem der Vorstand klarstellte, nicht an der umstrittenen Friedensdemonstration beteiligt zu sein. Die Linke werde in einigen Tagen einen eigenen Protest am Bahnhof veranstalten. Mikhalkevich hat das so verstanden, dass er nicht zum Neustädtischen Markt gehen solle, sondern nur zum Bahnhof. Das findet er schade, weil ihn beide Aktionen interessieren. Extra aus Schönefeld angereist, um sich als Ordner zur Verfügung zu stellen, ist Andreas Eichner vom Linke-Kreisvorstand Dahme-Spreewald. In Königs Wusterhausen organisiert Eichner mit einer Leere-Töpfe-Kundgebung selbst Sozialproteste. Er will in Brandenburg/Havel den Anmelder Lachmann unterstützen, damit dieser genug verlässliche Genossen an seiner Seite hat und nicht wieder versehentlich einen Rechten zum Ordner macht. Doch nachdem sich Eichner vor Ort gründlich umgeschaut hat, bekommt er »Bauchschmerzen«, wie er mehrmals betont. Neben den Thor-Steinar-Jacken stört ihn beispielsweise ein Schild mit der Losung »Europa erwache«, das an die Naziparole »Deutschland erwache« erinnert. Der ältere Herr, der dieses Schild trägt, kennt das historische Vorbild, beteuert allerdings, es nicht so zu meinen. Er wünsche sich eine starke EU und »Selbstständigkeit statt US-Hörigkeit«.
Während Eichner bei allen Bedenken bis zum Ende bleibt, lässt sich der Stadtverordnete Andreas Kutsche (Linke) nur kurz blicken. Er hilft, die kommunistische Wochenzeitung »Unsere Zeit« zu verteilen, um einen linken Akzent zu setzen. Danach verabschiedet er sich ganz bewusst schnell wieder. Am 22. Oktober soll es die nächste Demonstration geben. Kommentar
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.