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Milliardengeschäft mit Online-Zwangsarbeit

Betrugsfabriken chinesischer Syndikate kommen ins Visier staatlicher Stellen

  • Robert Lenz
  • Lesedauer: 4 Min.
Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte, fordert, die befreiten Zwangsarbeiter als Opfer zu sehen.
Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte, fordert, die befreiten Zwangsarbeiter als Opfer zu sehen.

Derzeit vergeht in Thailand kaum ein Tag ohne ausführliche Medienberichte über Flüge mit Hunderten geretteter Zwangsarbeiter nach China, Indonesien oder Indien. Tausende, die zuvor in sogenannten Betrugsfabriken schuften mussten, kommen nach ihrer Entlassung in Lagern in dem südostasiatischen Land unter. Dort warten sie auf die Rückführung in ihre Heimatländer.

Online-Glücksspiel, Fake-Plattformen mit angeblich hohen Renditen durch Investitionen in Krypto-Währungen und »Liebesbetrug« auf Datingseiten sind einige der Geschäftsmodelle der »scam factories«. Chinesische Syndikate zocken von Myanmar, Kambodscha und Laos aus Online-User in aller Welt ab. Interpol schätzt den Umsatz der Betrugsfabriken auf mehr als drei Milliarden US-Dollar pro Jahr. Experten zufolge stehen die Bosse weit oben in Chinas Gesellschaft.

Die Vereinten Nationen gehen alleine für Myanmar von mehr als 100 000 Menschen aus, die mit falschen Versprechen von Lohn und Brot zur Arbeit in die Betrugszentren gezwungen wurden. Die im industriellen Stil aufgezogenen Gebäudekomplexe sind auch eine lukrative Einnahmequelle für die Junta des Landes und verbündete Milizen. Hochburgen sind die Städte Shwekokko und Myawaddy im Teilstaat Karen nahe der thailändischen Grenze. Im Osten sind es vor allem die Regionen Kokang und Wa an der Grenze zu China.

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Dass mittlerweile verstärkt gegen die Syndikate vorgegangen wird, hängt auch mit einem aufsehenerregenden Fall zusammen. Der chinesische Schauspieler Wang Xing war im Januar unter dem Vorwand eines Castings nach Thailand gelockt und in der Grenzstadt Maesot von Schleppern entführt worden. Dass dem 22-Jährigen das Schicksal von Gewalt, Erniedrigung und gar Folter in den Betrugszentren erspart blieb, verdankte er seiner Vernetzung in prominente Schauspielerkreise. Postings mit Hashtags wie »Wo ist Wang Xing?« gingen in den sozialen Netzwerken Chinas viral und riefen die Regierung in Peking auf den Plan. Auf ihren Druck hin kam Wang Xing drei Tage nach seiner Entführung wieder frei. China ist ein Unterstützer der Junta in Myanmar und hat gute Beziehungen zu dortigen Milizen.

Bereits Ende 2024 hatten Chinas Behörden eine öffentliche Kampagne gegen den organisierten Online-Betrug gestartet. Anlass war der Prozess gegen vier Anführer der »Grenzschutztruppe« – einer myanmarischen Miliz, die Kokang an der chinesischen Grenze kontrollierte. Alleine dort agierten zahlreiche Betrügersyndikate, die nach Angaben des United States Institute of Peace (USIP) Menschen in über 100 chinesischen Städten um 1,43 Milliarden Dollar betrogen haben sollen. Die Entführung von Wang Xing machte hingegen deutlich, dass »die chinesische Polizei entgegen der offiziellen Darstellung versagt hatte, die Sicherheit der chinesischen Bevölkerung zu gewährleisten«, meint Jason Tower, Autor mehrerer Analysen zum System der Online-Betrugssyndikate. Normalerweise dulde China laut dem USIP-Experten solche kollektiven Aktionen nicht, doch in diesem Fall habe die Zensur nicht nur diese Postings, sondern auch freizügige Berichte in den staatlichen Medien über Sicherheitsprobleme chinesischer Thailand-Touristen zugelassen. Prompt stornierten Chinesen massenhaft Reisen.

Durch den so erzeugten Druck geht Thailand jetzt rigoros gegen die Betrugszentren vor. So wurden die Strom- und Internetversorgung, wie auch die Öl- und Gaslieferungen zu Standorten der Fabriken in Myanmar unterbrochen. Das Militär verstärkte zur Verhinderung des Menschenhandels krimineller Organisationen die Grenzkontrollen.

Es gibt aber Zweifel, ob den Verbrechersyndikaten damit das Handwerk gelegt werden kann. In der Region Wa, einem Staat im Staat mit eigener Verwaltung und einer schlagkräftigen Armee, blüht die Betrugsbranche ungehindert weiter. Zudem versuchen sich die Syndikate dem wachsenden politischen und medialen Druck durch Verlegung in andere Landesteile Myanmars zu entziehen. »Zahlreiche Belege legen nahe, dass der Schutz der Betrugsindustrie für die herrschenden Eliten in Myanmar, Kambodscha (und anderen Ländern) aufgrund der Profitabilität der Branche und der Art der staatlichen Beteiligung mittlerweile von strategischem Interesse ist«, so das USIP. Diese staatliche Stelle in den USA zur Erforschung und Verhinderung gewaltsamer Konflikte wird in Zukunft aber wohl keine Aufklärung mehr leisten können – die neue Regierungsstelle DOGE von Milliardär Elon Musk hat vor wenigen Tagen dort die Kontrolle übernommen, um die Abwicklung vorzubereiten.

Menschenrechtler fordern derweil, die geretteten Zwangsarbeiter in Thailand und in ihren Heimatländern mit Respekt zu behandeln. Auch UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk betont: »Sie sind keine Kriminellen. Sie sind Opfer.«

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