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Kommunaler Rettungsanker
Landeseigene Wohnungsunternehmen bauen auch in der Krise weiter
Der private Wohnungsbau in Berlin bricht ein. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 sank die Zahl der erteilten Baugenehmigungen um 15 Prozent. Von Januar bis Juli dieses Jahres erhielten Privatunternehmen in der Hauptstadt Baurecht für 5310 Wohnungen, im Vorjahreszeitraum waren es noch 6270 Wohneinheiten. Die Zahlen stammen aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen auf eine parlamentarische Anfrage von Niklas Schenker, dem wohnungspolitischen Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus.
Die Zahlen bestätigen, was Thorsten Lange, Immobilienexperte der DZ Bank, kürzlich in einem Online-Fachgespräch sagte: „Neubauprojekte liegen mehr oder weniger komplett auf Eis. Was in Bau ist, wird noch fertiggestellt. Aber neue Projekte werden vorerst nicht angegangen.»
Steigende Zinsen und explodierende Rohstoff- und Energiepreise haben das Bauen in kurzer Zeit extrem teurer gemacht. Eine Beispielrechnung des Vermieterverbands GdW kommt zu folgendem Ergebnis: Wurde bei einem Neubauprojekt Mitte 2021 noch kalkuliert, dass es sich für 10,62 Euro nettokalt pro Quadratmeter vermieten lässt, führt die gleiche Rechnung ein Jahr später zu einem Quadratmeterpreis von 16,87 Euro. „Schon 30 Prozent Verteuerung ist realistisch kaum durchsetzbar. 60 Prozent Mietanstieg sind überhaupt nicht durchsetzbar, was zur Folge hat, dass das Projekt nicht realisiert wird», sagte Thorsten Lange.
André Adami vom Beratungsunternehmen Bulwiengesa erwartet deutschlandweit für 2024 und 2025 nur noch die Fertigstellung von 200.000 Wohnungen, nur die Hälfte des von der Bundesregierung ausgegebenen Bauziels. Und auch ein Drittel weniger als die seit 2016 jährlich knapp 300.000 fertiggestellten Wohnungen.
Ein Hoffnungsschimmer in Berlin sind da die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Bis Juli 2022 wurden ihnen Baugenehmigungen für 2161 Wohnungen erteilt. Im Vorjahreszeitraum waren es 2397 Wohneinheiten. Auch hier ist also ein Rückgang zu verzeichnen, der allerdings mit rund zehn Prozent deutlich geringer ausfällt als bei den Privaten.
„Der öffentliche Wohnungsbau zeigt sich in Krisenzeiten robuster als der private Neubau», konstatiert dann auch der Linke-Abgeordnete Niklas Schenker gegenüber „nd». Für ihn ist der Grund klar: „Im Gegensatz zu privaten Unternehmen erfüllen die landeseigenen Wohnungsunternehmen beim Neubau einen sozialen Auftrag und wollen nicht nur hohe Renditen erwirtschaften. Vor allem in der Krise sind private Akteure keine verlässlichen Partner.»
„Ganz offensichtlich reicht es nicht, ständig bloße Bekenntnisse zu viel Neubau abzugeben oder wiederholt das Mantra von ›Kooperation statt Konfrontation‹ zu wiederholen», sagt Schenker in Richtung des Koalitionspartners SPD. Dieses Credo ist oft von der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und dem wegen der Pannenwahl 2021 angeschossenen Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel zu hören.
„Wir müssen die politischen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass wir in Berlin mehr kommunalen Neubau ermöglichen und vor allem mehr Sozialwohnungen gebaut werden», fordert Schenker. Just darum ging es jetzt auch bei einer von Schenker veranstalteten Podiumsdiskussion im Café Sibylle an der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain. Baustarts für 5500 Wohnungen waren bei den Landeseigenen für das laufende Jahr geplant, 2023 sogar für 11.000 Wohneinheiten, berichtet Mario Hilgenfeld. Er ist zuständig für Wohnungswirtschaft und -politik beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). „Wir werden abwarten und auf Sicht fahren müssen, diesen Neubau zu stemmen», sagt Hilgenfeld.
