Streik von nationalem Interesse

Die Arbeitsniederlegung bei Esso und Total führt in Frankreich zu leeren Tankstellen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Zuge der Energiepreiskrise findet in Frankreich derzeit ein Streik statt, der es in sich hat und nun die Regierung auf den Plan ruft. Der Streik der Beschäftigten der Raffinerien der Ölkonzerne Total und Esso begann Anfang vergangener Woche und hat sich seitdem erheblich verschärft. Er hat bereits dazu geführt, dass landesweit ein Drittel der Tankstellen mangels Sprit schließen mussten. Besonders betroffen sind die nordfranzösische Region Haut-de-France und die Pariser Region.

Vielerorts kommt es an den Tankstellen zu langen Schlangen mit stundenlangen Wartezeiten. Da es angesichts der angespannten Versorgungslage nicht selten zu »Panikkäufen« kam, wurde per Regierungsdekret das Befüllen von Kanistern verboten. Die Tankstellen wurden zudem ermächtigt, die Menge des abgegebenen Treibstoffs pro Fahrzeug auf 30 Liter oder notfalls sogar auf den Gegenwert von 30 Euro zu begrenzen. Wo die Versorgung besonders prekär ist, sind einzelne Tankstellen für Krankenwagen sowie für Fahrzeuge der Feuerwehr und Polizei reserviert. An zahlreichen Tankstellen, die noch ausreichend mit Treibstoff versorgt werden konnten, sind die Preise in den vergangenen Tagen stark gestiegen. Da der Verdacht besteht, dass hier von der Verknappung profitiert wird, führen die Wettbewerbsbehörden verstärkt Kontrollen durch.

Angesichts der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung über diese Lage, die gefährlich an die Stimmung im Herbst 2018 am Vorabend der Proteste der sogenannten Gelbwesten erinnert, hat Präsident Emmanuel Macron von den Konzernen und den Gewerkschaften gefordert, unverzüglich alles zu tun, um im Arbeitskampf einen Kompromiss zu erzielen, den Streik zu beenden und die Versorgung wieder sicherzustellen. Man könne nicht für jeden Konflikt zwischen den Sozialpartnern den Präsidenten und die Regierung verantwortlich machen. Es gibt im Regierungslager aber auch Stimmen, die den gegenwärtigen Konflikt nicht zuletzt darauf zurückführen, dass sich Präsident Macron geweigert hat, die aus der Energiekrise erwachsenen Superprofite einiger Konzerne mit einer Sondersteuer zu belegen und dieses Geld für die Verbesserung der Kaufkraft der Haushalte zu verwenden.

Premierministerin Elisabeth Borne hielt am Montagabend eine Krisensitzung mit Verkehrsminister Clément Beaune, Innenminister Gérald Darmanin, Energieministerin Agnès Pannier-Runacher und dem Regierungssprecher Olivier Véran ab. Im Anschluss erklärte Véran in einem Rundfunkinterview, dass sich die Regierung nicht in den Konflikt zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften einmischen wolle und an beide Seiten appelliere, unverzüglich nach einer schnellen Lösung zu suchen. Gleichzeitig deutete er aber an, dass die Regierung mit dem Gedanken spiele, die Raffinerien und Treibstoffdepots zu »Unternehmen von national-strategischer Bedeutung« zu erklären, und dass sie selbst eine Zwangsverpflichtung der Beschäftigten zum Arbeiten, mit der diese gezwungen werden könnten, den Streik zu beenden, nicht ausschließe.

Das hat bei den Gewerkschaften und Teilen der linken Opposition heftige Reaktionen ausgelöst. Das würde zu einem offenen »Krieg« mit der Regierung führen, warnt der für die Mineralölindustrie zuständige Sekretär der Gewerkschaft CGT, Emmanuel Lépine. Er verwahrt sich gegen den Vorwurf, seine Gewerkschaft blockiere die Raffinerien und Depots, und betont, es handele sich um einen »ganz normalen Streik«. Die Gewerkschaftsorganisationen der Raffinerien beschlossen am Montag, ihren Ausstand auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Sie fordern zehn Prozent Lohnerhöhung und eine »angemessene Beteiligung an den Superprofiten in vielfacher Milliardenhöhe, die die Ölkonzerne durch die Energiekrise erzielen«.

Eine Zwangsverpflichtung der Beschäftigten der Raffinerien, Treibstoffdepots und Tankstellen gab es zuletzt 2010 bei einem mehrwöchigen Streik gegen die seinerzeit von Präsident Nicolas Sarkozy eingeleitete Rentenreform. Als Reaktion darauf ließen sich viele Beschäftigte auf Anregung der CGT krankschreiben.

In Regierungskreisen rechnet man damit, dass die Verärgerung der »als Geiseln genommenen« Bürger über den Streik und die Treibstoffverknappung sich letztlich gegen die CGT richtet und die Rolle der einst führenden Gewerkschaft des Landes weiter verringern wird. Es gibt aber auch innerhalb der linken Opposition Vorbehalte gegen den Streik und Kritik an der starren Haltung der CGT. Selbst die Bewegung La France insoumise geht vorsichtig auf Distanz zu dem Arbeitskampf, weil sie durch ihn eine negative Rückwirkung auf die Beteiligung an dem »Nationalen Protestmarsch gegen die Preisexplosion« befürchtet, zu dem sie für den 16. Oktober aufgerufen hat.

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