Kein vergiftetes Angebot

Verdi & Co. fordern für die Beschäftigten von Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Gehalt

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wer die Preise kennt, will acht Prozent«, macht die IG Metall derzeit Stimmung in der laufenden Tarifrunde für die Metall- und Elektrobranche. Als die Industriegewerkschaft im Sommer ihre Forderung aufstellte und dies mit der hohen Inflation begründete, sorgte dies für viel Aufmerksamkeit. Denn acht Prozent liegen weit oben in der Forderungsskala der Gewerkschaften. Da die Arbeitgeber eine Nullrunde fordern, scheint ein harter Arbeitskampf derzeit programmiert.

Doch wer denkt, dass acht Prozent das Maximum sind, was Gewerkschaften in großen Tarifrunden erkämpfen wollen, der irrt. Am Dienstag berieten die Gewerkschaften, die im öffentlichen Dienst vertreten sind, über ihre Forderungen für die im Januar anstehende Tarifrunde. Sie einigten sich auf eine zweitstellige Hausnummer: 10,5 Prozent wollen sie für die Beschäftigten der Kommunen und des Bundes aushandeln. Das ist laut Verdi-Chef Frank Werneke »sicherlich eine der höchsten« Forderungen in der Geschichte der Dienstleistungsgewerkschaft.

»Die Inflationsentwicklung, Lebensmittel- und insbesondere Energiepreise reißen tiefe Löcher in die Haushaltskassen der Beschäftigten. Viele von ihnen wissen nicht, wie sie sich und ihre Familien über Wasser halten können, einige können ihre Mieten oder Heizkosten nicht mehr zahlen«, begründete Werneke die Höhe der Forderung. Zuletzt lag die Inflation nach vorläufigen Berechnungen des statistischen Bundesamtes im September bei zehn Prozent. Laut Berechnungen der Bundesregierung wird sie dieses Jahr bei insgesamt acht Prozent liegen, im nächsten noch bei sieben Prozent.

Damit dürfte die Inflation so hoch sein wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Am stärksten stiegen die Preise im Einzelhandel bisher im Jahr 1974. Damals lag die Inflationsrate in Westdeutschland bei 7,2 Prozent.

So fordern die Gewerkschaften für die rund 2,5 Millionen Tarifbeschäftigten in Bund und Kommunen nicht nur 10,5 Prozent. Mindestens sollen die Gehälter um 500 Euro im Monat angehoben werden. Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 200 Euro steigen. Neben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verhandelt die Polizeigewerkschaft GdP, die Pädagogengewerkschaft GEW, die IG BAU und der Beamtenbund mit dem Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und dem Innenministerium ab Ende Januar. Das Ergebnis soll unter anderem auch auf Beamten*innen und Richter*innen übertragen werden.

Die VKA wies als Arbeitgeberin die Forderungen sogleich als »unrealisierbar« zurück. Sie berücksichtigten »nicht die schwierige finanzielle Lage der kommunalen Haushalte und Unternehmen«, erklärte VKA-Präsidentin Karin Welge. Demnach würden die Mehrkosten für die geforderte Entgelterhöhung bei den kommunalen Arbeitgebern mit rund 15,4 Milliarden Euro ins Gewicht fallen. Trotz Verständnis für die Sorgen der Beschäftigten wegen der hohen Inflation sei dies »schlicht nicht leistbar«.

Unterstützung bekommen die Gewerkschaften hingegen von der linken Opposition im Bundestag. »Die Forderungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst nach kräftigen Lohnerhöhungen sind absolut berechtigt. Es muss endlich Schluss sein mit den anhaltenden Reallohnverlusten derjenigen, die beim Bund und den Kommunen den Laden auch in den jüngsten Krisen am Laufen halten«, erklärte der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Pascal Meiser. Die Bundesregierung müsse in dieser Krise jetzt schnell zeigen, dass sie bereit ist, Verantwortung für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu übernehmen.

So ist die Stimmung in den Verwaltungen und Behörden laut Beamtenbund-Vorsitzenden Ulrich Silberbach derzeit »so schlecht wie noch nie«. Was den Beschäftigten ihm zufolge besonders sauer aufstößt, ist, dass die Bundesregierung derzeit Milliadensummen für Gaspreisbremse und Entlastungspakete in die Hand nehme, aber bei ihnen den »Sparhammer« ansetze. »Das ist den Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst nicht zu vermitteln«, so Silberbach.

Schließlich war bereits die vergangene Tarifrunde von der Corona-Pandemie geprägt. Zwar erzielten die Gewerkschaften im November 2020 unter den damaligen Bedingungen einen »respektablen Abschluss«, wie es damals Verdi-Chef Werneke formulierte, doch wurden die vereinbarten Lohnsteigerungen von der Inflation mehr als aufgefressen. So stiegen zum 1. April 2021 die Entgelte um 1,4 Prozent, während die Inflationsrate letztes Jahr bei 3,1 Prozent lag. Und auch das Plus von 1,8 Prozent zum 1. April dieses Jahres nahmen die Beschäftigten vermutlich als bloßen Tropfen auf dem heißen Stein wahr.

Durch diesen Reallohnverlust geraten vor allem untere Lohngruppen unter Druck. So gibt es diverse Studien, die aufzeigen, dass die Inflationsrate für Menschen mit niedrigem Einkommen höher ist als für Haushalte mit mehr Geld in der Tasche. »Die Sicherung der Einkommen durch einen Inflationsausgleich, insbesondere für die Beschäftigten mit mittleren und eher niedrigen Einkommen, steht für uns im Zentrum der Tarifrunde«, stellte deshalb Verdi-Chef Werneke klar. Laut der Polizeigewerkschaft GdP wird es insbesondere für Beschäftigte in den Tarifgruppen EG 3 bis 6 knapp. Dazu zählen beispielsweise Hausmeister*innen, Küchenkräfte oder Büroangestellte.

Was die Gewerkschaften deshalb in dieser Tarifrunde ablehnen, sind Einmalzahlung. Diese verkauft die Bundesregierung im Rahmen ihrer Konzertierten Aktion mit Gewerkschaften und Arbeitgebern eigentlich als Mittel in der Energiepreiskrise. »Ich habe den Tarifpartnern das Angebot unterbreitet, zusätzliche Zahlungen bis zu 3000 Euro von Steuern und Abgaben zu befreien, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer solchen Zahlung besser durch die Krise kommen könne«, erklärte zum Beispiel Bundeskanzler Olaf Scholz nach einem Treffen der Sozialpartner Mitte September.

Doch in der kommenden Tarifverhandlung wollen die Gewerkschaften davon nichts wissen. Für Werneke sind Einmalzahlungen »Strohfeuer, die sich verbraucht haben. Die Inflation werde voraussichtlich hoch bleiben, deshalb seien lineare Verbesserungen in der Einkommenstabelle wichtig, so der Verdi-Chef. Noch deutlichere Worte fand Beamtenbund-Chef Silberbach er sprach bei Einmalzahlungen von einem «verseuchten Angebot».

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