- Wirtschaft und Umwelt
- Haushalte von Städten und Gemeinden
Auf Kante genäht
Die Kommunen zahlen die Zeche für die Politik von Bund und Ländern
Nach dem Treffen der kommunalen Spitzenverbände mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag wies der Deutsche Landkreistag erneut auf die drängenden Fragen der Flüchtlingsaufnahme und -finanzierung hin und forderte umgehende Lösungen. Generell solle der Bund mit Gesetzesvorhaben, welche die kommunale Ebene kostenwirksam umsetzen muss, »zurückhaltender umgehen«, fordert Präsident und Landrat Reinhard Sager.
Kommunen bilden nun einmal die unterste Stufe der Kaskade: Sie hängen am finanziellen Tropf der Länder, die wiederum hängen am Tropf des Bundes. Gleichzeitig greift der Bund mit seiner Gesetzgebung beständig in das Leben in Städten und Gemeinden ganz konkret ein. Flüchtlinge und Bildung, Soziales, Straßen und vieles mehr – die Aufgabenliste der Kommunen ist lang. Und das kostet. Im Ergebnis stiegen die Ausgaben der Kommunen im ersten Halbjahr 2022 auf 151,0 Milliarden Euro (1. Halbjahr 2021: 141,4 Milliarden). Dem stehen Einnahmen insbesondere aus der Gewerbesteuer und dem niedrigen Gemeindeanteil an der Einkommensteuer sowie Zuweisungen durch das jeweilige Bundesland gegenüber.
Unterm Strich betrugen die Einnahmen im ersten Halbjahr 149,4 Milliarden Euro, meldet das Statistische Bundesamt (Destatis) am Dienstag. Damit sank das Defizit auf 1,6 Milliarden Euro. Doch die Finanzlage der Kommunen verschlechtert sich. Für das laufende Jahr rechnen die drei kommunalen Spitzenverbände mit einem Defizit von 5,8 Milliarden Euro. Auch 2023 sei keine Besserung in Sicht.
Selbst dieses Minus erscheint in Zeiten des »Doppelwumms«, in denen Regierungen mit Milliarden nur so um sich zu schmeißen scheinen, zwar gering. Aber solche Zahlen spiegeln die Wirklichkeit nur unvollständig wieder. Erfasst wird in der amtlichen Statistik – ähnlich wie bei Land und Bund – der sogenannte Kernhaushalt. Nicht erfasst werden andere staatliche Einrichtungen, die im volkswirtschaftlichen Sinn auch zum Staatssektor zählen. »In einer Kommune wird heute – grob geschätzt – nur etwa die Hälfte der wirtschaftlichen Tätigkeit über den Kernhaushalt abgewickelt«, hat die Heinrich-Böll-Stiftung ermittelt.
Die andere Hälfte findet in ausgegliederten Einheiten statt, beispielsweise Eigenbetriebe und Sondervermögen. Erst in einer Gesamtbetrachtung von Kernhaushalt und weiteren kommunalen Einrichtungen ergäbe sich die tatsächliche finanzielle und wirtschaftliche Lage einer Kommune, so die Böll-Stiftung. Doch bei der üblichen Haushaltsführung sei eine Gesamtdarstellung unmöglich, da die ausgelagerten Bereiche in der Regel die in der Wirtschaft übliche doppelte Buchführung anwenden. »Die Auslagerung von Tätigkeiten in Einrichtungen mit eigenständiger Buchführung ist daher immer wieder mit dem Verdacht verknüpft, dass Schattenhaushalte geschaffen werden sollen.«
Gleichzeitig gibt es nicht »die« Kommune. Die Schere zwischen Kommunen mit guter und schlechter Finanzlage geht immer weiter auseinander, beklagt der Landkreistag. 149 aller 294 Landkreise wiesen zuletzt einen defizitären Kreishaushalt auf. Im Alltag vieler Kommunen führen die hohen laufenden Ausgaben zu einer »schwächeren Investitionstätigkeit«, hat Destatis festgestellt.
Viele Haushalte von Städten und Gemeinden sind notgedrungen auf Kante genäht. Was Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft hat. Ein wesentlicher Teil der öffentlichen Investitionen wird nämlich von den Kommunen geleistet. Sie tätigen mit rund 60 Prozent den Löwenanteil der öffentlichen Bauinvestitionen für die Infrastruktur. »Obwohl die Kommunen ihre Bruttoinvestitionen von 2017 bis 2020 preisbereinigt um ein Drittel ausgeweitet haben, weisen sie für 2020 einen Investitionsstau von knapp 150 Milliarden Euro aus«, heißt es aus dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Hinzu kommen zukünftig Investitionen für Klimaschutz und Klimaanpassung in bislang unerforschter Höhe.
Die eigentlich zweckmäßige Ausweitung kommunaler Investitionen wird zudem durch knappe Personalkapazitäten verhindert, kritisiert die KfW-Förderbank, die Bund und Ländern gehört. »Öffentliche Investitionen in die Infrastruktur oder zur Bewältigung der großen transformativen Herausforderungen mit Blick auf Klimawandel und Digitalisierung setzen eine leistungsfähige Verwaltung der Kommunen voraus.« Insbesondere in den Bau- und Planungsbereichen habe die Personalknappheit »ein besorgniserregendes Niveau« erreicht, weil die Umsetzung der dringend benötigten Investitionen kaum noch gestemmt werden können. Dieses Problem dürfte sich durch die Altersstruktur in den Verwaltungen in den kommenden Jahren noch verschärfen.
Um die Personallücke auch nur im Ansatz zu schließen, so die KfW-Ökonomen, sei ein entschiedenes Gegensteuern an vielen Ansatzpunkten der Personalpolitik geboten. Dabei konkurrieren die Kommunen bei Gehältern und Arbeitsbedingungen mit anderen Arbeitgebern. Knappe Personaldecke bei knappen Kassen stellen in der aktuellen Tarifauseinandersetzung für beide Seiten eine besondere Herausforderung dar.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.