Der BBU-Mann räumt ein, dass es angesichts der Bauzurückhaltung der Privaten „vielleicht eine Chance» für die Kommunalen ist, in diese Bresche zu springen – sofern denn die Landesunternehmen überhaupt in der Lage sind, die Projektentwicklung zu übernehmen, das Vorhaben quer zu subventionieren, Fördermittel oder Eigenkapitalzuschüsse vom Senat bekämen und damit „Objekte bezahlbar machen» könnten.
Gerade dieses Fahren auf Sicht hält Steffen Zillich, der haushaltspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, für das Problem. Die landeseigene Degewo erkläre beispielsweise explizit, dass sie mit Blick auf ihr Jahresergebnis entscheide, wie viel Neubau sie sich leisten könne, berichtet Zillich. „Wenn wir als Land dabei bleiben – und ich glaube, wir müssen dabei bleiben –, dass wir einen erheblichen öffentlichen Wohnungsbau brauchen, wird dieses Auf-Sicht-Fahren nicht funktionieren», sagt der Haushaltspolitiker. „Wir brauchen eine Investitionsfinanzierung, in dem man Eigenkapital gibt und Kredite aufnimmt. Man wird also eine Haushaltsfinanzierung brauchen.»
Je 750 Millionen Euro stehen in den Haushaltsjahren 2022 und 2023 für die Förderung von Sozialwohnungen zur Verfügung, 5000 sollen pro Jahr neu entstehen. Allerdings haben die Landeseigenen von Jahresbeginn bis zum 23. September 2022 entsprechende Mittel für gerade mal 1544 Einheiten beantragt. Nachdem die kommunalen Unternehmen bisher für über 80 Prozent der entstehenden Neubau-Sozialwohnungen verantwortlich waren, dürfte trotz erheblich gestiegener Förderung das Koalitionsziel auch 2022 – wie in allen Jahren zuvor auch – gerissen werden.
Strukturen, Kooperation, Finanzierung: Linke-Politiker Niklas Schenker will das alles bei den Landes-Wohnungsunternehmen auf den Prüfstand stellen. Ein Baustein wäre in seinen Augen die Kooperation beim Neubau. Es müssten nach und nach kommunale Planungs- und Baukapazitäten geschaffen werden, fordert Schenker. „Damit könnte sich Berlin weitgehend unabhängig von Krisen, Marktschwankungen und dem Fachkräftemangel machen», glaubt er. Bisher werden diese Leistungen fast komplett an Private ausgelagert.
Tatsächlich gibt es in Berlin bereits eine kommunale Bauhütte. Es ist die Holzbauhütte für das geplante Schumacher-Quartier am Rande des ehemaligen Flughafens Tegel, wo rund 5000 Wohnungen entstehen sollen. Doch der scheidende Projektleiter Achim Nelke berichtet, dass es nicht sonderlich glatt läuft – auch in der Verwaltung. Bisher sei mit der sogenannten B-Plan-Fabrik in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung „eigentlich nur ein teurer Wasserkopf geschaffen worden», denn die eigentlichen Aufträge zur Erarbeitung von Bebauungsplänen würden herausgegeben an Büros, die unter deutlichem Fachkräftemangel litten.
„Es braucht einen Kulturwandel. Die Wohungsbaugesellschaften waren eigentlich ein Verwalter. Projektentwicklung und Bauen ist etwas anderes», sagt Nelke. Man habe in Tegel „Riesenprobleme», die Unternehmen zu überzeugen, die von der Bauhütte entwickelten Holzbau-Elemente zu übernehmen, „weil die das einfach nicht wollen aus Haftungsgründen». Nelke sagt: „Da hatten die Landes-Wohnungsunternehmen wenig Interesse, mit uns zu arbeiten.»
Mario Hilgenfeld als Vertreter der Landeseigenen wendet sich gegen eine Zentralisierung der Neubau-Aktivitäten. „Ich kenne keine Studie, die sagt, bloß weil wir sechs Unternehmen haben, gibt es Effizienzverluste», wirft er ein. Aber, so Hilgenfeld: „Neue Finanzierungsmöglichkeiten werden wir definitiv benötigen.»
Korrekturhinweis: Wir hatten Achim Nelke in einem Punkt falsch zitiert. Wir hatten geschrieben, dass die Planungsabteilungen der Landes-Wohnungsunternehmen ein „Wasserkopf» seien. Er sprach jedoch von der sogenannten B-Plan-Fabrik der Senatsstadtentwicklungsverwaltung als „Wasserkopf». Wir haben die entsprechende Passage korrigiert.
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