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Alle Schutzmaßnahmen halfen nichts
Durch den Anschlag im Hinterland ist Russlands Verbindung zur Krim schwer angeschlagen
Die Nachricht – begleitet von zahlreichen Videoaufnahmen – verbreitete sich in den sozialen Netzwerken wie das Feuer auf der Brücke selbst. Angeblich, so die offiziellen Aussagen aus Moskau, sei ein Lastwagen explodiert, als er sich in Höhe eines Zuges befand, der Diesel-Kraftstoff transportierte. Sieben Kesselwagen brannten stundenlang. Zudem stürzten zwei Bereiche der Straßenbrücke ins Meer. Nach ersten Angaben kamen drei Menschen um. Der Verkehr über die Brücke wurde ebenso wie die Schifffahrt in dem Gebiet für Stunden gesperrt.
Kein Zweifel, der mutmaßliche Anschlag auf das mit 19 Kilometern längste derartige Bauwerk Europas, das die Meerenge zwischen den Halbinseln Krim und Taman überbrückt, trifft Russland hart. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 hatten alte Planungen zur Überbrückung der Meerenge von Kertsch eine strategische Bedeutung erhalten. Da die Ukraine die Versorgungslinien auf die Halbinsel kappte, musste Russland alle Güter auf dem See- oder Luftweg transportieren. Drei Jahre dauerte der Bau der Brücke, er kostete drei Milliarden Euro. Im Frühjahr 2018 weihte der russische Präsident Wladimir Putin mit nationalem Pomp die vierspurige Autobrücke ein; im Winter darauf gab er die zweigleisige Bahnstrecke frei.
Wie Analysen westlicher Geheimdienste zeigen, bemüht sich Russland sehr um den Schutz dieser Lebensader. Man stellte modernste Flugabwehrraketen auf, Boote der Nationalgarde »Rosgwardija« übernahmen den maritimen Schutz dieser weit im Hinterland des Krieges liegenden Verbindung. Den Brückenwächtern kam zupass, dass die von der ukrainischen Armee eingesetzten Raketen nicht über die notwendige Reichweite verfügen. Dennoch traf man Vorsorge und verankerte zahlreiche Radarreflektoren. Sie sollten die Zielgenauigkeit gegnerischer Waffen stören. Auch sind Nebelanlagen installiert, die optische Aufklärungs- und Zielsysteme behindern. Die Auto- und Eisenbahnstrecke selbst wurde vom Verkehrsministerium kontrolliert. Das erwies sich offenbar als Schwachstelle.
Es gibt – obwohl Videobilder des Geschehens vorliegen – zahlreiche Vermutungen darüber, wie der Anschlag gelingen konnte. Denkbar ist, dass der infrage kommende Lkw eine brisante Ladung beförderte, die dann auf Höhe des Zuges gezündet wurde – aus einiger Entfernung, durch einen Selbstmord-Attentäter oder automatisch. Weniger betrachtet wird die Möglichkeit, dass der Zug mit Sprengladungen versehen war. Zudem kam es jüngst in der Region Kertsch immer wieder zu Angriffen mit Drohnen. Der Einsatz von im Schwarzen Meer bereits gesichteten gelenkten Sprengbooten ist ebenso denkbar wie ein Treffer durch bislang geheime Raketen.
Auch die US-Regierung scheint von den Ereignissen überrascht worden zu sein. Pentagon-Sprecher Pat Ryder meinte, man kenne die Medienberichte, könne dazu aber »für den Moment« nichts beitragen. Die Samstagabend-Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj war gleichfalls nicht erhellend: »Heute war ein guter und meist sonniger Tag auf dem Gebiet unseres Staates…« Zuvor aber hatte sich die »Ukrajinska Prawda« auf Kiewer Sicherheitskreise berufen und behauptete, dass der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU hinter der Aktion stecke. Besagter SBU stellte nur ein Bild der brennenden Brücke auf Twitter und stellte dem einen leicht verfremdeten Text des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko (1814-1861) bei. Sinngemäß lautet er: »Es tagt, die Brücke brennt gut, eine Nachtigall auf der Krim begrüßt den SBU.«
Aus Kiew gab es immer wieder Drohungen gegen die Brücke. Zumindest medial war man vorbereitet und vertieft geschickt in Russland aufkommenden Unmut über den Verlauf des Krieges. Zugleich stärkt Kiew Hoffnungen auf einen Sieg über die Okkupanten. Post-Generaldirektor Igor Smelyansky bewarb einen offenbar lange vorbereiteten Brief mit dem »Abbild dessen, was von der Krimbrücke übriggeblieben ist«. Doch das scheint – entgegen ersten Einschätzungen – verhältnismäßig viel zu sein. Der Gouverneur der Krim, Sergej Aksjonow, stellte daher von Bürgern wie Urlaubern befürchtete Versorgungsprobleme in Abrede. Bereits am Samstagabend meldete der russische Vize-Ministerpräsident Marat Khusnullin, dass der Eisenbahnverkehr »vollständig wiederhergestellt« und der Fahrzeugverkehr wieder in Gang gekommen sei.
Videoaufnahmen bestätigen beides. Sie zeigen jedoch auch zahlreiche Einschränkungen, denen Moskau aktuell nur wenig entgegensetzen kann. Der Eisenbahntransport ist behindert, Lkw müssen wieder Fähren nutzen. Da die Ukraine planvoll auch andere Eisenbahn-Strecken in Richtung Front zerstörte, sind langfristige und herbe logistische Engpässe bei den ohnehin an allen Fronten in die Defensive gedrängten russischen Truppen zu erwarten.
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